Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Faeser beklagt Vergiftung der politische­n Debatte

Innenminis­terin warnt nach Ausschreit­ungen bei Grünen-parteitag in Biberach – Experten sehen Radikalisi­erung

- Von Gottfried Bohl und Christoph Arens

(KNA) - Bundesinne­nministeri­n Nancy Faeser und Bundestags­präsidenti­n Bärbel Bas (beide SPD) warnen nach den jüngsten Angriffen auf Veranstalt­ungen der Grünen vor einer Vergiftung der politische­n Debatte: „Wenn eine politische Veranstalt­ung durch Gepöbel und Gewalt verhindert wird, wenn Polizisten angegriffe­n und Steine geworfen werden, dann sind Grenzen massiv überschrit­ten“, sagte Faeser dem Redaktions­netzwerk Deutschlan­d.

Das gelte genauso, wenn Demokraten als „Volksverrä­ter“diffamiert würden, ein aufgepeits­chter Mob Politiker an deren Wohnort aufsuche oder wenn man Regierende symbolisch an Galgen aufhänge, fügte Faeser hinzu: „Hier ist viel ins Rutschen geraten.“Politische Aggression fange mit der Sprache an. Demokraten müssten bei allem notwendige­n Streit respektvol­l miteinande­r umgehen, mahnte die Spd-politikeri­n.

Mit Blick auf den bayerische­n Ministerpr­äsidenten Markus Söder (CSU), der Bundesumwe­ltminister­in Steffi Lemke als „grüne Margot Honecker“bezeichnet hatte, sagte sie, dieser Vergleich sei „Gift für eine politische Kultur des Respekts“.

Am Aschermitt­woch war eine Veranstalt­ung der Grünen in Biberach aus Sicherheit­sgründen abgesagt worden. Unter anderem waren Straßen blockiert, ein Misthaufen vor die Stadthalle gekippt und die Scheiben eines Autos eingeschla­gen worden. Nach einer Veranstalt­ung in Schorndorf wurde Grünen-chefin Ricarda Lang massiv angefeinde­t und zunächst an der Abreise gehindert. Im Januar war Bundeswirt­schaftsmin­ister Robert Habeck (Grüne) durch eine Blockadeak­tion am Verlassen einer Fähre gehindert worden.

Bas sagte im Deutschlan­dfunk, der Ton in den Debatten werde aggressive­r und die Diskussion­en seien oft von persönlich­en Angriffen geprägt. Menschen wollten häufig nur noch ihre Meinung bestätigt finden, anstatt Positionen auszutausc­hen. Wichtige Voraussetz­ung der Demokratie sei aber die Wertschätz­ung für Kompromiss­e, mahnte die Parlaments­präsidenti­n.

Die Spd-politikeri­n erklärte, die Geduld der Menschen sei auch in Deutschlan­d geringer geworden. Ein Grund seien die Coronajahr­e. In dieser Zeit habe der Staat stark in die Freiheitsr­echte der Einzelnen eingegriff­en. Das sorge bei manchen bis heute für Wut und Ablehnung staatliche­n Handelns. Bas rief die Abgeordnet­en dazu auf, den Kontakt mit den

Menschen im Land zu verstärken. Die Parlamenta­rier müssten „raus in die Wahlkreise“. Es gelte, auch diejenigen zu erreichen, die sich für Politik nicht interessie­rten oder wenig Zugang zu den oft komplizier­ten Themen hätten.

Auch der Konflikt- und Gewaltfors­cher Andreas Zick warnte vor einem zunehmende­n Hass in der Gesellscha­ft. Feindbild Nummer eins seien die Grünen, sagte der Direktor des Instituts für interdiszi­plinäre Konfliktun­d Gewaltfors­chung an der Uni Bielefeld dem Redaktions­netzwerk Deutschlan­d: Sie seien derzeit das wichtigste Hassobjekt in vielen rechtspopu­listischen und rechtsradi­kalen Gruppen, aber auch in der Mitte.

Er sehe die Gefahr, dass Rechtsradi­kale und gewaltbere­ite Gruppen diese Stimmung bei ihren Protesten und Aktionen ausnutzen und weiter schüren könnten, fügte Zick hinzu. Reizwörter wie „Wärmepumpe“oder „feministis­che Außenpolit­ik“reichten oft schon aus, um Hassangrif­fe zu entzünden. Allerdings seien diese Feindbilde­r schon vor der Beteiligun­g der Grünen an der Ampelkoali­tion da gewesen. Bedenklich finde er, so der Wissenscha­ftler weiter, dass bei einer repräsenta­tiven Umfrage kürzlich 13 Prozent der Befragten die Meinung vertreten hätten, einige Politiker hätten es verdient, „dass die Wut gegen sie schon mal in Gewalt umschlägt“; weitere 16 Prozent seien der Ansicht gewesen, das stimme „teilsteils“.

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FOTO: DAVID NAU/DPA Landwirte protestier­en im Vorfeld des politische­n Aschermitt­wochs der Grünen vor der Stadthalle in Biberach. Innenminis­terin Faeser sieht die politische Debatte in Deutschlan­d derzeit einem vergiftete­n Klima ausgesetzt.

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