Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Afghanen-rettung: „Kein Limit nach oben“
In Elchingen landen Flüchtlinge – Alb-donau-kreis vorbereitet – Das fordern die Wahlkämpfer
- Chaos am Kabuler Flughafen, Tote und Verletzte nach einem Anschlag am Donnerstag, die Machtübernahme der radikalen Islamisten der Taliban: Ausläufer des Afghanistan-dramas haben spätestens am Donnerstag die Region erreicht. Vier junge Afghanen wurden in Elchingen auf einem Laster entdeckt, mit dem sie, wohl von Rumänien aus, nach Deutschland eingereist sind. Was sagen die Kandidaten der Parteien, die um das Ticket in den Bundestag kämpfen? Wie viele Afghanen kann die Region aufnehmen. Und: Muss die Bundeswehr, die in Afghanistan vom Us-militär abhängig war, besser ausgestattet werden?
Die Wirren in ihrem Heimatland sollen der Grund sein für ihre Flucht: Vier Afghanen, davon drei minderjährig, sind am Donnerstag in Elchingen „gelandet“.
Laut Bundespolizei sollen sie in Rumänien unbemerkt in einen Anhänger eines Lasters gestiegen sein. Entdeckt wurden die vier, von denen drei zwischen 14 und 16 Jahre alt sein sollen, der Älteste 23 Jahre (zum Alter existieren unterschiedliche Angaben), als der Sattelauflieger auf dem Gelände einer Spedition in Unterelchingen entladen wurde. Als blinde Passagiere sollen die vier bis nach Deutschland mit gereist sein. Gegen den Lkw-fahrer wurden Ermittlungen wegen des Verdachts der Schleusung eingeleitet.
Alle vier, die unverletzt schienen, teilten den Polizisten mit, dass sie um Asyl bitten, sie seien vor den Taliban geflohen. Die drei Minderjährigen wurden an das Jugendamt, der Ältere an eine Landeserstaufnahmeeinrichtung übergeben.
Die „Schwäbische Zeitung“hat bei den hiesigen Wahlkämpfern der im Bundestag vertretenen Parteien nachgefragt. Wie viele Menschen kann – oder besser: muss – die Region aufnehmen?
Ronja Kemmer, CDU: „Die Menschen aus Afghanistan brauchen jetzt Schutz, da geht es auch um unsere Verlässlichkeit. Besonders das Leben der Ortskräfte, die sich im Auftrag von deutschen Einrichtungen für Demokratie, Rechte von Minderheiten und freie Medien eingesetzt haben, ist in Afghanistan durch die Taliban akut bedroht. Als Region gilt es hier natürlich, unseren Beitrag bei der Aufnahme dieser Menschen zu leisten.“
Jan Rothenbacher, SPD: „Eine konkrete Zahl zu nennen, ist nicht gut. Am Ende geht es darum, dass man die Menschen versorgt. Die Zahl müssen wir abhängig davon machen, wie viele zu uns kommen. Grundsätzlich gibt es hier für mich kein Limit nach oben. Die Menschen haben Angst um Leib und Leben – auch weil sie für uns tätig waren. Deshalb ist es unsere Pflicht, ihnen einen sicheren Hafen zu bieten.“
Marcel Emmerich, Grüne: „Die Bundesregierung hat dieses außenpolitische Desaster zu verantworten und deutsche Staatsbürger und afghanische Ortskräfte durch Nichtstun in Lebensgefahr gebracht. Das ist beschämend. Bei der Aufnahmen von Menschen in der Region geht es nicht um Zahlen, sondern um Menschen. Wir müssen alles unternehmen, um deutsche Staatsbürger, afghanische Ortskräfte und akut Schutzbedürftige herauszuholen. Wir dürfen die Menschen dort nicht im Stich lassen. Wir haben sie in diese Lage gebracht.“
Doch wo sollen die Menschen aus Afghanistan (Ortskräfte und enge Familienangehörige) in der Region unterkommen? Grundsätzlich wird die Verteilung auf die Bundesländer zuerst über den Bund organisiert, teilt Bernd Weltin, Sprecher des Alb-donau-landratsamtes, mit. Und zwar nach dem „Königsteiner-schlüssel“. Die weitere Unterbringung durch das Land erfolge ebenfalls nach einem Verteilungsschlüssel, in den alle Stadt- und Landkreise einbezogen sind, auch der Alb-donau-kreis. Und wie Weltin weiter auf Anfrage mitteilt: „Die Plätze sind vorhanden.“Das Landratsamt habe in seinen Gemeinschaftsunterkünften Vorkehrungen getroffen. „Wir sind darauf vorbereitet.“Man warte nun auf die weiteren Entscheidungen des Landes.
