Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
USA sind so zerrissen wie nie
Zwanzig Jahre nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 besteht genügend Abstand, klarer zu sehen, wie dieser Tag die Welt verändert hat.
Statt die beispiellose Einheit in den Tagen nach dem Angriff auf die Symbole der Supermacht zu nutzen, die Nation zusammenzubringen, droht die amerikanische Gesellschaft heute an inneren Spannungen zu zerreißen. Die Amerikaner können sich angesichts einer anderen Katastrophe nicht einmal mehr auf so grundlegende Dinge verständigen, wie eine Maske zu tragen oder sich impfen zu lassen. Einheimische Extremisten stürmten den Us-kongress und stellen nach Einschätzung des FBI eine mindestens so große Gefahr dar wie die ideologischen Nachfahren Osama bin Ladens.
Dass in Afghanistan kurz vor dem Jahrestag des 11. September dieselben Taliban-fundamentalisten an die Macht zurückkehrten, die den Terroristen der Al-kaida einst erlaubten, ungestört für ihren bewaffneten „Dschihad“zu trainieren, lässt sich an bitterer Ironie kaum überbieten. George W. Bush führte den Westen in einen „Krieg gegen den Terrorismus“mit dem Ziel, Musterdemokratien in der islamischen Welt zu schaffen, die so attraktiv sind, dass andere folgten. Die Dominosteine fielen leider in die andere Richtung.
Weder die Nationenbildung im Irak noch die in Afghanistan führten dem erklärten Ziel näher, die Welt sicherer vor Terrorismus zu machen. Im Gegenteil mobilisierte die Besetzung dieser Länder unerschöpfliche Reservoirs an Ressentiments und Extremismus. Vom „Islamischen Staat“im Mittleren Osten und Europa über Boko Haram und Al-shabaab in Afrika bis hin zu Abu Sayyaf auf den Philippinen metastasierte das von binladen inspirierte Terrornetz weltweit. Und bleibt eine Bedrohung.
Trotz enormer Investitionen in die Sicherheit und nie da gewesener Überwachungskapazitäten bleiben die USA verwundbar. Die Nation verpasste die Chance, sich im Angesicht der Katastrophe durch Rückbesinnung auf ihre Stärken zu erneuern. 20 Jahre nach dem 11. September sind die „Uneinigen Staaten“von Amerika die größte Bedrohung für sich selbst.