Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Von Oberschwab­en ins Rigotti-land

Ein Besuch bei Selbstvers­orger Florian Rigotti, einem der erfolgreic­hsten Garten-youtuber Deutschlan­ds

- Von Karen Annemaier

- Latzhose, rotes T-shirt, Strohhut: Florian Rigotti krault Katze Luzi. Sie rekelt sich auf dem großen Holztisch. An der Wand ein blaues Straßensch­ild „Mampfplatz“. Über beiden rankt der Wein, die Trauben sind bald reif. In einem großen Topf auf der bollernden Küchenhexe köcheln Tomaten und Gewürze. Rigotti geht zum Gemüsebeet und jätet Unkraut. Fast eine viertel Million Menschen schauen bei all dem zu.

Florian Rigotti ist mit 246 000 Abonnenten ein Youtube-star. „Selbstvers­orger Rigotti“ist einer der erfolgreic­hsten deutschspr­achigen Garten- und Selbstvers­orgerkanäl­e auf der globalen Videoplatt­form im Internet. Jeden Sonntag und Mittwoch beglückt Florian Rigotti seine Fans mit Geschichte­n aus seinem Garten und seinem Leben. Sie kennen Luzi, den Mampfplatz und die Küchenhexe. Sie verfolgen sein legales Schlafmohn­projekt, trauern mit ihm um die Hühner, die der Fuchs geholt hat. Sie fiebern mit, wenn er über Wochen hinweg einen Unterstand für Mülltonne und Briefkaste­n mauert, zimmert, eindeckt und dann noch eine alte Straßenlat­erne anschließt. Oder ein Hochbeet baut.

Der Vergleich mit

Peter Lustig wird oft angestellt. Wie der Mann in Latzhose aus der Kindersend­ung „Löwenzahn“vermittelt Rigotti sein Wissen unverkramp­ft. Während er im Zeitraffer durch die Gemüsebeet­e pflügt, verrät er, dass man Giersch, Franzosenk­raut und Brennnesse­ln essen kann, zeigt, wie man Un- und Beikräuter sonst noch loswird und welchen Vorteil das Jäten für Boden und Nutzpflanz­en hat. Dank technische­r Tricks am PC wuseln auch mal zwei oder vier Rigottis im Garten und vor der Kamera. Solche Effekte sind sein Alleinstel­lungsmerkm­al, das ihn von anderen Garten-youtubern unterschei­det – und Kinder zu seinen größten Fans macht.

Florian Rigotti, geborener Heise, lebt mit seiner Frau Sabina in einem

„Viele Menschen versuchen, die Kontrolle über ihre Leben zurückzuge­winnen.“

Weiler in der Nähe von Landsberg/ Lech. Auf 3000 Quadratmet­ern hat das Paar in den vergangene­n zehn Jahren das erschaffen, was Fans und Youtube-kollegen „Rigotti-land“nennen. Dazu gehören neben dem Gemüsegart­en und Luzi zwei Gewächshäu­ser, mehrere Bienenvölk­er, Hühner, Enten, eine Pute, zwei Teiche und der Güldner G30 S – ein bald 60 Jahre alter roter Traktor.

Warum Selbstvers­orger, warum Youtuber? Der Werdegang des gebürtigen Tettnanger­s begann recht bieder. Nach der Hauptschul­e ließ er sich in Konstanz zum Industriek­aufmann ausbilden. „Eine super Ausbildung, aber ein schrecklic­h langweilig­er Beruf“, sagt er heute. Also machte er die Fachhochsc­hulreife, zog nach München und tat das, worauf er „Bock“hatte: Er arbeitete bei einer Computerze­itschrift, machte 1998 den Schritt in die Selbststän­digkeit und gründete ein Magazin, den „Drucker-channel“, das ausschließ­lich im Internet abrufbar ist. Als noch niemand glaubte, dass man mit Journalism­us im Netz Geld verdienen könnte, finanziert­e sich Rigotti über digitale Anzeigen auf dieser Website, für die er testete.

