Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Urteil im Messerstecher-prozess steht aus
Wichtiger Zeuge ist mittlerweile untergetaucht – Tatwaffe konnte nicht identifiziert werden
- Auch am vierten Verhandlungstag des Bad Buchauer Messerstecher-prozesses hat der Vorsitzende Richter Veiko Böhm noch kein Urteil sprechen können. Verteidiger Stefan Zinser hielt es für unerlässlich, noch zwei weitere Zeugen zu der Sache zu hören. Sie sollen am 22. September vor dem Landgericht Ravensburg aussagen. Am selben Tag wird dann auch das Urteil erwartet – genau ein Jahr nach der Messerattacke, bei der ein heute 40-jähriger Buchauer vor seiner Wohnung seinen 20 Jahre alten Kontrahenten am Hinterkopf verletzt haben soll.
Der Mann muss sich deshalb unter anderem wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und vorsätzlicher Körperverletzung verantworten. Darüber hinaus bezieht die Anklageschrift einen weiteren Vorfall mit ein, der sich etwa eineinhalb Stunden vor der Messerattacke vor einem Supermarkt in der Bad Buchauer Stadtmitte ereignet haben soll. Hier war der schwer alkoholkranke und drogensüchtige Angeklagte wohl das erste Mal mit dem 20-Jährigen aneinander geraten, als sich der Jüngere in eine Auseinandersetzung einmischte. Dabei habe, so die Anklage, der 40-Jährige seinem Kontrahenten mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Und auch eine unbeteiligte Zeugin bekam im Gerangel einen Hieb auf den Oberarm ab.
Da die junge Zeugin in der Verhandlung jedoch verdeutlichte, auf Strafverfolgung verzichten zu wollen, änderte das Gericht mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft den Anklagepunkt ab. Ursprünglich lautete dieser auf Körperverletzung in zwei Fällen, nun muss sich der Angeklagte nur für den Faustschlag verantworten. Auch weitere Punkte erwiesen sich im Verlauf des Prozesses als vernachlässigbar. So hatten zwei Polizeistreifen den Angeklagten nach dem Streit vor dem Supermarkt vor dessen Wohnung aufgesucht. Dass der betrunkene und aggressive Mann dabei die Polizisten zu bespucken versuchte, wertete das Gericht nach den Zeugenaussagen nicht länger als tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte. Sehr wohl bestehen bleibt dagegen der
Vorwurf der Beleidigung – der Angeklagte soll vor allem einen der Polizisten aufs Übelste beschimpft haben.
Nachdem die Beamten Pfefferspray einsetzten, hatte sich die Situation dann zunächst beruhigt und die Polizisten überließen den Mann in der Obhut seines Bruders. Kurz darauf kam es jedoch erneut zu einer verhängnisvollen Begegnung: Der 20-Jährige passierte mit drei Bekannten – wohl zufällig – die Straße, der Angeklagte bemerkte es vom Fenster seiner Wohnung aus und rief sie zu sich. Wie sehr dann die vier jungen Männer den Streit mit dem 40-Jährigen provoziert hatten, das versuchten Richter, Staatsanwalt und Verteidiger anhand der verschiedenen Zeugenaussagen herauszufinden. Die damalige Freundin des Angeklagten hatte angegeben, einer der jungen Männer habe nach einem wütenden Wortwechsel versucht, über das Fenster in die Erdgeschoss-wohnung einzudringen. Um sich zu schützen, habe sie alle Rollläden heruntergelassen.
Der Vorsitzende Richter Böhm griff diesen Punkt am vierten Verhandlungstag erneut auf, bei dem ein Ulmer Polizeibeamter im Zeugenstand zu Wort kam. Der Kriminaltechniker hatte den Tatort und auch die Wohnung des Angeklagten untersucht. Tatsächlich seien die Rollläden weit herabgelassen worden, bestätigte er. Dass allerdings die jungen Männer zudem noch den großen Aschenbecher vor dem Haus in die Wohnung geworfen hätten, davon fand der Ermittler keine Spuren mehr.
An der Treppe vor dem Mehrfamilienhaus konnte der Kriminaltechniker dagegen mehrere Blutspuren sichern. Hier war es zum Kampf gekommen, während dem der Angeklagte ein hinter dem Rücken verborgenes Messer gezückt und dem 20Jährigen einen 15 bis 18 Zentimeter langen Schnitt über dem linken Ohr zugefügt haben soll. Die Narbe ist bis heute zu sehen. Die Tatwaffe wurde während den Ermittlungen nicht gefunden. Ein Klappmesser im Wohn-/ Schlafbereich habe keine Spuren aufgewiesen, berichtete der Kriminaltechniker. Auch in der Küche hätten die Ermittler „diverse Messer aufgefunden und asserviert“, so der Zeuge. Bei keinem hätten sich jedoch konkrete Ansatzpunkte gefunden, dass sie als Tatwaffe verwendet worden seien.
Ein weiterer Mitarbeiter der Spurensicherung soll nun am fünften Verhandlungstag in den Zeugenstand gerufen werden. Auch ein Bekannter des Angeklagten, der zumindest bei der Auseinandersetzung vor dem Supermarkt gesehen wurde, ist als Zeuge zur Verhandlung geladen. Das Problem: Der Mann, wohl ebenfalls alkohol- und drogenabhängig, ist untergetaucht. Weil gegen ihn zwei Haftbefehle vorlägen, sei er auch zur Festnahme ausgeschrieben, so Richter Böhm. Nach mehreren vergeblichen Versuchen, etwa über seine Eltern Kontakt aufzunehmen, habe das Gericht aber „keine weiteren Ideen“, wie man ihm habhaft werden könne. Ob er also am 22. September vor Gericht erscheint, ist damit mehr als fraglich.