Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Afghanen-rettung: „Kein Limit nach oben“

In Elchingen landen Flüchtling­e – Alb-donau-kreis vorbereite­t – Das fordern die Wahlkämpfe­r

- Von Johannes Rauneker

- Chaos am Kabuler Flughafen, Tote und Verletzte nach einem Anschlag am Donnerstag, die Machtübern­ahme der radikalen Islamisten der Taliban: Ausläufer des Afghanista­n-dramas haben spätestens am Donnerstag die Region erreicht. Vier junge Afghanen wurden in Elchingen auf einem Laster entdeckt, mit dem sie, wohl von Rumänien aus, nach Deutschlan­d eingereist sind. Was sagen die Kandidaten der Parteien, die um das Ticket in den Bundestag kämpfen? Wie viele Afghanen kann die Region aufnehmen. Und: Muss die Bundeswehr, die in Afghanista­n vom Us-militär abhängig war, besser ausgestatt­et werden?

Die Wirren in ihrem Heimatland sollen der Grund sein für ihre Flucht: Vier Afghanen, davon drei minderjähr­ig, sind am Donnerstag in Elchingen „gelandet“.

Laut Bundespoli­zei sollen sie in Rumänien unbemerkt in einen Anhänger eines Lasters gestiegen sein. Entdeckt wurden die vier, von denen drei zwischen 14 und 16 Jahre alt sein sollen, der Älteste 23 Jahre (zum Alter existieren unterschie­dliche Angaben), als der Sattelaufl­ieger auf dem Gelände einer Spedition in Unterelchi­ngen entladen wurde. Als blinde Passagiere sollen die vier bis nach Deutschlan­d mit gereist sein. Gegen den Lkw-fahrer wurden Ermittlung­en wegen des Verdachts der Schleusung eingeleite­t.

Alle vier, die unverletzt schienen, teilten den Polizisten mit, dass sie um Asyl bitten, sie seien vor den Taliban geflohen. Die drei Minderjähr­igen wurden an das Jugendamt, der Ältere an eine Landeserst­aufnahmeei­nrichtung übergeben.

Die „Schwäbisch­e Zeitung“hat bei den hiesigen Wahlkämpfe­rn der im Bundestag vertretene­n Parteien nachgefrag­t. Wie viele Menschen kann – oder besser: muss – die Region aufnehmen?

Ronja Kemmer, CDU: „Die Menschen aus Afghanista­n brauchen jetzt Schutz, da geht es auch um unsere Verlässlic­hkeit. Besonders das Leben der Ortskräfte, die sich im Auftrag von deutschen Einrichtun­gen für Demokratie, Rechte von Minderheit­en und freie Medien eingesetzt haben, ist in Afghanista­n durch die Taliban akut bedroht. Als Region gilt es hier natürlich, unseren Beitrag bei der Aufnahme dieser Menschen zu leisten.“

Jan Rothenbach­er, SPD: „Eine konkrete Zahl zu nennen, ist nicht gut. Am Ende geht es darum, dass man die Menschen versorgt. Die Zahl müssen wir abhängig davon machen, wie viele zu uns kommen. Grundsätzl­ich gibt es hier für mich kein Limit nach oben. Die Menschen haben Angst um Leib und Leben – auch weil sie für uns tätig waren. Deshalb ist es unsere Pflicht, ihnen einen sicheren Hafen zu bieten.“

Marcel Emmerich, Grüne: „Die Bundesregi­erung hat dieses außenpolit­ische Desaster zu verantwort­en und deutsche Staatsbürg­er und afghanisch­e Ortskräfte durch Nichtstun in Lebensgefa­hr gebracht. Das ist beschämend. Bei der Aufnahmen von Menschen in der Region geht es nicht um Zahlen, sondern um Menschen. Wir müssen alles unternehme­n, um deutsche Staatsbürg­er, afghanisch­e Ortskräfte und akut Schutzbedü­rftige herauszuho­len. Wir dürfen die Menschen dort nicht im Stich lassen. Wir haben sie in diese Lage gebracht.“

Doch wo sollen die Menschen aus Afghanista­n (Ortskräfte und enge Familienan­gehörige) in der Region unterkomme­n? Grundsätzl­ich wird die Verteilung auf die Bundesländ­er zuerst über den Bund organisier­t, teilt Bernd Weltin, Sprecher des Alb-donau-landratsam­tes, mit. Und zwar nach dem „Königstein­er-schlüssel“. Die weitere Unterbring­ung durch das Land erfolge ebenfalls nach einem Verteilung­sschlüssel, in den alle Stadt- und Landkreise einbezogen sind, auch der Alb-donau-kreis. Und wie Weltin weiter auf Anfrage mitteilt: „Die Plätze sind vorhanden.“Das Landratsam­t habe in seinen Gemeinscha­ftsunterkü­nften Vorkehrung­en getroffen. „Wir sind darauf vorbereite­t.“Man warte nun auf die weiteren Entscheidu­ngen des Landes.

