Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Wie viele Krankenhäuser Deutschland braucht
Steigende Kosten belasten das Gesundheitswesen – Die Parteien haben unterschiedliche Pläne für die Kliniken
- Deutschland leistet sich mehr Klinikbetten pro 1000 Einwohner als Nachbarländer wie Frankreich, Belgien, die Schweiz oder Dänemark. Auf Dauer ist das nicht zu finanzieren.
Die meisten Deutschen nehmen Krankenhäuser erst wahr, wenn sie oder einer ihrer Lieben medizinische Hilfe brauchen. Corona hat das geändert. Auf einmal diskutierte das Land die Zahl der Intensivbetten, sprach über abgesagte Operationen, überfordertes Pflegepersonal und freie Betten. Der Staat sprang mit großzügigen Ausgleichzahlungen ein. Diese lagen „in der Summe höher als die durch die Leistungsreduktion hervorgerufenen Mindererlöse“, gerade bei kleineren Kliniken, urteilt das Rwi–leibniz-institut für Wirtschaftsforschung Essen. So hätten die 10,2 Milliarden Euro an Ausgleichszahlungen 2020 die Erlöse im Schnitt um 3,7 Prozent ansteigen lassen.
Doch die so selbstverständliche Versorgung durch die Krankenhäuser ist massiv bedroht. Seit Jahren verschlechtert sich ihre Finanzlage. 2019 schrieb laut RWI jede dritte Klinik rote Zahlen, 13 Prozent der Krankenhäuser waren sogar insolvenzgefährdet. Zum Vergleich: 2016 lag der Anteil der verlustträchtigen Kliniken etwa zwei Drittel niedriger. Auch der Ausblick ist finster. Nach Corona könnte sich die Lage sogar noch einmal verschlechtern. „Der Anteil der von Insolvenz bedrohten Kliniken wird in den kommenden Jahren voraussichtlich weiter steigen“, sagt Rwi-gesundheitsexperte Boris Augurzky.
Dabei geben die Krankenkassen immer mehr für die Kliniken aus. 2020 waren es 81,55 Milliarden Euro, gut eine Milliarde mehr als 2019 und fast so viel wie für alle niedergelassenen Ärzte und Medikamente zusammen. Die finanzielle Schieflage befeuert eine Debatte, die bereits vor Corona zum Teil heftig geführt wurde. AOK-CHEF Martin Litsch etwa erklärte jede vierte Klinik für überflüssig, die Bertelsmann-stiftung gar jedes zweite Krankenhaus. Tatsächlich weisen Experten seit Jahren darauf hin, dass sich Deutschland mit 1914 Kliniken über seine Verhältnisse lebe, was auf Dauer nicht durchzuhalten sei. Sogar Ingo Morell, der Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft, spricht von „viel Wildwuchs“.
Baden-würtembergs Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) verfolgt im Südwesten bereits seit Amtsantritt 2016 einen strikten Kurs der Konzentration auf große Zentren, dem fielen unter andere mkleine Häuser in Weingarten,
Riedlingen und Spaichingen zum Opfer.
Laut OECD gibt es in der Bundesrepublik 7,9 Betten pro 1000 Einwohner. Nachbarländer wie Frankreich (5,8), Belgien (5,5) und die Schweiz (4,6) leisten sich deutlich weniger.
Nimmt man sich gar Dänemark zum Vorbild, wird der Abstand noch größer: Dort gibt es 2,6 Betten pro 1000 Bürger.
Entsprechend kommen die Wahlprogramme der Bundestagsparteien um das Thema nicht herum, ohne allerdings allzu konkret zu werden. Für die Union sind Krankenhäuser „in Stadt und Land ein wichtiger Anker der medizinischen Versorgung“, bedarfsgerechte und flächendeckende Angebote müssten in der Krankenhausfinanzierung aber „wesentlich stärker berücksichtigt werden, gerade mit Blick auf den ländlichen Raum“.
Im Zentrum der Diskussion dreht es sich darum, die Angebote der niedergelassenen Ärzte (ambulant) besser mit denen der Kliniken (stationär) zu verzahnen. Auch weil die Behandlung in der Praxis ohne Betten deutlich billiger ist. Die SPD nennt das eine „Neuordnung der Rollenverteilung“zwischen beiden Bereichen, die FDP den Abbau der „künstlichen Sektorenbarriere“. Gelten müsse „ambulant vor stationär“.
Für den Fdp-gesundheitspolitiker Andrew Ullmann, selbst Arzt, kann jeder fünfte stationäre Fall ambulant behandelt werden. Das sehen die Grünen ähnlich, die zudem eine verbindlichere Krankenhausplanung fordern, für die der Bund Grundsätze definieren soll. „Welche Angebote es vor Ort gibt, darf nicht davon abhängen, was sich rentiert oder was sich Träger noch leisten können, sondern muss sich danach richten, was nötig ist“, heißt es im Wahlprogramm. Angesichts der Probleme ist für die grüne Gesundheitsexpertin Maria Klein-schmeink klar: „Ein Weiter so geht nicht.“
Es fällt auf, dass mehrere Parteien den Anteil privater Betreiber zurückdrängen oder ihnen strengere Regeln auferlegen wollen. Die SPD möchte „die Kommerzialisierung im Gesundheitswesen beenden“, hier erzielte Gewinne müssten „verpflichtend und weitestgehend wieder in das Gesundheitssystem zurückfließen“. Bei Grünen und Linken klingt das ähnlich – es gehe um Gemeinwohlorientierung und darum, den Trend hin zu Privatisierung umzukehren. Die AFD fordert „eine Begrenzung privater Träger im Krankenhausbereich bei maximal 60 Prozent“.
Die FDP dagegen lehnt eine „Ungleichbehandlung von privaten, öffentlichen und konfessionellen Trägern entschieden ab“, sieht aber auch die Notwendigkeit einer Strukturreform – und zwar einer gut durchdachten. „Wir brauchen nämlich keine Reform“, sagt Andrew Ullmann, „die wir vier Jahre später wieder über den Haufen schmeißen.“