Alexander Kulitz, FDP: „Wir müssen uns fragen, in welcher Form wir den Menschen, die aus humanitären Gründen zu uns flüchten, ein Angebot machen können. Wie weit sind wir in der Lage, ihnen Integrationsleistungen zu geben. In Ulm und im Alb-donau-kreis haben wir sicherlich Kapazitäten für 40 Personen oder mehr. Aber: Es war ein großer Fehler, diese Menschen in Heime zu sperren und ihnen keine Möglichkeit zu geben, sich zu integrieren oder zu arbeiten. Was mir auch zuwider ist: Wenn es heißt, wir würden diese Menschen durchfüttern, es würde die Kriminalität steigen. Klar, es kann zu Kriminalität führen. Das passiert aber, wenn Menschen keine Perspektive haben.“
Kristof Heitmann, AFD: „Vorab möchte ich mein Mitgefühl mit den
Angehörigen der afghanischen und amerikanischen Anschlagsopfer und angesichts der Machtübernahme der Taliban auch mit allen Afghanen demokratischer Gesinnung ausdrücken. Eine dauerhafte Aufnahme von Ortskräften und ihren Familien in Deutschland und unserer Region lehne ich gleichzeitig ab. Es ist für alle Beteiligten am besten, wenn die geretteten Ortskräfte in kulturell verwandten Staaten wie Tadschikistan und Usbekistan angesiedelt werden. Dementsprechend sind mit diesen Staaten Verhandlungen aufzunehmen.“
David Rizzotto, die Linke: „Deutschland muss alle aufnehmen, die wegen des gemeinsam geführten Krieges in Gefahr sind.“
Und wie bewerten die Kandidaten die künftige Rolle der Bundeswehr – braucht sie bessere Ausrüstung oder ist weniger mehr?
Ronja Kemmer, CDU: „Bei der Evakuierungsmission ist nochmal sehr schmerzhaft deutlich geworden, dass wir ohne die Amerikaner, die ja maßgeblich den Flughafen gesichert haben, schlicht nicht handlungsfähig sind. Es muss in Zukunft aber möglich sein, dass wir als Europäer solche Aufgaben im Zweifel auch ohne die Hilfe der Amerikaner durchführen können. Da geht es um bessere Ausrüstung der Bundeswehr. Als CDU stehen wir hier ganz klar weiter zum Ziel, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben. Es geht aber auch darum, sich durch gemeinsame Planung und Übungen mit den europäischen Partnern verstärkt auf solche Szenarien vorzubereiten.“
Jan Rothenbacher, SPD: „Die Bundeswehr müssen wir so finanzieren, dass sie ihre aktuellen Aufgaben erledigen kann. Da geben wir nicht genug, das ist nicht auskömmlich. Deutschland muss mehr investieren. Ich denke aber, der Weg, den wir eingeschlagen haben, ist der richtige. Es geht darum, die europäische Zusammenarbeit zu stärken. Aber: mit klaren Kriterien. In Afghanistan ist dies nicht geschehen, es gab keine Pläne, wie sich die Bundeswehr geordnet zurückzieht und die Leute mit rausholt. Es wird uns jahrelang verfolgen in anderen Krisenregionen, dass die Bundeswehr kein zuverlässiger Partner für die Ortskräfte in Afghanistan war. Es ist eine Schande.“
Marcel Emmerich, Grüne: „Die Europäische Union muss endlich eine eigene Außenpolitik gestemmt bekommen. Dabei muss Deutschland vorangehen. Die vergangenen Tage haben gezeigt, dass die Groko dazu nicht in der Lage ist.“
Alexander Kulitz, FDP: „Wir als FDP würden sogar mehr als drei Prozent ausgeben: Wenn der militärische Aspekt vernetzt wird mit Diplomatie und Entwicklungszusammenarbeit. Prinzipiell halte ich nichts von fixen Zahlen. Wenn wir uns eine Bundeswehr leisten, dann muss diese funktionsfähig sein. Dass wir uns unabhängiger von den Amerikanern machen, davon halte ich nichts. Wir müssen aber schauen, welche Rolle wir besser ausfüllen können. In der Aufklärung, medizinisch, in der Logistik. Und ich bin ein riesen Fan einer gemeinsamen europäischen Verteidigung. Das impliziert eine europäische Armee. An diesem Ziel sollte politisch weiter gearbeitet werden.“
Kristof Heitmann, AFD: „Die AFD spricht sich für eine Stärkung der Bundeswehr aus, deren Flugzeuge zu einem sehr großen Teil noch nicht einmal mehr einsatzfähig sind. Das 2Prozent-ziel der Nato für den Anteil der Verteidigungsausgaben am Haushalt ist zügig zu erreichen – nicht so sehr wegen der Nato, sondern aus eigenem Interesse. Unsere Region hat eine reiche Militärtradition, die uns erhalten bleiben muss.“
David Rizzotto, die Linke: „Die Bundeswehr muss zur Verteidigung unseres Landes modernisiert werden. Wir sind auf Frieden aus. Jeder bewaffnete Konflikt im Ausland, an dem wir beteiligt waren, wirkte sich negativ für uns aus – bis heute. Und deswegen sind wir gegen Einsätze des Militärs im Ausland.“