Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Erschütternde Momente
Rückblick auf die Terroranschläge in den USA: Menschen aus der Region erinnern sich an den 11. September 2001
(ksc) - Unvergessliche, schockierende Momente: Die Terroranschläge am 11. September 2001 auf das World Trade Center in New York und das Us-verteidigungsministerium in Washington D.C. hat die Welt nachhaltig verstört. Am 20. Jahrestag erinnern sich Menschen aus der Region Riedlingen, wie sie die damaligen Ereignisse erlebten.
Klaus Merz, Feuerwehrkommandant der Bad Buchauer Feuerwehr und stellvertretender Kreisbrandmeister: An diesen Tag der Anschläge kann ich mich immer noch erinnern, als sei es gestern gewesen. Ein Kollege der Feuerwehr kam am späten Nachmittag zu mir ins Rathaus und sagte: „Hast du schon mitbekommen, dass ein Flugzeug in ein Hochhaus in New York geflogen ist?“So richtig glauben wollte ich das nicht. Nach Dienstschluss eilte ich gegen 17 Uhr nach Hause, schaltete sofort den Fernseher ein. Die Bilder von Düsenjets, die sich in die Hochhäuser bohrten, brannten sich in mein Gedächtnis ein. Mit meiner Frau und meinem damals zweijährigen Sohn saßen wir vor dem Bildschirm, als die Türme des World Trade Centers einstürzten. Die Dramatik war unbeschreiblich. Damals war ich bereits Feuerwehrkommandant. Mir schossen viele Fragen durch den Kopf: Wie kann so etwas passieren? Was würdest du machen, wenn du mit deinen Männern verrauchte, brennende Etagen nach Verletzten absuchst und zugleich ein weiteres Flugzeug im Nachbargebäude explodiert? Die Vorstellung, welches Schicksal die Opfer und Feuerwehrleute damals erlitten, erzeugt bei mir heute noch Gänsehaut. Am gleichen Abend hatten wir noch eine Feuerwehrübung in Bad Buchau. Wir sprachen den ganzen Abend über dieses unvorstellbare Ereignis während immer wieder das schreckliche Ereignis auf den Fernsehschirmen wiederholte. Wir fragten uns in diesem Moment, wie ein solches Gebäude überhaupt einstürzen kann. Noch wusste keiner, dass es ein Terroranschlag war. Am darauffolgenden Sonntag legten wir einen Blumenkranz am Ehrenmal der Buchauer Stiftskirche nieder – in Gedenken an die New Yorker Feuerwehrleute, die bei dem Anschlag ums Leben kamen.
Professor Michael Koch, Professor für Volkswirtschaftslehre und Nachhaltigkeit an der SRH Fernhochschule Riedlingen: Zum Zeitpunkt der Anschläge vor 20 Jahren befand ich mich im damaligen Handelsraum der Commerzbank in Frankfurt am Main, bei der ich seinerzeit rund zwei Jahre tätig war. Plötzlich empfingen wir über die Nachrichtenagenturen Meldungen, ein Kleinflugzeug sei gegen das World Trade Center in New York City geprallt. Wenige Minuten später sahen wir erste Bilder von den Wolkenkratzern. Da war mir klar: Das kann kein Kleinflugzeug gewesen sein. Nach der Kollision des Passagierjets mit dem zweiten Turm spürte ich die Panik im Handelsraum: Wie würden die Finanzmärkte auf das Ereignis reagieren?
