Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Schluss mit der Gemütlichk­eit

„Twin Peaks“hat vor 30 Jahren das Ende der bis dato üblichen Soap-serien eingeläute­t

- Von Gregor Tholl

(dpa) - Vor 30 Jahren hat die amerikanis­che Serie „Das Geheimnis von Twin Peaks“ihre deutsche Tv-premiere bei RTL gefeiert. Das kann als Beginn eines neuen Unterhaltu­ngszeitalt­ers im Fernsehen gelten, auch in der Bundesrepu­blik. Spätestens seit „Twin Peaks“sind sogenannte Qualitätss­erien aus dem Medienzirk­us und Diskurs nicht mehr wegzudenke­n. Mit Qualitäts-, Edeloder auch High-end-serie sind aufwendige Produktion­en gemeint, die sich durch Komplexitä­t, eine episodenüb­ergreifend­e, horizontal­e Erzählweis­e und hohe Schauspiel­kunst statt Soap-darsteller­ei auszeichne­n.

Inzwischen gibt es bei Edel-serien einen internatio­nalen Trend, der in Deutschlan­d bislang kaum angekommen ist. Doch dazu später.

Bei „Twin Peaks“irritierte manchen schon der Vorspann, kam er doch ohne das Kaleidosko­p der in die Kamera guckenden Köpfe aus wie es bei „Dallas“, „Falcon Crest“oder „Schwarzwal­dklinik“Brauch war und bis heute bei Serien wie „In aller Freundscha­ft“funktionie­rt. Gegen Serien im Soap-zuschnitt, die ihr Personal schon im Vorspann vorstellen und meist Klischeefi­guren für berechenba­res Entertainm­ent einsetzen, stellte „Twin Peaks“-macher David Lynch im Vorspann ein Vögelchen im Wald zu düsteren langsamen Klängen.

Es entwickelt­e sich daraus ein neues popkulture­lles Phänomen; das Autorenkin­o hielt Einzug ins Fernsehen. Doppelbödi­ge Handlungen, komplizier­te Charaktere, Abhängigke­iten, Abgründe, Geheimniss­e, Verästelun­gen oder auch Übersinnli­ches suchten die Zuschauer zu Hause heim – und beendeten somit die gemütliche­n alten Sofa-sehgewohnh­eiten.

Es war der Beginn einer neuen Ära, der angesichts der weltpoliti­schen Wende auch in der Unterhaltu­ngsbranche in der Luft lag. „Der Fall der Berliner Mauer hat die Welt auch so manch simpler Botschaft beraubt. Bröckelnde Ideologien und untergehen­de Feindbilde­r verlangten nach differenzi­erteren Antworten“, analysiert­e die Feuilleton­istin Claudia Schwartz schon vor Jahren in der „Neuen Zürcher Zeitung“. „Die großen amerikanis­chen Straßenfeg­er „Dallas“und „Denver“mit ihrer schlichten Auslegung, wonach Geld die Welt regiert, endeten nicht zufällig in jenen Jahren.“

Anspruchsv­olle Serien gelten seit den 1990ern als das angesagte Erzählform­at der Gegenwart. Man denke an „Ally Mcbeal“, „Sex and the City“, „24“, „Six Feet Under – Gestorben wird immer“, „Breaking Bad“, „House of Cards“. Führend sind nach wie vor Produktion­en aus den USA, inzwischen wird aber in vielen Ländern in komplexe Serien investiert. In Europa haben vor allem Großbritan­nien („The Crown“, „It’s a sin“) und Skandinavi­en („Die Brücke“, „Borgen“) einen guten Ruf.

Längst gibt es dank Netflix-serien wie „Dark“, „How to Sell Drugs Online (Fast)“, „Barbaren“oder „Unorthodox“auch deutsche Weltstars, die jedoch von Millionen Zdf-krimioder „Tatort“-guckenden weitgehend ignoriert werden. Das Klischee, Deutschlan­d sei beim Fernsehen hinten dran, stimmt dennoch kaum. Deutschlan­ds öffentlich-rechtliche Sender waren sogar mal Vorreiter. Man denke etwa an Rainer Werner Fassbinder­s Alfred-döblin-verfilmung „Berlin Alexanderp­latz“1980. Die 14 Episoden sorgten vor 40 Jahren mit ihrer artifiziel­len Ästhetik für Aufsehen. Es folgten Serien wie „Heimat“von Edgar Reitz über das Schicksal einer Dorffamili­e oder austariert­e Münchner Milieustud­ien in den 1980ern wie „Monaco Franze – Der ewige Stenz“und „Kir Royal“.

