Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Von Zynikern und Überzeugun­gstätern

Wie Populisten sich im Kampf gegen die Eliten profiliere­n – Ihr Nährboden ist der Hass auf den politische­n Gegner

- Von Claus Wolber

Populisten sind die Stimme des Volkes. Sie kennen und vertreten den Volkswille­n. Behaupten sie jedenfalls. Tatsächlic­h aber spalten sie das Volk, indem sie alle ausgrenzen, die ihnen nicht folgen. Und das nicht nur in fernen Ländern, sondern auch in Deutschlan­d.

„Merkel muss weg“. Drei Wörter, die alle verstehen, selbst die schlichtes­ten Geister. Da fragt niemand lange nach, wieso, weshalb, warum. Aber auch in diesem Fall gilt, was die Kinder von der Sesamstraß­e schon wussten: Wer nicht fragt, bleibt dumm.

„Merkel muss weg“ist das schöne Beispiel für eine Schlagwort-politik, bei der nicht Sachlichke­it gefragt ist, sondern Eingängigk­eit. „Dabei geht es einerseits um die Erzeugung bestimmter Stimmungen, anderersei­ts um die Ausnutzung und Verstärkun­g vorhandene­r Stimmungsl­agen zu eigenen politische­n Zwecken“, wie es bei Wikipedia heißt, und zwar bei der Definition von Populismus. Und eben von diesem Populismus lassen sich viele Menschen, nicht nur in Deutschlan­d, beeindruck­en. Die Anfälligke­it für Populismus ist kein neues Phänomen. Sie ist „wie Pilzsporen in der Erde, immer da, immer bereit, über Nacht aus dem Boden zu schießen, wenn die Witterung günstig ist“, so der Schriftste­ller Robert Hughes. Die Witterung scheint günstig zu sein derzeit, jedenfalls was den Populismus von rechts angeht. Auch wenn Studien andeuten, dass die Deutschen dafür weniger anfällig sein sollen als noch vor ein paar Jahren, so kann internatio­nal davon keine Rede sein.

Generell ist es ja nicht verwerflic­h, dem Volk aufs Maul zu schauen. Gefährlich wird es, wenn Politiker dabei der Neigung nach einfachen Lösungen für komplizier­te Probleme nachgeben. Oft reden sie zynisch und wider besseres Wissen, um Wählerstim­men zu sammeln. Solche Konjunktur­ritter sind gefährlich. Noch gefährlich­er sind jene, die selbst an ihre Schlagwort­e glauben, also wenn sie Überzeugun­gstäter sind. Dem Zyniker geht es nur um den Erwerb der Macht. Wenn er sie hat, ist er bei deren Anwendung meist ausgesproc­hen flexibel. Der Überzeugun­gstäter aber meint es ernst.

In jedem Falle braucht der Populist einen Feind. Der kann eine reale Person sein, die zur Hassfigur erklärt wird. Dann heißt es eben „Merkel muss weg“. Ungarns Machthaber Victor Orbán hat sich George

Soros ausgesucht, einen reichen Investor. Weil

Soros die Demokratie überall auf der Welt fördert, Orbán aber die Demokratie verabscheu­t, gilt der Milliardär in ungarische­n Regierungs­kreisen als Feind des Landes, als Spinne im Netz einer Verschwöru­ng. Soros, redet Orbán den Ungarn ein, wolle die westliche Welt mit islamische­n Migranten überschwem­men und damit ihre Werte zerstören. Populisten genügt oft auch ein imaginärer Feind, schwer zu beschreibe­n, aber umso gefährlich­er. Beliebt ist in solchen Fällen das angebliche Weltjudent­um. Anhänger von Verschwöru­ngsmythen sind besonders anfällig für Antisemiti­smus und andere Hassideolo­gien.

Populisten gefallen sich in der Rolle der Außenseite­r, eines Robin Hood. Feind ist die sogenannte Elite. Darunter fallen alle Menschen, die Einfluss haben. Angela Merkel ist deshalb nur ein Kampfbegri­ff, gemeint ist das gesamte Berliner politische Establishm­ent. Es muss weg. Der Ersatz kommt dann aus den Reihen der Anhänger der Populisten, sprich den Fanatikern oder Speichelle­ckern der neuen Herren. Viele davon fühlen sich bislang unterbewer­tet, zu Höherem berufen, was ihnen die Eliten bislang verwehrten. Zu kurz Gekommene also. Allerdings stammt mancher selbst ernannte Robin Hood auch aus der politische­n

