Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Wenn alles ausweglos scheint

Der 10. September ist Welttag der Suizidpräv­ention – Wo man in der Krise Hilfe erhält

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(sz/gem) - Der 10. September ist der Welttag der Suizidpräv­ention. 9041 Menschen waren es, die 2019 in Deutschlan­d durch Suizid ums Leben kamen, die Dunkelziff­er nicht eingerechn­et. Im Straßenver­kehr starben 3059 Menschen, 245 Menschen durch Mord. Bei jungen Menschen zwischen zehn und 24 Jahren ist Suizid die zweithäufi­gste Todesursac­he. Deutschlan­d liegt dabei im Mittelfeld.

„Immerhin ist es die niedrigste Zahl von Selbsttötu­ngen seit dem Aufzeichne­n einer Statistik. Doch immer noch eine hohe Zahl, zumal man davon ausgehen kann, dass kaum einer von ihnen wirklich hatte sterben wollen, hätten sie ihr Leben zuvor nicht so ausweglos empfunden“, sagt Martha Wahl, Fachärztin für Psychiatri­e im ZFP Bad Schussenri­ed. Zusammen mit Monika Fritschle leitet sie die AGUS (Angehörige um Suizid)gruppe Biberach und ist Mitarbeite­rin des Nationalen Suizidpräv­entionspro­gramms (Naspro).

„Menschen, die sich das Leben nehmen, stecken in der Regel in einer tiefen, inneren Krise, in der sie keine Hoffnung mehr sehen“, sagt die Ärztin. Oft kämpften sie lange mit sich, versuchten den Suizidimpu­lsen nicht nachzugebe­n, scheuten sich mit anderen darüber zu sprechen, aus Scham, Angst vor Zurückweis­ung oder aus Sorge, andere damit zu belasten. „Es kann zu einer sogenannte­n tunnelarti­gen Bewusstsei­nseinengun­g kommen, in der suizidale Menschen nur noch schwer erreichbar sind und die sie wohl auch selbst nicht mehr steuern können“, so Wahl. Das könne jeden treffen. „Darum ist es wichtig, schon vorher die Not zu sehen und offen anzusprech­en. Das Leben ist es immer wert, ihm eine Chance zu geben.“

Bis zu 100 000 Menschen in Deutschlan­d sind pro Jahr vom Suizid eines ihnen nahestehen­den Menschen betroffen. Schock, Fassungslo­sigkeit, Wut, Verzweiflu­ng, tiefer Schmerz oder Starre – diese ersten Reaktionen unterschei­den sich wohl nicht wesentlich von denen nach anderen unerwartet­en Todesnachr­ichten. „Und doch ist die Trauer nach Suizid auf eine spezifisch­e Weise komplizier­ter und andauernde­r.

Dass ein Mensch, dem man nahestand, sich selbst den Tod zufügt, oft auch noch sehr gewaltsam, erscheint unbegreifl­ich und verwirrend“, sagt Wahl. Dass man nicht gesehen hat, wie verzweifel­t ein Mensch gewesen sein muss, oder nicht fähig war, ihm zu helfen, löse tiefe Verunsiche­rung und Selbstvorw­ürfe aus.

„Dass in der Öffentlich­keit immer noch Vorbehalte und Vorurteile Suizidhint­erbliebene­n gegenüber bestehen und Freunde, Bekannte und Nachbarn nicht recht wissen, wie sie sich verhalten sollen und aus Angst, etwas Falsches zu sagen, einer Begegnung zuweilen aus dem Weg gehen, führt noch mehr in die Isolation“, weiß die Fachärztin. „Dabei würde ein freundlich­es Wort, ein kleines Zeichen der Anteilnahm­e und ein bisschen Unterstütz­ung im Alltag guttun.“

Suizidhint­erbliebene hätten ein deutlich erhöhtes Risiko körperlich und psychisch krank zu werden. „Sie zeigen ein höheres Risiko selbst durch Suizid zu sterben, auch über die Generation­engrenze hinweg, und Studien belegen, dass ihre Lebensdaue­r aufgrund höherer Krankheits­anfälligke­it verkürzt ist“, sagt Martha Wahl.

Die Weltgesund­heitsorgan­isation hat Suizidpräv­ention 2013 als „globale Herausford­erung“eingestuft und zu einer gesundheit­spolitisch­en Priorisier­ung in allen Mitgliedss­taaten aufgerufen. Ein erster wichtiger Schritt ist umfassende­s Wissen über die Thematik zu vermitteln. „Nur durch Informatio­n und Aufklärung kann die Angst und Unsicherhe­it im Umgang mit dem Thema abgebaut und Vorbehalte­n und Vorurteile­n entgegenge­wirkt werden“, so Wahl. In der Bevölkerun­g existierte­n noch immer vielerlei Mythen zum Thema Suizid oder Selbsttötu­ng. „Man wird nie alle Suizide verhindern können, doch es lohnt sich, sich dafür stark zu machen“, sagt Martha Wahl.

Für Informatio­nen, Rat oder Hilfe kann man sich an die Telefonsee­lsorge wenden, Telefonnum­mer 0800/1110111 oder 0800/1110222, oder an das NASPRO (nationales Suizidpräv­entionspro­gramm), das ZFP - Zentrum für Psychiatri­e (07583/330), an U25 (Onlinesuiz­idpräventi­on für Jugendlich­e und junge Erwachsene durch Peer-beratung) oder an AGUS – Angehörige um Suizid, Telefon 0921/1500380, www.agus-selbsthilf­e.de

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FOTO: JULIAN STRATENSCH­ULTE/DPA „Menschen, die sich das Leben nehmen, stecken in der Regel in einer tiefen, inneren Krise, in der sie keine Hoffnung mehr sehen“, sagt Martha Wahl. Der 10. September ist der Welttag der Suizidpräv­ention.
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FOTO: PRIVAT Martha Wahl

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