Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Scholz macht die Merkel
Er kann Kanzlerin!“Mit dieser Anzeige wirbt die SPD in Zeitschriften für ihren Spitzenkandidaten Olaf Scholz. Und trifft damit offenkundig ein tiefes Bedürfnis der deutschen Wählerschaft. Die Frage „Darf‘s ein bisschen Wechsel sein?“beantworten viele Deutsche mit: „Ja, aber wirklich nur ein bisschen.“
Scholz gibt sei Wochen einfach die Angela Merkel und bedient diese Sehnsucht. Deswegen liegt er derzeit vorn, wenn man die Wählerinnen und Wähler fragt, wen sie als nächsten Kanzler oder Kanzlerin wollen. In der Union hatten viele Amts- und Mandatsträger gehofft, mit Armin Laschet den natürlichen Merkelnachfolger ins Rennen zu schicken und so ihre Abgeordnetensitze zu sichern. Doch Laschet agiert ungeschickt und hat das eine oder andere Mal zu oft herumlaviert. Führungsqualitäten, die die Wähler erwarten, hat der Nrw-ministerpräsident weder während Corona noch bei der Hochwasser-katastrophe in seinem Bundesland unter Beweis gestellt.
Und Annalena Baerbock? Eine junge Grüne ohne Regierungserfahrung, die noch dazu bereits einige Fehler begangen hat – das wäre eben mehr als nur ein bisschen Wechsel.
Olaf Scholz dagegen vermittelt den Eindruck, unfallfrei durch diesen Wahlkampf zu kommen. Trotz seiner Rolle im Wirecard-skandal, in dem zumindest von ihm verantwortete Aufsichtsbehörden ihre Pflicht sträflich vernachlässigten. Mittlerweile zieht der Scholz-effekt offenkundig auch seine Partei mit – bei der man inhaltlich eigentlich nicht so recht weiß, wofür sie denn nun steht.
Zwar gehen in diesem Wahlkampf Themen im Trubel ums Personal nahezu unter. Eines der Risiken für Scholz liegt dennoch darin, dass sich etwa die Parteichefin Saskia Esken mit zu steilen Thesen aus der Deckung wagen könnte und die Angst der Wähler vor zu viel Wandel schürt. Und: Es könnte sich rächen, dass Scholz ein Bündnis mit den Linken zwar an Bedingungen knüpfte, aber nicht ausschloss. Rot-grün-rot wäre dann doch sehr viel mehr Wechsel für Deutschland. Die Furcht davor dürfte an der Urne noch Stimmen kosten.