Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Wenn der Schrecken auch heute noch präsent ist
Zwei Menschen aus der Region erzählen, wie sie den Terror am 11. September in New York City erlebten
- Yvonne Arnold, die im Landkreis Biberach aufgewachsen ist, und Karl-heinz Braun, gebürtiger Weingärtler, sind am 11. September 2001 in New York City. Beide haben eigentlich ihren ersten Arbeitstag. Arnold bei einem Finanzunternehmen, Braun beim Auswärtigen Amt. Doch noch bevor der Tag richtig starten konnte, passiert Schreckliches. Um 8.45 Uhr Ortszeit rast ein Flugzeug in den nördlichen Turm des World Trade Centers, unweit von Arnolds und Brauns Arbeitsplätzen entfernt. Wenig später steuert eine zweite Maschine auf den Südturm zu, und in Washington stürzt eine weitere Passagiermaschine auf das Pentagon. Arnold und Braun erleben die Terroranschläge aus nächster Nähe und kämpfen noch heute mit den Folgen eines Traumas. Was sie erlebten, erzählen sie selbst.
Yvonne Arnold ist in Langenenslingen aufgewachsen und hat ihr Abitur in Riedlingen gemacht. Heute lebt sie in Stuttgart. Sie arbeitet als Aufnahmeleiterin. An den Tagen um den 11. September nimmt sie sich jedes Jahr frei, um zu entspannen, und schaut sich keine Nachrichten an.
Dass ich am 20. Jahrestag von 9/11 in einem Flugzeug sitzen werde, kann ich selbst noch nicht so ganz glauben. Erst nachdem ich den Urlaub schon gebucht hatte, fiel mir auf, auf welchen Tag der Flug fällt. Wegen der Terrorattacke hatte ich in den folgenden Jahren extreme Flugangst. Ich war damals 27 Jahre alt und an diesem Tag auf dem Weg zum
World Trade Center, um dort meinen ersten Arbeitstag anzutreten. Im Erdgeschoss gab es eine Rezeption mit Sicherheitskontrollen. Dort meldete ich mich an, als plötzlich eine schreiende Frau angelaufen kam. Sie rief „Call 911! A bomb, a bomb!“. Es kamen mehr Menschen mit erschrockenen Blicken angerannt, die immer wieder nach hinten schauten. Erst später erfuhr ich, was wirklich passiert war. Für mich war es ein schrecklicher Tag, der mich traumatisierte.
Am 20. Jahrestag blicke ich zurück und sehe, was ich für mich geschafft habe. Diesen Tag im Flugzeug zu verbringen, wäre vor fünf Jahren nicht möglich gewesen. Fliegen musste ich in all den Jahren beruflich immer wieder – allerdings unter großer Angst. Erst zwölf Jahre nach den Anschlägen hatte ich meine Flugängste abgebaut.
In den ersten zehn Jahren sprach ich viel mit anderen über meine Erlebnisse und schaute mir Dokumentationen dazu an. Dann änderte ich meine Methode und verarbeitete das Erlebte mehr für mich. 2011 schrieb ich alles in einem Blog auf und veröffentlichte ihn später. Das hat geholfen. In Seminaren lernte ich außerdem, dass auch andere Menschen Ängste haben, und zwar aus unterschiedlichsten Gründen. Ich gehe mittlerweile sehr sensibel mit dem Thema um und schütze mich somit selbst. Zugleich machte ich Fortbildungen, die mich befähigen, Opfer von Ängsten und traumatischen Erlebnissen am Telefon zu beraten. Ohne den 11. September hätte ich das wahrscheinlich nie gemacht.“
Karl-heinz Braun kommt aus Weingarten und lebt heute im Rheinsieg-kreis im Süden von Nordrheinwestfalen. Am 20. Jahrestag denkt er noch mal auf besondere Weise zurück an den Tag in New York City.
Ich hatte am 9. September 2001 meinen Dienstantritt beim Deutschen Generalkonsulat in der 46. Straße, unweit der Twin Towers.
Ich wohnte 30 Kilometer außerhalb von New York City und fuhr deshalb mit dem Zug am Hudson-river entlang – inklusive herrlicher Skyline der Stadt – und freute mich auf den ersten Arbeitstag.
Eine halbe Stunde nach Dienstbeginn begann der Terror, der nicht enden wollte. Den ganzen Tag über kamen Personen aus dem betroffenen Gebiet, wie in Mehl gewälzt, im Schockzustand, kaum ansprechbar. Ich hatte den 13. Stock verlassen und half, so gut ich konnte, mit Wasser und Gesprächen. Es war unfassbar.
Ich konnte mit einem Beamten der Vereinten Nationen gegen Mitternacht nach Hause zu meiner Frau fahren. Sie war zutiefst besorgt, da sie die Distanzen nicht zuordnen konnte und nicht wusste, wie es mir geht. Sie hatte von zu Hause über den Fernseher alles mitverfolgt und den Bildschirm abfotografiert. Ich selbst, vor Ort in Manhattan, hatte fürs Fotografieren keinen Kopf, da ich beruflich voll eingespannt war. Die kommenden Tage waren auf die Hilfen für Deutsche ausgerichtet, und es dauerte Monate und Jahre, das ganze Geschehen halbwegs zu verarbeiten. Die Belastung war so groß, dass ich bereits nach drei Jahren um Versetzung gebeten hatte. So verbrachte ich meine letzten vier aktiven Jahre an der Deutschen Botschaft in Moskau.
Der 20. Jahrestag der Terroranschläge ist für mich, durch die Besetzung von Afghanistan durch die Taliban, wie ein Schlag ins Gesicht. Ich empfinde Ohnmacht angesichts der vergeblichen 20-jährigen Bemühungen des Westens, dem Land Selbstständigkeit, Eigenverantwortung und Frieden zu bringen.“