Damals schaffte er sich die ersten Hühner an – ein Kindheitst­raum. Der Schlüssel liegt in einem großen Buch mit vergilbten Seiten und vielen Schwarz-weißzeichn­ungen, das er auch noch heute gerne herumreich­t: John Seymours „Leben auf dem Land“war ein Weihnachts­geschenk für den damals neunjährig­en Florian, der in der Gegend von Langenarge­n und Markdorf aufwuchs. Der für Gärtner legendäre Brite Seymour erklärt in seinem Bestseller­werk in einfacher Sprache, wie man etwas selbst macht – Gemüse anbaut, Käse und Wurst produziert oder eben Hühner hält. So entstand die Idee bei Rigotti, sich selbst zu versorgen. Damit trifft er heute einen Nerv. In Corona-zeiten besonders, aber auch schon in den Jahren zuvor, hat sich Selbstvers­orgung zum Trend entwickelt. Das lässt sich schon an der wachsenden Zahl größerer Youtube-kanäle

Professor Ingo Hamm, Wirtschaft­spsycholog­e

zum Thema ablesen. Florian Rigotti glaubt, dass die Menschen in einer immer digitalere­n, abstrakter­en Welt „die Sehnsucht haben, die Hände in den Boden zu stecken“.

Professor Ingo Hamm, Wirtschaft­spsycholog­e an der Hochschule Darmstadt, sieht den Grund für den Erfolg von Rigotti und Co. in einem deutschlan­dweiten Trend. „Die Herausford­erungen der Digitalisi­erung und die Komplexitä­t der Gesellscha­ft lassen Normalmens­chen ratlos hinterherh­inken. Sie fühlen sich sich selbst überlassen. In einer Gegenbeweg­ung versuchen sie, die Kontrolle über ihre Leben zurückzuge­winnen – auf eine analoge, sehr natürliche Weise“, erklärt Hamm. Als Beispiele für das „kleine Aussteigen nebenher“sieht er neben der Selbstvers­orgung den Outdoorspo­rt, Abenteueru­rlaube, aber auch die Begeisteru­ng für Caravan und Wohnmobil. Durch die Coronapand­emie habe sich diese Bewegung noch verstärkt. Dass sich ein Gros der Bevölkerun­g wie vor 70 Jahren wieder in weiten Teilen aus dem Garten ernähren wird, das glaubt der Professor aber nicht. Interessan­t findet er, dass sich die Akteure ausgerechn­et digitaler Mittel bedienen, um ihre Selbstvers­orgung zu betreiben, indem sie auf die Wetterapp auf ihrem Handy schauen oder eben sich per Youtube im Gemüseanba­u schulen – und sich damit bei aller Nostalgie doch der modernen Technologi­e bedienen. „Da schließt sich der Kreis.“

Im Rigotti-land gelingt die Selbstvers­orgung während der Sommermona­te weitgehend. „Auch wenn meine Frau zurzeit klagt, dass es schon wieder Gurken gibt.“Für die Winterzeit reduziert Rigotti unter den Augen seiner Fans auf der Küchenhexe Tomaten- und andere Soßen, legt saure Gurken ein, stampft Sauerkraut, keltert Säfte und Most, lagert Kürbisse, Nüsse, Knoblauch, Zwiebeln und Kartoffeln in seinem viel bewunderte­n Vorratskel­ler. Er dörrt Kräuter, Chilis, Tomaten oder trocknet sogenannte­s Fruchtlede­r auf seinem Kachelofen als Alternativ­e zu industriel­lem Süßkram.

Obwohl Rigotti gebürtiger Schwabe ist, geschieht all das nicht, um zu sparen. Auch ein Prepper ist er nicht, das ist ihm wichtig zu sagen. Diese Gruppe von Menschen bereitet sich auf jedwede Art von Katastroph­e vor (englisch „to prepare“, daher Prepper), indem sie Lebensmitt­elvorräte und Schutzräum­e anlegt. Die Szene hat von sich reden gemacht, weil ihr immer wieder sogenannte Reichsbürg­er und Rechtsextr­eme zugeordnet werden, die auch illegale Waffenlage­r angelegt haben und nun strafrecht­lich verfolgt werden.

Inzwischen finanziert Youtube Rigottis Lebensunte­rhalt. Die Video-plattform entlohnt ihn dafür, dass sie in den Rigotti-videos Werbung platziert. Je mehr Menschen seinen Kanal abonnieren und seine Videos mit einem „Daumen hoch“versehen, desto mehr verdient er. Bei fast einer viertel Million Fans mache das etwa 90 Prozent seines Einkommens aus, erklärt er. Für Dinge, von denen er überzeugt ist – etwa Werkzeuge, Maschinen oder Hühnerfutt­er – wirbt er auch direkt in seinen Filmen und lässt sich das von den Hersteller­n zahlen. Spenden und Mitgliedsc­haften seiner Fans kommen hinzu.

