Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Elektrisch in die Zukunft
Die Ps-branche probt auf der Automesse IAA Mobility den Neuanfang – Was kommt auf Autofahrer zu?
Die Autobranche steht unter Strom. Nachdem ihr über Jahre Ignoranz gegenüber dem Klimawandel vorgeworfen wurde, setzt sie nun auf der IAA Mobility in München (noch bis 12. September) zu einem Befreiungsschlag an: Fast alle Autos, die Besucher dort sehen können, nicht nur die Neuheiten, fahren mit Strom. Und hat sich doch mal ein Verbrenner darunter gemischt, dann meist ein Hybrid.
Bei Mercedes reicht der Reigen vom Mercedes EQE für die Mittelklasse über die seriennahe Studie eines für Smart-verhältnisse fast gigantischen SUVS von 4,20 Metern als Ersatz für Forfour und Fortwo bis hin zum EQS SUV, mit dem auch die Marke Maybach elektrifiziert werden soll. Sogar die G-klasse stimmt als Concept EQG auf die neue Zeit ein. Das gilt auch für AMG: Der Werkstuner aus Affalterbach zeigt sein erstes E-auto für die Serie. Der EQA 53 hat 560 kw/761 PS, der GT Viertürer wird zum Plug-in-hybrid mit bis zu 620 kw/843 PS.
Audi geht bei seinem Ausblick noch etwas weiter und nimmt mit dem Grandsphere Concept einen zweiten Trend dieser Messe auf: Autonomes Fahren. Wie bei der Konkurrenz
die Prototypen, ist diese elektrische Studie für den kommenden A8 bereits auf das sogenannte Fahren nach Level 4 ausgelegt. Der 530 kw/721 PS starke E-antrieb soll für mehr als 600 Kilometer Reichweite gut sein, das Lenkrad verschwindet auf Knopfdruck im Armaturenbrett, und der Audi wird selbst zum Chauffeur.
Andere Marken wollen die neue Mobilität endlich in die Breite bringen. So geben VW und die Seat-tochter Cupra mit zwei sehr verschiedenen Konzepten einen ersten Ausblick auf einen gemeinsamen elektrischen Kleinwagen. Gut vier Meter lang, verspricht er E-mobilität für Einsteiger und rund 400 Kilometer Reichweite.
Wenn er allerdings in vier Jahren zu Preisen ab etwa 20 000 Euro auf den Markt kommen soll, dürfte das weder ein viertüriges Crossover mit Stoffdach sein wie der ID Life bei VW, noch ein Stadtflitzer mit 172 kw/234 PS wie der Urban Rebel am Iaa-stand der spanischen Schwester.
Weniger Interpretationsspielraum lässt der Mégane E-tech, der bei Renault steht: Vorerst als Alternative
und nicht als Ersatz für den konventionellen Mégane, soll er im Frühjahr 2022 als elektrischer Kompakter mit deutlich mehr als 400 Kilometer Reichweite starten.
Fast schon altmodisch wirken dagegen Messepremieren wie der Kia Sportage oder der VW Multivan. Dabei haben auch diese beiden Modelle einen Stecker und stehen zumindest als Plug-in-modelle auf der Bühne.
Wer genau hinschaut, entdeckt sogar noch ein paar reine Verbrenner: Bei Dacia ist das der siebensitzige Jogger, der ab 15 000 Euro zur Familienkutsche
auf den Markt kommen soll. Mercedes zeigt die C-klasse in der Offroad-version All-terrain sowie den S 680 Guard, der als Sonderschutzlimousine nach der Wahl vors Kanzleramt rollen soll.
Zwar fehlen auf der IAA mehr als ein Dutzend Hersteller wie Opel und die anderen Anbieter aus dem Stellantis-konzern sowie alle Marken aus Japan. Auch Jaguar oder Land Rover sucht man vergebens. Nach den Absagen von Luxusmarken wie Lamborghini, Ferrari, Bentley, Maserati und Mclaren ist auch das Faszinationspotenzial eher bescheiden.
Doch dafür ist die IAA diesmal auch eine Bühne für Newcomer. Das gilt nicht allein für die vielen Fahrradhersteller, die den Autobauern zahlenmäßig überlegen sind. Es mischen sich in München auch neue Automarken ins Messeprogramm, etwa chinesische Anbieter wie Wey mit dem elektrischen Oberklassensuv Coffee 01 oder Ora mit dem Retro-kleinwagen Cat. Nischenmarken wie Microlino oder ACM stoßen mit winzigen Fahrzeugen in die Lücke zwischen Auto und Motorrad.
Selbst der Motorsport präsentiert sich verändert: Porsche zeigt den Mission R. So wie aus dem Mission E vor zwei Jahren der Porsche Taycan wurde, hat auch der elektrische Rennwagen das Zeug zur Serienfertigung, sagen seine Macher. Zur Mitte des Jahrzehnts soll er einen neuen Rennwagen und dann auch ein Straßenmodell inspirieren.
BMW schließlich denkt bei einem Modell weit über den Antrieb hinaus und stellt die Studie i Vision Circular ins Rampenlicht. Der elektrische Kleinwagen für das Jahr 2040 wird nicht nur nahezu vollständig aus Recycling-material hergestellt, sondern kann auch selbst recycelt werden. Statt ins Museum soll er in die Tonne kommen – und zum Rohstoff für Nachfolger werden. (dpa)