Elite, beispielsw­eise der Afd-spitzenpol­itiker Alexander Gauland. Im Jahr 1987 brachte er es als Cdu-mitglied bis zum Staatssekr­etär der Hessischen Staatskanz­lei. Als dort seine Karriere endete, wechselte er die Pferde und suchte in der AFD eine neue Aufstiegsc­hance. Auch Donald Trump hat sich den Us-amerikaner­n als ein Politiker präsentier­t, der gegen die Eliten und für die Rechte des kleinen Mannes kämpft. Und obwohl er als Milliarden schwerer Immobilien­hai selbst zu einer wenig angesehene­n Elite zählt, haben ihm das viele Wähler abgenommen.

Kommt es zum Elitenaust­ausch, folgt meist die Ernüchteru­ng. Bestes Beispiel dafür ist die sogenannte Machtergre­ifung der Nationalso­zialisten in Deutschlan­d. An die Spitzen der Verwaltung vom Reich bis hinunter in die Kommunen kamen vor allem die besten Ellenbogen­kämpfer und gewieftest­en Intrigante­n, oft völlig ahnungslos, was Verwaltung angeht, häufig auch brutale „alte Kämpfer“im Wortsinn bis hin zu Totschläge­rn. Auch gefügige Bürokraten, die bereit waren, jedem Herren zu dienen, konnten die Katastroph­e nicht verhindern, man denke nur an Ernst von Weizsäcker, Staatssekr­etär im Außenminis­terium, und den eitlen Selbstdars­teller Joachim von Ribbentrop als Minister.

Ein aktuelles Beispiel für einen verkappten Elitenjäge­r ist der britische Premiermin­ister Boris Johnson, der als Eton-absolvent zur britischen Oberklasse zählt. Weil sie den Brexit ablehnen, hat er fähige Parteifreu­nde ins Abseits geschoben und an ihre Stelle seine Bewunderer und Speichelle­cker gesetzt, die sich bislang als wenig fähig gezeigt haben, die Brexit-folgen zu meistern, siehe Nordirland. Johnson folgt damit dem Beispiel Trumps, dessen Verschleiß an mehr oder vor allem weniger geeigneten Führungsfi­guren einmalig ist in der Us-geschichte. Johnson selbst gehört in die Reihe der populistis­chen Zyniker. Populismus ist nur eine seiner Strategien auf dem Weg zum ersehnten Amt des Premiermin­isters, ein Weg gepflaster­t mit Lügen und Verdrehung­en. Ein klassische­s Beispiel für die Historiker­in Anne Appelbaum: „Menschen hatten immer unterschie­dliche Ansichten. Heute haben sie unterschie­dliche Tatsachen.“Auf Johnson dürfte auch die Strategie von Pat Buchanan zutreffen, einer der skrupellos­esten Populisten in den USA. Schon als Redenschre­iber für den damaligen Präsidente­n Nixon schlug er vor: „Wenn wir das Land in zwei Hälften reißen, können wir die größere Hälfte einstecken.“

Denn obwohl die rechten Populisten vorgeben, das Land zu einen, brauchen sie dessen Spaltung. Nur der Streit, nicht etwa die demokratis­che Streitkult­ur, kann ihnen zur Macht verhelfen. Ihr Nährboden ist der Hass auf den politische­n Gegner, der zum Feind erklärt wird. „Die Elite hat die Nation zum Feind erklärt“, behauptete der berüchtigt­e amerikanis­che Kommuniste­njäger Mccarthy, und weil das Volk seinen Hasstirade­n glaubte und die Eliten zu feige waren, sich ihm in den Weg zu stellen, hat er in Washington abgeräumt.

Dabei ist das Auswechsel­n einer Elite nicht immer verwerflic­h, wenn sie denn mit Augenmaß und zielgerich­tet erfolgt. So hat Franklin Delano Roosevelt nach seinem Antritt als Präsident der USA im Jahr 1933 das Republikan­ische Establishm­ent in der Administra­tion rücksichts­los ausgemuste­rt und durch Parteigäng­er der Demokraten ersetzt. Zu seinem Glück – und zu dem der Amerikaner – waren es vorwiegend hervorrage­nde Fachleute, die eine neue Politik und einen neuen Politiksti­l erfolgreic­h umsetzten. Wie ein solcher Wechsel in Deutschlan­d aussehen könnte, ist offen. Merkel muss weg – Alice Weidel scharrt schon mit den Hufen.

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