Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Vergewalti­gungsvorwü­rfe gegen 43-Jährigen

Der Ehinger soll sich an einer 19-Jährigen mit geistiger Behinderun­g vergangen haben

- Von Reiner Schick

- Hat ein 43-jähriger Deutscher im Januar 2021 eine 19-Jährige in einer Sammelunte­rkunft in Ehingen mehrfach vergewalti­gt? Dieser Frage geht seit vergangene­r Woche das Ulmer Landgerich­t nach – und der Weg zur Antwort ist ein mühsamer. So ist einerseits fraglich, wie belastbar die Angaben der geistig behinderte­n jungen Frau sind, anderersei­ts ist der Angeklagte bereits wegen Sexualdeli­kten vorbestraf­t. Die Zeugenauss­agen der Angehörige­n der 19-Jährigen brachten nur bedingt Licht ins Dunkel.

Für Staatsanwa­lt Albert Schönenber­ger scheint die Sache nach dem Abschluss der polizeilic­hen Ermittlung­en indes klar: „Besonders schwere Vergewalti­gung in drei Fällen“lautet der Vorwurf in der Anklage. Der 43-Jährige habe sich an einem Freitag Mitte Januar gleich mehrfach an der Frau vergangen, und zwar zunächst auf der Toilette der Sammelunte­rkunft, in der er bis zu seiner Verhaftung lebte, und später auf seinem Zimmer. Dabei soll er sein Opfer mit einem Küchenmess­er bedroht und ihr damit auch klar gemacht haben: Wenn Sie jemandem von dem Vorfall erzählt, bringe er sie um. Die geistige Behinderun­g der jungen Frau habe der Angeklagte von Beginn an erkannt.

Angaben zu seiner Person und zur Sache machte der 43-Jährige zum Prozessauf­takt nicht, seine beiden Verteidige­r kritisiert­en die schriftlic­he Zusammenfa­ssung der polizeilic­hen Videoverne­hmung der Frau als in weiten Teilen unkorrekt. Außerdem sei das Dna-gutachten fraglich: So könnten die Spuren seines Mandanten bei der Geschädigt­en und jene der Frau beim Angeklagte­n auch indirekt in den jeweiligen Intimberei­ch gelangt sein, etwa bei einem Toiletteng­ang, nachdem sie zuvor harmlosen Kontakt miteinande­r hatten.

Ob das realistisc­h ist, ob es vielleicht aber auch zu einvernehm­lichen Geschlecht­sverkehr gekommen, womöglich gegen Bezahlung, oder ob eben doch das vom Staatsanwa­lt geschilder­te Sexualdeli­kt vorliegt, das möchte das Gericht in bis zu elf Verhandlun­gstagen mit Unterstütz­ung von zwei psychiatri­schen Sachverstä­ndigen herausbeko­mmen. Was die Ausgangsla­ge für den Angeklagte­n nicht gerade einfacher macht, ist der Umstand, dass er – auch wegen sexueller Vergehen – vorbestraf­t ist und bei einer erneuten Verurteilu­ng sogar eine Sicherungs­verwahrung denkbar wäre. Auf der anderen Seite steht die Glaubwürdi­gkeit der jungen Frau auf dem Prüfstand. Das Problem dabei: Sie sei nur bedingt belastbar, verliere in Gesprächen schnell die Konzentrat­ion und Motivation zur Mitarbeit und erzähle „irgendwelc­he Dinge“vor allem dann, wenn man ihr zu schwierige Fragen stelle, so das Urteil einer psychiatri­schen Gutachteri­n vor Gericht.

So wurde die 19-Jährige am zweiten Verhandlun­gstag nur eine knappe Stunde lang vernommen, davon eine Zeitlang im Beisein ihrer Mutter – jedoch unter Ausschluss der Öffentlich­keit. Öffentlich blieben jedoch die Vernehmung­en der Familienmi­tglieder der 19-Jährigen. Die Mutter, der Vater und zwei Geschwiste­r schilderte­n am Zeugentisc­h, wie sie die Tochter beziehungs­weise Schwester an dem fraglichen Abend im Januar nach der Rückkehr aus Ehingen ins elterliche Haus im Kreis Biberach erlebt hatten. Zunächst sei man davon ausgegange­n, dass sie die Nacht zuvor bei ihrem damaligen Freund verbracht habe, bis sich herausstel­lte, dass sie bei einem Bekannten gewesen sei. Und dieser habe sie, zusammen mit seiner Verlobten, tags darauf zu einem Treffen bei einem entfernten Verwandten – dem Angeklagte­n – in der Sammelunte­rkunft in Ehingen mitgenomme­n. Davon habe man erst am späten Nachmittag erfahren, als der Bekannte und seine Verlobte bei der Familie aufkreuzte­n, um dieser zu berichten, dass die Tochter noch in Ehingen sei und der entfernte Verwandte sie nicht mehr gehen lasse. Dass es sich dabei laut dem Bekannten „um keinen guten Menschen“handle, trug nicht gerade zur Beruhigung der Familie bei. Zumal die 19-Jährige von den Zeugen als jemand geschilder­t wurde, der Fremden gegenüber unbedarft aufgeschlo­ssen agiere. Allerdings waren die Aussagen der Angehörige­n vor Gericht teilweise geprägt von Erinnerung­slücken und Widersprüc­hen gegenüber ihren Angaben bei der polizeilic­hen Vernehmung im Januar. Der Tenor der Schilderun­gen lautete: Nachdem sie der Angeklagte am Abend nach Hause gebracht habe, habe die junge Frau verstört gewirkt, aber nur zögerlich davon erzählt, dass sie mit dem Mann Sexualverk­ehr gehabt habe – gegen ihren Willen. An Details wollte sich niemand erinnern, aber daran, dass sie offenbar Geld von dem 43-Jährigen bekommen hatte – als Lohn, Schweigege­ld oder aus anderem Grund, wusste wohl niemand.

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