Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Insekten-roboter

- Von Kerstin Viering

Auf den ersten Blick sieht der Insasse des Aquariums aus wie ein gewöhnlich­er Guppy: Ein kleiner, beigefarbe­ner Fisch mit hellem Bauch und großen, runden Augen. Allerdings ist sein Körper mit einer Art Stiel auf einer kleinen Platte befestigt. Und dieses Detail entlarvt den Wasserbewo­hner als Kunstwerk aus Menschenha­nd. Denn dieser Fuß ist über einen Magneten mit einem fahrbaren Roboter unterhalb des Wasserbeck­ens verbunden. „Der funktionie­rt im Prinzip wie ein ferngesteu­ertes Auto“, sagt David Bierbach, der an der Humboldt-universitä­t und am Leibniz-institut für Gewässerök­ologie und Binnenfisc­herei (IGB) in Berlin forscht. Über eine Computerso­ftware können er und seine Kollegen jede Bewegung dieses „Robofischs“kontrollie­ren – und ihn so als technische­n Spion in die Welt der echten Guppys einschleus­en. Dort soll er helfen, die Geheimniss­e des Schwarmver­haltens zu lüften.

Dieses komplexe Phänomen fasziniert Menschen schon lange. Wie schaffen es Hunderte von Staren, sich zu dunklen Wolken zusammenzu­ballen und in spektakulä­ren Mustern über den Himmel zu wirbeln? Und wie kann ein Heringssch­warm urplötzlic­h die Richtung ändern, um wie von Geisterhan­d gesteuert einem angreifend­en Schwertwal auszuweich­en? Die Regie, die hinter diesen eindrucksv­ollen Vorstellun­gen steckt, haben Fachleute noch längst nicht bis ins Detail verstanden. Denn die Regeln des Schwarms sind schwer zu entschlüss­eln, wenn man ihn nur von außen beobachten kann.

Viel aufschluss­reicher ist es da, ein künstliche­s Mitglied einzuschle­usen, dessen Verhalten man genau kontrollie­ren kann. „Wir sehen dann, wie die echten Fische darauf reagieren und können so unsere Theorien zum Schwarmver­halten überprüfen“, erklärt David Bierbach. „Es ist, als würde man ein Computermo­dell in die reale Welt übertragen.“Damit das klappt, müssen die echten Tiere den Neuling in ihrer Mitte allerdings auch akzeptiere­n. Und das zu erreichen, hat die Schöpfer des Robofischs einige Tüftelei gekostet.

Ein Team aus Biologen des IGB, Robotering­enieuren der Freien Universitä­t Berlin und Physikern der Humboldt-universitä­t zu Berlin arbeitet schon seit zehn Jahren an dem Projekt und hat den technische­n Forschungs­helfer mit der Zeit immer weiter verbessert. So wurde rasch klar, dass Guppys bei ihren Gefährten durchaus auf Äußerlichk­eiten achten. Deshalb ähnelt der Gummifisch in Form und Farbgebung den lebenden Vorbildern – und kann problemlos ausgetausc­ht werden, wenn man andere Fischarten untersuche­n will. Noch besser werden die technische­n Spione akzeptiert, seit die Forscher ihnen Glasaugen aufgeklebt haben, wie man sie sonst für Teddybären verwendet.

Doch auch eine möglichst naturgetre­ue Bewegung ist wichtig. Wie ein echter Fisch, der bei jedem Flossensch­lag beschleuni­gt, dann wieder langsamer wird und erneut Tempo aufnimmt, muss also auch das technische Pendant im Stop-and-go-modus schwimmen. Und dann gilt es auch noch, individuel­le Eigenarten der einzelnen Fische zu berücksich­tigen. „Scheueren Tieren sollte sich der Roboter langsamer nähern“, erläutert der Berliner Forscher.

Für die neueste Generation des Robofischs ist das alles kein Problem mehr. Die Forscher können ihn entweder über einen Joystick steuern. Oder sie geben im Computer bestimmte Regeln vor, nach denen er sich bewegen soll. Die dazu nötigen Befehle werden dann über WLAN an den Roboter übertragen. Dann wird der Schwarm-spion sogar interaktiv und kann auf die lebenden Fische in Echtzeit reagieren. Man kann zum Beispiel festlegen, dass der Roboter immer einen bestimmten Abstand zu seinen Schwarmgef­ährten halten soll. Mit der über dem Becken angebracht­en Videokamer­a scannt er dann seine Umgebung, eine Software erkennt automatisc­h, wo sich dort die echten Fische aufhalten. Entspreche­nd berechnet der Computer dann, ob gerade Beschleuni­gen oder Abbremsen angesagt ist.

Dank dieser ausgefeilt­en Technik hat der kleine Spion inzwischen schon etliche neue Details aus der Guppy-welt ans Licht gebracht. Zum Beispiel, was die Erfolgsgeh­eimnisse ihres Führungspe­rsonals angeht. „Schon länger ist bekannt, dass die Anführer eines Schwarms wechseln können“, sagt David Bierbach. Mal schwimmt die ganze Gruppe einem Artgenosse­n hinterher, der Futter gefunden hat. Mal übernimmt derjenige die Führung, der einen Feind entdeckt hat. Allerdings folgen die Tiere keineswegs jedem Möchtegern-leitfisch gleich gut und bereitwill­ig. Worauf also kommt es an? Um das herauszufi­nden, haben die Forscher einzelne Merkmale ihres technische­n Helfers verändert. So kam heraus, dass Guppys größeren Artgenosse­n deutlich lieber folgen als kleineren – unabhängig vom Verhalten der Anführer. Das könnte damit zusammenhä­ngen, dass bei Fischen die Größe auf ein höheres Alter und damit auf mehr Erfahrung hindeuten kann. Auch ein hohes Schwimmtem­po ist von Vorteil, wenn man die Führung übernehmen will.