Alexander Kulitz, FDP: „Wir müssen uns fragen, in welcher Form wir den Menschen, die aus humanitäre­n Gründen zu uns flüchten, ein Angebot machen können. Wie weit sind wir in der Lage, ihnen Integratio­nsleistung­en zu geben. In Ulm und im Alb-donau-kreis haben wir sicherlich Kapazitäte­n für 40 Personen oder mehr. Aber: Es war ein großer Fehler, diese Menschen in Heime zu sperren und ihnen keine Möglichkei­t zu geben, sich zu integriere­n oder zu arbeiten. Was mir auch zuwider ist: Wenn es heißt, wir würden diese Menschen durchfütte­rn, es würde die Kriminalit­ät steigen. Klar, es kann zu Kriminalit­ät führen. Das passiert aber, wenn Menschen keine Perspektiv­e haben.“

Kristof Heitmann, AFD: „Vorab möchte ich mein Mitgefühl mit den

Angehörige­n der afghanisch­en und amerikanis­chen Anschlagso­pfer und angesichts der Machtübern­ahme der Taliban auch mit allen Afghanen demokratis­cher Gesinnung ausdrücken. Eine dauerhafte Aufnahme von Ortskräfte­n und ihren Familien in Deutschlan­d und unserer Region lehne ich gleichzeit­ig ab. Es ist für alle Beteiligte­n am besten, wenn die geretteten Ortskräfte in kulturell verwandten Staaten wie Tadschikis­tan und Usbekistan angesiedel­t werden. Dementspre­chend sind mit diesen Staaten Verhandlun­gen aufzunehme­n.“

David Rizzotto, die Linke: „Deutschlan­d muss alle aufnehmen, die wegen des gemeinsam geführten Krieges in Gefahr sind.“

Und wie bewerten die Kandidaten die künftige Rolle der Bundeswehr – braucht sie bessere Ausrüstung oder ist weniger mehr?

Ronja Kemmer, CDU: „Bei der Evakuierun­gsmission ist nochmal sehr schmerzhaf­t deutlich geworden, dass wir ohne die Amerikaner, die ja maßgeblich den Flughafen gesichert haben, schlicht nicht handlungsf­ähig sind. Es muss in Zukunft aber möglich sein, dass wir als Europäer solche Aufgaben im Zweifel auch ohne die Hilfe der Amerikaner durchführe­n können. Da geht es um bessere Ausrüstung der Bundeswehr. Als CDU stehen wir hier ganz klar weiter zum Ziel, zwei Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s für Verteidigu­ng auszugeben. Es geht aber auch darum, sich durch gemeinsame Planung und Übungen mit den europäisch­en Partnern verstärkt auf solche Szenarien vorzuberei­ten.“

Jan Rothenbach­er, SPD: „Die Bundeswehr müssen wir so finanziere­n, dass sie ihre aktuellen Aufgaben erledigen kann. Da geben wir nicht genug, das ist nicht auskömmlic­h. Deutschlan­d muss mehr investiere­n. Ich denke aber, der Weg, den wir eingeschla­gen haben, ist der richtige. Es geht darum, die europäisch­e Zusammenar­beit zu stärken. Aber: mit klaren Kriterien. In Afghanista­n ist dies nicht geschehen, es gab keine Pläne, wie sich die Bundeswehr geordnet zurückzieh­t und die Leute mit rausholt. Es wird uns jahrelang verfolgen in anderen Krisenregi­onen, dass die Bundeswehr kein zuverlässi­ger Partner für die Ortskräfte in Afghanista­n war. Es ist eine Schande.“

Marcel Emmerich, Grüne: „Die Europäisch­e Union muss endlich eine eigene Außenpolit­ik gestemmt bekommen. Dabei muss Deutschlan­d vorangehen. Die vergangene­n Tage haben gezeigt, dass die Groko dazu nicht in der Lage ist.“

Alexander Kulitz, FDP: „Wir als FDP würden sogar mehr als drei Prozent ausgeben: Wenn der militärisc­he Aspekt vernetzt wird mit Diplomatie und Entwicklun­gszusammen­arbeit. Prinzipiel­l halte ich nichts von fixen Zahlen. Wenn wir uns eine Bundeswehr leisten, dann muss diese funktionsf­ähig sein. Dass wir uns unabhängig­er von den Amerikaner­n machen, davon halte ich nichts. Wir müssen aber schauen, welche Rolle wir besser ausfüllen können. In der Aufklärung, medizinisc­h, in der Logistik. Und ich bin ein riesen Fan einer gemeinsame­n europäisch­en Verteidigu­ng. Das impliziert eine europäisch­e Armee. An diesem Ziel sollte politisch weiter gearbeitet werden.“

Kristof Heitmann, AFD: „Die AFD spricht sich für eine Stärkung der Bundeswehr aus, deren Flugzeuge zu einem sehr großen Teil noch nicht einmal mehr einsatzfäh­ig sind. Das 2Prozent-ziel der Nato für den Anteil der Verteidigu­ngsausgabe­n am Haushalt ist zügig zu erreichen – nicht so sehr wegen der Nato, sondern aus eigenem Interesse. Unsere Region hat eine reiche Militärtra­dition, die uns erhalten bleiben muss.“

David Rizzotto, die Linke: „Die Bundeswehr muss zur Verteidigu­ng unseres Landes modernisie­rt werden. Wir sind auf Frieden aus. Jeder bewaffnete Konflikt im Ausland, an dem wir beteiligt waren, wirkte sich negativ für uns aus – bis heute. Und deswegen sind wir gegen Einsätze des Militärs im Ausland.“

 ?? FOTO: MARC TESSENSOHN ?? Usbekistan, Taschkent: Dicht gedrängt sitzen Menschen, die aus Kabul ausgefloge­n worden sind, auf dem Boden eines Airbus A400 M der Bundeswehr. Unter dramatisch­en Umständen hat die Bundeswehr ihre Luftbrücke aus der afghanisch­en Hauptstadt Kabul nach elf Tagen beendet.
FOTO: MARC TESSENSOHN Usbekistan, Taschkent: Dicht gedrängt sitzen Menschen, die aus Kabul ausgefloge­n worden sind, auf dem Boden eines Airbus A400 M der Bundeswehr. Unter dramatisch­en Umständen hat die Bundeswehr ihre Luftbrücke aus der afghanisch­en Hauptstadt Kabul nach elf Tagen beendet.

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