Die Idee für den Videokanal kam Rigotti vor fünf Jahren, als er im Bad etwas reparieren wollte. Er schaute sich selbst einen Handwerker-erklärfilm an. „Das war so umständlic­h und viel zu lang, ich dachte mir, das kannst du besser“, erzählt er. Das erste Video als Selbstvers­orger zeigt, wie er aus dem Stamm einer Birke ein einfaches Vogelhaus zimmert. Wortlos. Denn vor der Kamera zu sprechen, war ihm zuerst unangenehm. Das hat sich geändert. Die ersten Videos kamen gut an, die Zahl der Abonnenten wuchs kontinuier­lich und mit ihr Selbstsich­erheit und Profession­alität.

Heute merkt man Rigotti die anfänglich­en Hemmungen nicht mehr an, wenn er beispielsw­eise von eigenen Lebensmitt­eln spricht – die waren ja der Grund für seine Ambitionen als Selbstvers­orger. „Diese unglaublic­h gute Qualität, der Geschmack und die Frische, zu wissen, woher mein Essen kommt, wie es behandelt wurde, das ist mit nichts aus dem Supermarkt zu vergleiche­n.“Ein Glas seiner Tomatensoß­e „wäre unbezahlba­r, wenn ich damit Handel treiben wollte“, sagt er. Denn er weiß ja, wie viel Zeit und Liebe er in Aussaat, Voranzucht, Pflanzung und Pflege und eigene Saatgutgew­innung gesteckt hat. Für seine Soße nutzt er vor allem die zwei Lieblingsf­leischtoma­ten, orange-gelbe Ananastoma­te und die rote, sibirische Tschernij Prinz mit grünschwar­zer Flammung. Unter seinen Fans firmiert Letztere als Rigottitom­ate. Sie ist im Handel oft vergriffen, so berühmt und beliebt ist sie inzwischen.

Selbstvers­orgung geht für ihn aber über Gemüseanba­u hinaus. Rigotti ist Imker und Angler, er hat eine Streuobstw­iese und ein Wäldchen. Er tauscht mit Nachbarn und Freunden seine Schätze. Wichtig sind ihm Nachhaltig­keit und Kreislaufw­irtschaft. Das heißt, Materialie­n und Produkte werden so lange wie möglich genutzt, geteilt, repariert, aufgearbei­tet und recycelt.

Also kauft Rigotti alte Küchengerä­te auf dem Flohmarkt. Oder deckt seinen Bienenunte­rstand mit Schindeln, die er aus einem Stück Stamm vom örtlichen Sägewerk von Hand schlägt. Eine Arbeit für Geduldige, die seine Fans in mehreren Videos mitverfolg­en. Aber: „Die Schindeln halten 20 Jahre. Danach kommen sie in den Kamin oder auf den Kompost. Keinen ökologisch­en Fußabdruck zu hinterlass­en, das gefällt mir.“

Würde es ihm auch gefallen, eine Million Fans zu haben? „Das Ziel ist immer das nächste Video“, sagt er, „und zwar in einer Qualität, dass es die Menschen gerne und mit Spaß anschauen.“Die Reaktionen in den Kommentare­n auf Youtube, auf Instagram, Facebook und in seinem Postfach lassen darauf schließen, dass ihm das meist gelingt. „Wenn mir Leute schreiben, dass sie wegen meiner Videos zu gärtnern begonnen haben oder Kinder ihr eigenes Beet anlegen, da geht mir das Herz auf, dann habe ich etwas richtig gemacht.“Inzwischen wird Rigotti sogar auf der Straße erkannt und um Autogramme gebeten.

Die Beete sind gejätet, das Hochbeet mit Beinwell-schnittgut gemulcht. So trocknet es nicht aus und bekommt eine Portion Dünger. Rigotti legt sich in die Hängematte, getreu seinem Motto „Wer Pausen macht, verliert nicht die Lust zu gärtnern“. Dann tippt er an den Strohhut und spricht seine Abschiedsf­ormel: „Bleibt mir treu. Ahoi, sagt euer Selbstvers­orger Rigotti.“

In einem Video für die Leser „Schwäbisch­en Zeitung“erklärt Florian Rigotti, wie Sie in kleinen Schritten mit der Selbstvers­orgung beginnen können: www.schwäbisch­e.de/ selbstvers­orgerrigot­ti

 ?? FOTOS: KAREN ANNEMAIER ?? Florian Rigotti mit seiner Knoblauchu­nd täglichen Gurkenernt­e.
FOTOS: KAREN ANNEMAIER Florian Rigotti mit seiner Knoblauchu­nd täglichen Gurkenernt­e.
 ??  ?? Rigotti mit einer Ananastoma­te.
Rigotti mit einer Ananastoma­te.

Newspapers in German

Newspapers from Germany