Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
KI und Käse
Lebensmittelhersteller Jermi will mit Künstlicher Intelligenz Käseproduktion optimieren
- Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) hält auch Einzug in die Käseproduktion. Die Jermi Käsewerk Gmbh setzt hier verstärkt auf Automation und Digitalisierung. Damit verändern sich auch die Anforderungsprofile für das Unternehmen. „Big Data“und KI sind Themen, mit denen sich die Baustetter Spezialisten für Käseveredlung nun verstärkt beschäftigen. Um sich für die digitale Zukunft der Käseproduktion zu wappnen, bietet Jermi daher gemeinsam mit der Dualen Hochschule Baden-württemberg Ravensburg (DHBW) ab September den neuen Studienplatz „Data Science und Künstliche Intelligenz“an.
Seit 2018 hat Jermi rund 50 Millionen Euro in neue Infrastruktur für die Käseproduktion investiert. Gerhard Jerg bezeichnet das Käsewerk am Ortseingang von Baustetten als „Smart Factory“– so hoch ist dort mittlerweile der Automatisierungsgrad. Auf drei Produktionslinien werden die angelieferten 15-Kilo-käseblöcke automatisch geschnitten, portioniert, luftdicht verpackt und gekühlt zwischengelagert, bis sie von Baustetten aus in die Supermärkte im In- und Ausland geliefert werden.
„Unsere Produktionsanlagen stellen große Mengen an Daten in Echtzeit zur Verfügung“, erklärt Leon Jerg, Projektmanager Solution Engineering. Damit die KI aus der Datenf lut lernen kann, braucht es eine sinnvolle Datenaufbereitung. Bei Jermi erhofft man sich, dadurch die Produktionsabläufe weiter optimieren zu können. „Die Wertschöpfung liegt im Schneiden und Verpacken“, so Jerg. Und hier geht es schlussendlich um Effizienz. In der Lebensmittelproduktion sieht der Projektmanager vielfältige Anwendungsbereiche für maschinelles Lernen. So verspricht sich Jerg detaillierte Erkenntnisse über Instandhaltungszyklen und den Verschleiß der automatisierten Anlagen, aber auch eine bessere Detektion von Anomalien in der Produktion.
Und hier kommt der beim Baustetter Lebensmittelproduzenten neu geschaffene Studienplatz ins Spiel. „Das Potenzial im Studiengang sehen nicht nur wir“, erklärt Chiara Barth, Personalreferentin bei Jermi. Für den neuen Studienplatz habe das Unternehmen bereits einen Bewerber gefunden.
Auch als Lebensmittelproduzent könne man zeigen, „dass wir uns vor neuen Technologien nicht verstecken und jungen Leuten eine exzellente Ausbildung bieten“, erklärt die Personalentwicklerin. Andererseits ist sie auch überzeugt: „Simple Tätigkeiten werden von der Automatisierung geschluckt.“
Daher ist das Interesse an diesem Themenbereich groß. An der DHBW in Ravensburg ist „Data Science und Künstliche Intelligenz“bereits seit 2019 Teil der Lehre – zuerst allerdings nur als Studienrichtung im Fach Wirtschaftsinformatik. Seit 2023 gibt es einen eigenständigen Bachelorstudiengang, erklärt Professor Stephan Daurer, Leiter des Studiengangs an der DHBW. „Die Unternehmen kommen auf uns zu, die Nachfrage ist sehr groß“, ergänzt Daurer. Das gelte im Einzugsbereich der DHBW sowohl für die großen Unternehmen als auch für kleinere Mittelständler – vom Automobilzulieferer über Pharma- und Nahrungsmittelfirmen bis zur Medien-branche. Als Hauptanwendungsbereich sieht Daurer im unternehmerischen Kontext derzeit jedoch nicht die generative KI, die beispielsweise Texte, Bilder oder Audiodaten selbst generieren kann, sondern das Lernen aus großen Datenmengen, um dadurch die Automatisierung von Prozessen voranzutreiben
oder Geschäftszahlen besser prognostizieren zu können. An der DHBW Ravenburg ist der Studiengang in der Fakultät Wirtschaft verankert. „Es geht uns immer auch um den direkten Anwendungsbezug und nicht nur um Algorithmen und Modelle“, erklärt Daurer. Derzeit werden dort 45 Studierende in diesem Fach ausgebildet. Für den Semesterstart im Oktober rechnet Daurer mit zwei vollen Kursen und 60 Studenten. Denn Fachkräfte in diesem Bereich sind rar. „Daher ist die Motivation der Unternehmen groß, hier eigene Fachkräfte und Kompetenzen aufzubauen und sich nicht nur auf Berater und externe Expertise zu verlassen“, erklärt der Studiengangsleiter. Und die Berufsaussichten für angehende Absolventen sind mehr als gut. „Wir hatten hier eine Übernahmequote von 100 Prozent. Das ist sensationell.“
Bei Jermi hält die Künstliche Intelligenz nicht nur Einzug in die Käseproduktion, erklärt der kaufmännische Geschäftsführer Stefan Brack. Auch in der Verwaltung oder in der Logistik sollen die Arbeitsabläufe weiter automatisiert werden. So unterstützen kleine Hilfsprogramme, sogenannte Bots, bereits heute das Warenwirtschaftssystem. „Daher sehen wir diesen Studienplatz als Schnittstelle im Unternehmen“, ergänzt Barth.
An sich sei die Lebensmittelbranche ein sehr konservativer Markt, erklärt Firmenchef Gerhard Jerg. Was die Digitalisierung betrifft, „sind wir vorne mit dabei. Das macht Spaß“. Auch, weil er selbst von den Zukunftsthemen Digitalisierung und KI „ganz angefixt“ist. „Die Kreativität und das ,um die Ecke denken’ sind ansteckend im Unternehmen“, erläutert der Firmenchef und erhofft sich, dadurch auch verstärkt Begeisterung für die Branche wecken zu können. Die generative KI habe das Potenzial, „uns als Industrieunternehmen in unserem wirtschaftlichen Handeln sowie bei unseren Produkten und Dienstleistungen in der Zusammenarbeit mit unseren Kunden und Lieferpartnern enorm nach vorne zu bringen“, so Gerhard Jerg.
In Ergänzung zu den eigenen Fähigkeiten und den Erfahrungen wird die Implementierung der Künstlichen Intelligenz für das Unternehmen „künftig der entscheidende Wettbewerbsfaktor auf unseren weltweiten Märkten im Lebensmittelhandel sein“, ist Jerg überzeugt. So soll die KI unter anderem dabei helfen, schneller auf Verbraucherverhalten und Kundentrends reagieren zu können, um so die Entwicklung neuer Produkte und Käsesorten voranzutreiben – „datenbasiert und objektiv“.