Kurze Zeit später erfuhr ich zudem, dass ein Flugzeug ins Pentagon in Washington D.C. gesteuert worden war – ein Schock, denn ab 1991 lebte ich rund zehn Jahre in der Ushauptstadt und arbeitete für die Weltbank, die sich im Stadtzentrum befindet. Freunde und Bekannte lebten dort. Sofort habe ich mit ihnen telefoniert, unter anderem mit Kollegen. In der Hauptstadt herrschte Chaos. Die Weltbank und fast alle anderen Büros im Zentrum wurden evakuiert, die Menschen nach Hause geschickt. Sicherheitskräfte riegelten die Innenstadt hermetisch ab. Kolleginnen berichteten, sie seien stundenlang zu Fuß in Stöckelschuhen durch die Stadt geirrt, um einen sicheren Ort zu finden. Noch am gleichen Tag wurde mir klar, dass nichts mehr so sein würde wie vorher. In den Frankfurter Hochhäusern herrschte in der unmittelbaren Zeit nach den Terroranschlägen Angst. Dort überprüften wir und Sicherheitspersonal die Fluchtwege. Wir verfolgten mit Sorge die politischen Diskussionen, ob verdächtige Flugzeuge im Luftraum des Frankfurter Flughafens abgeschossen werden dürften. Zudem nahm ich wahr, wie sich die Vereinigten Staaten nach den Anschlägen zügig von der Außenwelt abschotteten.
Rund zwei
Monate nach dem 11. September flog ich wieder nach Washington D.C. Bei der Grenzkontrolle spürte ich plötzlich die
Skepsis gegenüber Ausländern, obwohl ich in den USA ein Haus hatte und über Jahre hinweg ohne Aufenthaltsbeschränkung lebte. Die Offenheit und Herzlichkeit, die ich bis 2001 erlebt hatte, waren distanzierter Höflichkeit gewichen. Auch nach 2003, als ich wieder für die kommenden Jahre bei der Weltbank arbeitete, waren Vorsicht und erhöhte Sicherheitsauflagen in den Vereinigten Staaten zu spüren. Vor dem 11. September konnte ich morgens meinen VW Golf einfach vor dem Weltbankgebäude in Washington parken. Heute wäre das undenkbar, denn die Verwaltung ist ein Hochsicherheitstrakt und schwer zugänglich.
Maximilian Paul, Geschäftsführer der Paul Maschinenfabrik in Dürmentingen: Fassungslosigkeit war das erste Gefühl, das in mir Aufstieg, als ich die ersten Bilder des Anschlags in New York als 16-Jähriger sah. Damals war ich noch Schüler des Riedlinger Kreisgymnasiums. Am späten Nachmittag des 11. Septembers 2001 kam ich gerade mit meiner Mutter vom Einkaufen nach Hause. Ich schaltete den Fernseher ein und sah sofort die Bildsequenzen, in der ein Flugzeug auf den Hochhausturm des World Trade Centers prallte. Im ersten Augenblick fragte ich mich, warum um diese Uhrzeit bereits Actionfilme liefen. Wenig später war mir klar, dass es
Realität war. Für mich war es das erste historischpolitische Ereignis, das mich einschneidend prägte. Es war so etwas wie das Ende der behüteten Welt. Im Übrigen wirken die Ereignisse des 11. Septembers bis heute beim Us-geschäft der Paul Maschinenfabrik nach: Die Bestimmungen in der Luftfracht haben sich seither maßgeblich verschärft. Die Angst vor in Paketen versteckten Sprengkörpern besteht bis heute.
Dr. Christa Enderle, Ärztin und Vorsitzende des Ortsverband des Deutschen Roten Kreuzes in Riedlingen: Wie an vielen normalen Arbeitstagen bin ich am Mittag des 11. Septembers 2001 von meiner damaligen Hausarztpraxis in mein angrenzendes Wohnhaus gegangen, um mit meinem Lebensgefährten Nachrichten
zu schauen. Das haben wir immer so gemacht, um zu wissen, was in der Welt los ist. Wir schalteten den Fernseher ein und sahen die Twin Towers in New York: Der erste Turm rauchte, in den zweiten raste ein Flugzeug. Es folgte eine gewaltige Explosion. Vor lauter Überraschung konnte ich im ersten Augenblick nichts damit anfangen, doch ich spürte ungeheuerliches Entsetzen und Trauer. Es war ein Gefühl von Trauer, gemischt mit Angst und Mitgefühl für die zahlreichen Verletzten und Toten und deren Angehörige. Wie gehen Menschen auf dieser Welt miteinander um?
Wie werden die Amerikaner damit umgehen?
Nach diesen emotionalen, erschütternden
Bildern kann man nicht rational denken. Ein erster Impuls war: Was kann ich jetzt tun? Ich spürte aber auch, das Ereignis ist zu weit weg, um sofort als Helfende aktiv zu werden.
