Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Die Welt will betrogen sein
Detlev Bucks „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“sind eine charmante Aktualisierung des Klassikers
Bereits vor dem Ersten Weltkrieg konzipierte Thomas Mann seinen Roman „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“. Doch alles blieb ein Torso, über 40 Jahre lang. Immer wieder schrieb Mann weiter am Buch, schrieb die Geschichte um, bis sie schließlich 1954 – ein Jahr vor seinem Tod – veröffentlicht wurde. Zweimal wurde der Roman seitdem verfilmt, jetzt wagen sich Regisseur Detlev Buck („Knallhart“) und Schriftsteller Daniel Kehlmann („Die Vermessung der Welt“) an den Stoff. Das Ergebnis ist eine aktualisierte Neufassung.
Er ist ein Bluffer. Ein Mann mit gewinnendem Aussehen. Ein junger Mann ohne Vergangenheit: Der Vater Selbstmörder nach Bankrott, die Familie ohne Namen in der Gesellschaft; in einer Gesellschaft, die selbst vor allem auf Schein gebaut ist. Thomas Manns Roman über den Hochstapler Felix Krull ist eine Geschichte, die ganz aus unserer Gegenwart stammt, auch wenn sie schon vor rund 70 Jahren geschrieben wurde. Denn es geht hier um eine kosmopolitische, flirrende Figur, um Identitätswechsel zwischen Paris und Lissabon, Königshöfen und Grandhotels und um ein hedonistisches Lebensgefühl aus Lust und Genuss.
Die „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“werden in Detlev Bucks Film nach einem Drehbuch von Daniel Kehlmann, einem erklärten Thomas-mann-fan, dezent bearbeitet. Nicht etwa aktualisiert, sondern weiterentwickelt. Ein Liebesaber dreieck wird hinzugedichtet, erzählt wird im Rückblick. Felix Krull (Jannis Niewöhner), Kellner in einem Hotelrestaurant, trifft sich mit dem Marquis de Venosta (David Kross), der bei allen Ähnlichkeiten grundverschieden ist, und weiht diesen in seine Lebensgeschichte ein: Als Sohn eines bankrotten Sektfabrikanten aus dem Rheingau kam er nach Paris, entdeckte sein Talent, sich wie ein Chamäleon geschmeidig an die Erwartungen anderer anzupassen. Krull ist das Gegenteil eines Rebellen. Er lebt jederzeit im Einverständnis mit der Welt im Wissen, dass diese betrogen werden will. Beide jungen Männer verbindet auch die Liebe zur schönen Zaza (Liv Lisa Fries).
Dies ist also keine brave Literaturverfilmung des bereits zweimal – 1957 und 1982 – mit jeweils eher mäßigem Erfolg adaptierten Stoffes. Für den Deutschunterricht ist sie
trotzdem verwendbar – nämlich um einzuführen und Lust zu machen auf mehr von Thomas Mann, diesem „legitimen Nachfolger Goethes im 20. Jahrhundert“(Literaturkritiker Denis Scheck). Das liegt auch an den jungen, immer noch unverbrauchten Schauspielern, obwohl Jannis Niewöhner (Krull) und Liv Lisa Fries (Zaza) gerade gefühlt in so ziemlich jedem zweiten Historienfilm zu sehen sind. Besonders angenehm ist das Wiedersehen mit „Vorleser“-star David Kross (Marquis de Venosta). Dazu kommen tolle Nebendarsteller wie der Österreicher Nicholas Ofczarek.
Dass die „Bekenntnisse ...“gut funktionieren, liegt aber noch mehr an der Ausstattung. Dies ist klassisches Kostümfilmkino mit einer gehörigen Portion „Grand Budapest Hotel“-lässigkeit und -Spielerei sowie einem Touch von „Lala-land“.
Das ist nicht dezent, sondern dick aufgetragen; es ironisiert die Kostümschinken, die man aus deutschen Filmförderlanden so oft serviert bekommt, durch Übertreibung. Das Licht ist golden, die Szene kitschig – Kino „bigger than life“.
Dabei ist dies alles durchaus modern. Modern an diesem Film ist das Leichtfüßige und der Charme. Die Hauptfigur ist ein Illusionist und Träumer, ein Gentleman-gauner und ein sehr freier Mensch. Buck und Kehlmann liefern die Blaupause eines charmanten Hochstaplers. Der Regisseur hat sich, wie er freimütig zugibt, sehr darüber geärgert, dass er keine Fördergelder für seinen Film bekam. Das lag offenbar vor allem an Kehlmanns Drehbuch und seiner Sprache: Nicht zeitgemäß-realistisch, aber auch nicht Thomasmann-artig, sondern irgendetwas dazwischen.
An der zeitlos-modernen Ausstrahlung des im Großen und Ganzen gelungenen Films ändert dies aber nichts. Die tröstliche, in unseren heutigen politisch überkorrekten Zeiten fast revolutionäre Botschaft: Die Gesellschaft ist veränderbar, mach dich frei von allen Zuschreibungen. „Corriger la fortune“nennt das Thomas Mann im Roman – „das Schicksal korrigieren“. Auf Deutsch: Die Welt will betrogen sein.
Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull, Regie: Detlev Buck, Deutschland 2021, 114 Min., FSK ab 12. Mit Jannis Niewöhner, David Kross und Liv Lisa Fries.