Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Ein Lügenbaron will er nicht sein
Nach der großen Münchner Shoppingtour bei RB steht vor dem Duell vor allem Trainer Nagelsmann im Fokus
- Nein, die Meisterschaft wird an diesem vierten Spieltag nicht vergeben. Es fällt auch keine Vorentscheidung, wenn der letztjährige Vizemeister RB Leipzig den langjährigen Abomeister FC Bayern am Samstag (18.30 Uhr/sky) empfängt. Doch das Rennen um die Schale könnte schon zu Beginn der Saison richtig heiß werden, da beide Mannschaften im direkten Duell ihre Visitenkarte hinterlassen wollen. „Statementsieg“sagt man dazu in der Branche, ein Erfolg brächte drei Punkte de luxe, versehen mit einem Ausrufezeichen: Merkt euch das, Freunde!
Weshalb sich Trainer Julian Nagelsmann tierisch ärgerte, als er mit den Leipzigern Anfang April (das ist also erst fünf Monate her!) den Bayern mit Chefcoach Hansi Flick am 27. Spieltag 0:1 unterlag. Danach hatte der Branchenprimus sieben Zähler – und eben nicht nur einen einzigen – Vorsprung, Titel Nummer 9 hintereinander stand nichts mehr im Wege, der Angriff des Herausforderers war abgewehrt. Auch die Rb-profis Dayot Upamecano und Marcel Sabitzer gehörten zu den Enttäuschten. Wieder diese Bayern! Immer diese Bayern!
Nun, im Spätsommer, sieht man sich wieder. Mit dem ehemaligen Abwehrchef Upamecano und Ex-kapitän Sabitzer im Bayern-trikot. Es dürfte ein großes Hallo geben in der Red Bull Arena, ein Abklatschen und Umarmen hier und da. Vielleicht aber auch den ein oder anderen bösen Blick zu höflichen Shakehands sowie ein lautstarkes Grollen von den Rängen. Denn vom Großteil der 34 000 zugelassenen Fans sind üble Pfiffe gegen die ganze Kompanie der Rückkehrer zu erwarten, für die Abteilung Seitenwechsler dürfte es noch ungemütlicher werden als für das ohnehin schon wenig geschätzte restliche Bayern-ensemble.
Vor allem Nagelsmann, der nach zwei Jahren als Coach bei RB an seinen ehemaligen Arbeitsplatz zurückkehrt, wird im Zentrum der Ablehnung stehen. Die Vorahnung des 34-Jährigen: „Ich habe etwas die Sorge, dass mich die Leipzig-fans nicht ganz so freudig empfangen.“Leipzigboss Oliver Mintzlaff richtete unter der Woche einen Appell in Sachen Fairness an die eigenen Fans, sagte: „Julian hat bei uns mit seinem Trainerstab eine fantastische Arbeit geleistet, ebenso wie die beiden Spieler.“
Die Emotionen rund um die Rückkehr beschäftigen Nagelsmann sehr, das merkte man ihm bei der Pressekonferenz am Freitagmittag an der Säbener Straße an. An manchen Stellen versuchte der gebürtige Bayer das Thema wegzuwitzeln: „Ich gehe mit voller Vorfreude ins Spiel und zittere nicht, ob da ein paar Leute pfeifen. Auch wenn es 34 000 sind. Ich höre eh nicht mehr so gut.“Doch wie sehr die Vorwürfe, er sei „ein Lügenbaron“, in ihm arbeiten, kam in einer Verteidigungsrede zum Ausdruck. „Ich weiß, dass ich als Lügenbaron dargestellt wurde, möchte das gar nicht so an mich ranlassen. Ich hätte mich auch hinsetzen und sagen können, dass ich sechs Spieler und sieben Staff-mitarbeiter mitnehmen möchte. Das wäre bei den Fans auch nicht besser angekommen.“Über seinen Trainerstab stellte er klar: „Abgesehen von Maximilian Pelka (dem Sportpsychologen von RB, d. Red.) habe ich alle Leute meines Staffs selbst mitgebracht, und nun sind sie mit mir weitergezogen.“Damit meinte er seine Assistenten Xaver Zembrod, Dino Toppmöller und Benjamin Glück. Tatsächlich ein in der Branche normaler Vorgang.
Wenn da nicht die beiden Rb-leistungsträger auf dem Feld wären. Noch mal Nagelsmann, noch mal als Anwalt seiner selbst: „Mit Upamecano habe ich gar nichts zu tun. Es war vor meiner Unterschrift bei Bayern schon klar, dass er geht. Da gab’s Momente, wo ich mich darüber geärgert habe.“Stimmt – das war im Februar, Leipzig erhielt die im Vertrag fixierte Ablösesumme von 42,5 Millionen Euro. Und Sabitzer, der Nachzügler kurz vor Transferschluss, der anders als Upamecano am Samstag zunächst auf der Bank sitzen wird? „Er wollte nicht verlängern, hatte nur noch ein Vertragsjahr. Also ist es nicht ganz so schlecht für RB gelaufen, dass wir ihnen noch etwas überwiesen haben.“Knapp 16 Millionen Euro Ablöse. Schmerzensgeld – sagen die einen, bestens investiertes Geld, die anderen.
Nagelsmann auf die Frage, ob der Österreicher beginnt oder besser Joker sei: „Sabi kann, denke ich, mit beiden Varianten gut leben und wäre auch eine gute Option von der Bank.“Und wie wertvoll sind Sabitzers Insidertipps über den vorherigen Arbeitgeber? „Ich bin keiner, der aktiv auf Spieler zugeht und sagt, erzähl mal alles“, meinte Nagelsmann und betonte: „Natürlich kennt man den Gegner und beobachtet ihn. Ich kenne natürlich noch viele Spieler und deren Stärken und Schwächen. Aber wir haben auch eine gute Analyse-abteilung. Die Dinge, die mir Marcel gesagt hat, waren auch nichts Weltbewegendes, das wir noch nicht gesehen haben oder wussten.“Siehe da: Die Kiste mit den Psychospielchen ist geöffnet.