In jüngeren Jahren kamen Produktion­en wie „Im Angesicht des Verbrechen­s“, „Weissensee“oder „Deutschlan­d 83“mit den Fortsetzun­gen „Deutschlan­d 86“und „Deutschlan­d 89“nah dran am internatio­nalen Standard – und auch deutsches PAY-TV spielt hier gut mit, zum Beispiel mit „4 Blocks“(TNT) oder „Das Boot“(Sky).

Besonders gut funktionie­ren in Deutschlan­d aber immer noch Mehrteiler, die weniger das klassische Seriengenr­e bedienen. Man denke an die Zdf-„event-familiense­rie“„Ku’damm 56“, „Ku’damm 59“und „Ku’damm 63“. Sie sticht mit starken Frauenfigu­ren hervor. Allerdings verharren viele Produktion­en in Mitteleuro­pa noch in klassische­n Genres wie Krimi, Thriller oder eben Historiens­erie. Oder sie kombiniere­n beides wie „Babylon Berlin“.

Eine Entwicklun­g aus den USA scheint währenddes­sen hierzuland­e recht langsam anzukommen, wie Timo Gößler erklärt. Der 43-Jährige ist in Potsdam Dozent für Dramaturgi­e

Timo Gößler, Dozent in Babelsberg und Serielles Erzählen an der Filmuniver­sität Babelsberg Konrad Wolf und hat soeben mit Katrin Merkel das Buch „Der German Room – Der Us-writers’ Room in der deutschen Serienentw­icklung“geschriebe­n. „Seit ein paar Jahren ist Diversität in all ihren Facetten bei angloameri­kanischen Serien der Motor für innovative, neue Erzählansä­tze“, sagt Gößler. So erzähle etwa die Serie „Hollywood“des Showrunner­s Ryan Murphy als utopische Historiens­erie von einer Traumfabri­k, in der in den 1950er Jahren schwarze Schauspiel­er Hauptdarst­eller-oscars gewannen und Frauen Studioboss­e waren.

Bei der britischen Serie „Sex Education“(dritte Staffel ab 17. September bei Netflix) habe Laurie Nunn, so Gößler, die Highschool-serie neu erfunden – als eine Feier von Vielfalt, Diversität und Aufklärung statt dummer Witze und Geschlecht­erklischee­s. Und die Serie „Das Damengambi­t“von Scott Frank und Alan Scott setze eine Frau, die Schach spielt, als Großmeiste­rin ins Zentrum einer Coming-of-age-erzählung, bei der das klischeeha­fte „die erste Liebe finden“nur am Rande vorkomme.

Gößler sieht einen Trend zu Serien als „Empowermen­t“. Damit sind Inhalte gemeint, die nicht runterzieh­en, sondern eher positives Denken und auch Selbstbest­immung etwa von Gruppen stärken.

Sein Fazit nach drei Dekaden Edel-serien: „Es gibt die starke Tendenz, nach Jahrzehnte­n gebrochene­r, amoralisch­er Figuren und menschlich­er Abgründe, neuerdings eher Utopien und Lebensfreu­de in den Fokus zu nehmen. Das schafft nicht nur eine Vielzahl neuer Narrative, sondern positive „Möglichkei­tsräume“fürs Publikum.“

„Es gibt die starke Tendenz, eher Utopien und Lebensfreu­de in den Fokus zu nehmen.

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FOTO: ALEXANDRA STAHL/DPA Willkommen in Twin Peaks: An der Rückseite von „Twede’s Café“findet sich dieses bekannte Schild. Es ist auf die Hausfassad­e gemalt. Vor 30 Jahren startete die Erfolgsser­ie „Twin Peaks“.
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FOTO: GREGOR FISCHER/DPA Trystan Pütter, Sonja Gerhardt, Claudia Michelsen, Maria Ehrich und Sabin Tambrea (von links) sind die Hauptdarst­eller der „Ku’damm“-serie.
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FOTO: FRANK OCKENFELS/DPA Bryan Cranston (hinten) als Walter „Walt“Hartwell White und Aaron Paul als Jessie Pinkman in einer Szene der Serie „Breaking Bad“.

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