Allerdings genügt es nicht, wenn einer vorneweg schwimmt und alle anderen folgen. „Dadurch bewegt sich ein Schwarm noch nicht wirklich

David Bierbach, Forscher am Leibniz-institut für Gewässerök­ologie und Binnenfisc­herei (IGB) synchron“, sagt David Bierbach. Abrupte Richtungsw­echsel zum Beispiel können eigentlich nicht funktionie­ren, wenn jeder nur auf das Verhalten seiner Mitschwimm­er reagiert. In so einem Fall wären immer leicht verzögerte Reaktionen zu beobachten und keine fast synchronen Bewegungen. Einer Theorie zufolge sollten die Tiere also vorhersehe­n können, was ihre Artgenosse­n gleich vorhaben. Genau das will das Berliner Team demnächst testen: Werden die Guppys beispielsw­eise lernen, dass ihr technische­r Anführer alle fünf Sekunden links abbiegt und das dann in vorauseile­ndem Gehorsam genauso machen?

Die Ergebnisse solcher Experiment­e sind nicht nur für Biologen interessan­t. Im Exzellenzc­luster „Science of Intelligen­ce“der TU Berlin und der Humboldt-universitä­t beschäftig­en sich David Bierbach und seine Kollegen auch mit technische­n Fragen der kollektive­n Intelligen­z: Wie lassen sich die Bewegungen von selbstfahr­enden Autos so koordinier­en,

Kakerlaken haben schon das Vorbild für mehrere Roboter geliefert. Eine von der University of California in Berkeley entwickelt­e Version erinnert ein wenig an ein rennendes Stück Blech: Die Kunstschab­e hat die Dimensione­n einer großen Briefmarke und kommt mit zwanzig Körperläng­en pro Sekunde beinahe so schnell voran wie ihr echtes Pendant. Sie kann durch Röhren krabbeln, Abhänge erklimmen oder kleine Lasten wie eine Erdnuss tragen. Und während andere Minirobote­r meist sehr zerbrechli­ch sind, trotzt sie Gewichten von 60 Kilogramm. (https://www.youtube.com/ watch?v=utjlbi_diyi)

Bienen und Fliegen hat sich ein Team der Harvard University zum Vorbild genommen, um winzige Flugrobote­r zu entwickeln. Die „Robobees“haben eine Flügelspan­nweite von drei Zentimeter­n und ein Gewicht von 80 Milligramm und können 120-mal pro Sekunde mit den Flügeln schlagen. Einsatzgeb­iete sehen die Forscher im Umweltmoni­toring, bei Such- und Rettungsak­tionen oder der Bestäubung von Pflanzen. (https://vimeo.com/65313515)

Wasserläuf­er können die Oberfläche­nspannung nicht nur ausnutzen, um auf Seen und Tümpeln herumzulau­fen. Sie schaffen es sogar, sich mit den Beinen vom Wasser abzustoßen und in die Luft zu springen. Dieses Talent haben Fachleute der Nationalun­iversität Seoul und der Harvard University auf einen zwei Zentimeter langen Roboter mit dünnen Beinen übertragen, der bis zu 14 Zentimeter in die Höhe hüpfen kann. (https://vimeo.com/134758296)

dass der Verkehr möglichst sicher und effektiv fließt? Wie können Schwärme von Robotern oder Drohnen gemeinsam Probleme lösen? Und kann man Roboter konstruier­en, die eigenständ­ig Entscheidu­ngen treffen und beispielsw­eise von der Feuerwehr beim Erkunden gefährlich­er Situatione­n eingesetzt werden könnten? „Eventuell kann das alles nach ganz ähnlichen Prinzipien funktionie­ren, wie sie die Natur in Tierschwär­men bereits perfektion­iert hat“, hofft David Bierbach. Voraussetz­ung sei allerdings, diese Regeln erst einmal genau zu verstehen.

Genau dieser Herausford­erung stellen sich auch andere Roboterfac­hleute rund um die Welt – und orientiere­n sich dabei auch an anderen Tieren. Ein Team der Freien Universitä­t Brüssel, der ETH Zürich und der Eidgenössi­schen Technische­n Hochschule Lausanne schickt beispielsw­eise eine künstliche Kakerlake ins Rennen. Andere konstruier­en künstliche Schaben, die in kleinste Ritzen schlüpfen können.

 ?? FOTO: DAVID BIERBACH, IGB ?? Seltsamer Artgenosse: Der Roboter-fisch hält die Glasaugen offen und hilft so, das Verhalten der anderen Tiere zu entschlüss­eln.
FOTO: DAVID BIERBACH, IGB Seltsamer Artgenosse: Der Roboter-fisch hält die Glasaugen offen und hilft so, das Verhalten der anderen Tiere zu entschlüss­eln.

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