Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Insekten-roboter
Auf den ersten Blick sieht der Insasse des Aquariums aus wie ein gewöhnlicher Guppy: Ein kleiner, beigefarbener Fisch mit hellem Bauch und großen, runden Augen. Allerdings ist sein Körper mit einer Art Stiel auf einer kleinen Platte befestigt. Und dieses Detail entlarvt den Wasserbewohner als Kunstwerk aus Menschenhand. Denn dieser Fuß ist über einen Magneten mit einem fahrbaren Roboter unterhalb des Wasserbeckens verbunden. „Der funktioniert im Prinzip wie ein ferngesteuertes Auto“, sagt David Bierbach, der an der Humboldt-universität und am Leibniz-institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) in Berlin forscht. Über eine Computersoftware können er und seine Kollegen jede Bewegung dieses „Robofischs“kontrollieren – und ihn so als technischen Spion in die Welt der echten Guppys einschleusen. Dort soll er helfen, die Geheimnisse des Schwarmverhaltens zu lüften.
Dieses komplexe Phänomen fasziniert Menschen schon lange. Wie schaffen es Hunderte von Staren, sich zu dunklen Wolken zusammenzuballen und in spektakulären Mustern über den Himmel zu wirbeln? Und wie kann ein Heringsschwarm urplötzlich die Richtung ändern, um wie von Geisterhand gesteuert einem angreifenden Schwertwal auszuweichen? Die Regie, die hinter diesen eindrucksvollen Vorstellungen steckt, haben Fachleute noch längst nicht bis ins Detail verstanden. Denn die Regeln des Schwarms sind schwer zu entschlüsseln, wenn man ihn nur von außen beobachten kann.
Viel aufschlussreicher ist es da, ein künstliches Mitglied einzuschleusen, dessen Verhalten man genau kontrollieren kann. „Wir sehen dann, wie die echten Fische darauf reagieren und können so unsere Theorien zum Schwarmverhalten überprüfen“, erklärt David Bierbach. „Es ist, als würde man ein Computermodell in die reale Welt übertragen.“Damit das klappt, müssen die echten Tiere den Neuling in ihrer Mitte allerdings auch akzeptieren. Und das zu erreichen, hat die Schöpfer des Robofischs einige Tüftelei gekostet.
Ein Team aus Biologen des IGB, Roboteringenieuren der Freien Universität Berlin und Physikern der Humboldt-universität zu Berlin arbeitet schon seit zehn Jahren an dem Projekt und hat den technischen Forschungshelfer mit der Zeit immer weiter verbessert. So wurde rasch klar, dass Guppys bei ihren Gefährten durchaus auf Äußerlichkeiten achten. Deshalb ähnelt der Gummifisch in Form und Farbgebung den lebenden Vorbildern – und kann problemlos ausgetauscht werden, wenn man andere Fischarten untersuchen will. Noch besser werden die technischen Spione akzeptiert, seit die Forscher ihnen Glasaugen aufgeklebt haben, wie man sie sonst für Teddybären verwendet.
Doch auch eine möglichst naturgetreue Bewegung ist wichtig. Wie ein echter Fisch, der bei jedem Flossenschlag beschleunigt, dann wieder langsamer wird und erneut Tempo aufnimmt, muss also auch das technische Pendant im Stop-and-go-modus schwimmen. Und dann gilt es auch noch, individuelle Eigenarten der einzelnen Fische zu berücksichtigen. „Scheueren Tieren sollte sich der Roboter langsamer nähern“, erläutert der Berliner Forscher.
Für die neueste Generation des Robofischs ist das alles kein Problem mehr. Die Forscher können ihn entweder über einen Joystick steuern. Oder sie geben im Computer bestimmte Regeln vor, nach denen er sich bewegen soll. Die dazu nötigen Befehle werden dann über WLAN an den Roboter übertragen. Dann wird der Schwarm-spion sogar interaktiv und kann auf die lebenden Fische in Echtzeit reagieren. Man kann zum Beispiel festlegen, dass der Roboter immer einen bestimmten Abstand zu seinen Schwarmgefährten halten soll. Mit der über dem Becken angebrachten Videokamera scannt er dann seine Umgebung, eine Software erkennt automatisch, wo sich dort die echten Fische aufhalten. Entsprechend berechnet der Computer dann, ob gerade Beschleunigen oder Abbremsen angesagt ist.