Klaus Sanke, Pfarrer der Seelsorgeeinheit Langenenslingen: Die traurige Botschaft von einem Anschlag erreichte mich damals in dem Augenblick, als Verwandte meiner Haushälterin im Pfarrhaus eintrafen. Sie erzählten von Berichten im Radio, Flugzeuge seien in das World Trade Center gesteuert worden. Es war ein Schock. Umgehend schalteten wir den Fernseher ein und verfolgten das Geschehen am Bildschirm bis in die Nacht. Betroffenheit und Entsetzten machten sich in mir breit. Erst einige Tage später konnte ich die Situation besser einordnen, nachdem immer Fakten über das Attentat veröffentlicht worden waren. Sämtliche Gespräche im Ort waren von dem Thema geprägt. Gut erinnere ich mich an die unfassbare, ergreifende Geschichte von Yvonne Gebele, Tochter des damaligen Langenenslinger Bürgermeisters. Ihre Mutter erzählte mir zwei Tage nach dem Anschlag, Yvonne habe ihren ersten Arbeitstag am 11. September bei einer Firma im World Trade Center antreten wollen. Nur durch Zufall sei sie mit dem Leben davon gekommen. Die Eltern glaubten anfangs, sie sei bei dem Anschlag ums Leben gekommen. Einige Tage später feierten wir angesichts der entsetzlichen Geschehnisse einen Gedenkgottesdienst.
Jürgen Köhler, Bürgermeister von Ertingen: Mich erreichten die schrecklichen Neuigkeiten am 11. September 2001 auf dem Weg nach Spanien. Mit einem Freund fuhr ich mit einem Lieferwagen, Motorräder transportierend, in die Pyrenäen. Wir wollten einige Tage Urlaub mit Freunden verbringen und Motorcross-touren fahren. Irgendwo in Frankreich hörten wir die Nachrichten von der Attacke im Radio. An der nächsten Tankstelle rollten wir von der Straße, setzten uns vor einen Fernseher und tranken Kaffee. Was wir dann sahen, war für mich surreal, bedrückend und wahnsinnig: Flugzeuge rammen die Hochhäuser, Tausende Menschen sterben. Das Ereignis beschäftigte mich und meine Freunde die folgenden Tage. Wir fragten uns, wie Menschen so eine Tat verüben können. Was steckt dahinter? Wie geht’s weiter? Uns wurde bewusst, wie verletztlich unsere Gesellschaft ist. Eine niedergeschlagene Stimmung lag wie Mehltau über unserem Urlaub.
Angelika Bush, Certified Paralegal, geborene Altheimerin aus Colorado Springs: Anders als in den USA üblich habe ich beim Frühstück am Morgen des 11. Septembers kein Fernsehen geschaut. Kurze Zeit später fuhr ich zur Arbeit in unsere Rechtsanwaltskanzlei in der Innenstadt. Im Büro angekommen, wunderte ich mich, warum alle Mitarbeiter im großen Konferenzraum vor dem Fernseher standen. Ich dachte: Was ist hier los? Ich betrat das Zimmer und in diesem Moment flog das Flugzeug in den zweiten Turm des World Trade Centers. Alle waren schockiert, aber die meisten Mitarbeiter wussten schon vor Arbeitsbeginn Bescheid, was in New York passiert. Mein erster Gedanke war: Muss mein Mann, der bei den Special Forces in einer militärischen Spezialeinheit arbeitete, zu einem Einsatz?
Später haben wir den ganzen Tag gebannt vor dem Fernseher gesessen. Ich erinnere mich an eine Mitarbeiterin, die panisch wurde und brüllte: „Wir wurden attackiert!“Sie wollte sofort das kleine zweistöckige Bürogebäude sperren lassen und eine Evakuierung planen. Was folgte, war die düstere, spürbare Stille der folgenden Tage: Autofahrer vermieden es zu hupen, Football-spiele wurden abgesagt. Die Menschen trauerten. Aber sie rückten auch zusammen, spendeten Geld für die Hinterbliebenen der Getöteten.