Dank dieser ausgefeilten Technik hat der kleine Spion inzwischen schon etliche neue Details aus der Guppy-welt ans Licht gebracht. Zum Beispiel, was die Erfolgsgeheimnisse ihres Führungspersonals angeht. „Schon länger ist bekannt, dass die Anführer eines Schwarms wechseln können“, sagt David Bierbach. Mal schwimmt die ganze Gruppe einem Artgenossen hinterher, der Futter gefunden hat. Mal übernimmt derjenige die Führung, der einen Feind entdeckt hat. Allerdings folgen die Tiere keineswegs jedem Möchtegern-leitfisch gleich gut und bereitwillig. Worauf also kommt es an? Um das herauszufinden, haben die Forscher einzelne Merkmale ihres technischen Helfers verändert. So kam heraus, dass Guppys größeren Artgenossen deutlich lieber folgen als kleineren – unabhängig vom Verhalten der Anführer. Das könnte damit zusammenhängen, dass bei Fischen die Größe auf ein höheres Alter und damit auf mehr Erfahrung hindeuten kann. Auch ein hohes Schwimmtempo ist von Vorteil, wenn man die Führung übernehmen will.
Allerdings genügt es nicht, wenn einer vorneweg schwimmt und alle anderen folgen. „Dadurch bewegt sich ein Schwarm noch nicht wirklich
David Bierbach, Forscher am Leibniz-institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) synchron“, sagt David Bierbach. Abrupte Richtungswechsel zum Beispiel können eigentlich nicht funktionieren, wenn jeder nur auf das Verhalten seiner Mitschwimmer reagiert. In so einem Fall wären immer leicht verzögerte Reaktionen zu beobachten und keine fast synchronen Bewegungen. Einer Theorie zufolge sollten die Tiere also vorhersehen können, was ihre Artgenossen gleich vorhaben. Genau das will das Berliner Team demnächst testen: Werden die Guppys beispielsweise lernen, dass ihr technischer Anführer alle fünf Sekunden links abbiegt und das dann in vorauseilendem Gehorsam genauso machen?
Die Ergebnisse solcher Experimente sind nicht nur für Biologen interessant. Im Exzellenzcluster „Science of Intelligence“der TU Berlin und der Humboldt-universität beschäftigen sich David Bierbach und seine Kollegen auch mit technischen Fragen der kollektiven Intelligenz: Wie lassen sich die Bewegungen von selbstfahrenden Autos so koordinieren,
Kakerlaken haben schon das Vorbild für mehrere Roboter geliefert. Eine von der University of California in Berkeley entwickelte Version erinnert ein wenig an ein rennendes Stück Blech: Die Kunstschabe hat die Dimensionen einer großen Briefmarke und kommt mit zwanzig Körperlängen pro Sekunde beinahe so schnell voran wie ihr echtes Pendant. Sie kann durch Röhren krabbeln, Abhänge erklimmen oder kleine Lasten wie eine Erdnuss tragen. Und während andere Miniroboter meist sehr zerbrechlich sind, trotzt sie Gewichten von 60 Kilogramm. (https://www.youtube.com/ watch?v=utjlbi_diyi)
Bienen und Fliegen hat sich ein Team der Harvard University zum Vorbild genommen, um winzige Flugroboter zu entwickeln. Die „Robobees“haben eine Flügelspannweite von drei Zentimetern und ein Gewicht von 80 Milligramm und können 120-mal pro Sekunde mit den Flügeln schlagen. Einsatzgebiete sehen die Forscher im Umweltmonitoring, bei Such- und Rettungsaktionen oder der Bestäubung von Pflanzen. (https://vimeo.com/65313515)
Wasserläufer können die Oberflächenspannung nicht nur ausnutzen, um auf Seen und Tümpeln herumzulaufen. Sie schaffen es sogar, sich mit den Beinen vom Wasser abzustoßen und in die Luft zu springen. Dieses Talent haben Fachleute der Nationaluniversität Seoul und der Harvard University auf einen zwei Zentimeter langen Roboter mit dünnen Beinen übertragen, der bis zu 14 Zentimeter in die Höhe hüpfen kann. (https://vimeo.com/134758296)
dass der Verkehr möglichst sicher und effektiv fließt? Wie können Schwärme von Robotern oder Drohnen gemeinsam Probleme lösen? Und kann man Roboter konstruieren, die eigenständig Entscheidungen treffen und beispielsweise von der Feuerwehr beim Erkunden gefährlicher Situationen eingesetzt werden könnten? „Eventuell kann das alles nach ganz ähnlichen Prinzipien funktionieren, wie sie die Natur in Tierschwärmen bereits perfektioniert hat“, hofft David Bierbach. Voraussetzung sei allerdings, diese Regeln erst einmal genau zu verstehen.
Genau dieser Herausforderung stellen sich auch andere Roboterfachleute rund um die Welt – und orientieren sich dabei auch an anderen Tieren. Ein Team der Freien Universität Brüssel, der ETH Zürich und der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne schickt beispielsweise eine künstliche Kakerlake ins Rennen. Andere konstruieren künstliche Schaben, die in kleinste Ritzen schlüpfen können.