Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Wie der neue Supercomputer entsteht
Firmen in Ulm liefern sich Wettlauf – Warum Quantencomputer zu einer Revolution führen könnten
- Kameras überwachen den Eingang, die Identitäten fremder Personen werden abgeglichen. Und jede Information, die das Gebäude verlässt, wird vorab geprüft. Am Standort des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) im Ulmer Science Park herrscht eine hohe Sicherheitsstufe. Und das aus gutem Grund: Hier forscht das DLR an Schlüsseltechnologien der Zukunft.
Die Physikerin Isabella Fritsche ist eine von vielen, die diese Zukunft mitgestalten möchte: Die 37-Jährige leitet den Standort der Firma Planqc und ist damit mitverantwortlich für 29 Millionen Euro. So viel bezahlt das DLR der Firma über vier Jahre, um einen Quantencomputer zu bauen. Und das geschieht derzeit am oberen Eselsberg.
Auf den ersten Blick leisten sich hier acht Firmen einen Wettlauf um die beste Technologie. Sie tragen Namen, die nach Science Fiction klingen: Xeedq, Diatope, Advanced Quantum, Anabrid, Quix Quantum, Saxonq, Nvision Imaging Technologies und eben Planqc.
Manche von ihnen forschen an der Hardware, andere liefern Zubehörteile wie etwa Diamanten für Quantencomputer, andere haben die ersten Computer bereits aufgebaut. Quantencomputinginitiative heißt das Megaprojekt des DLR. Die Vielfalt der verschiedenen Technologien sei wichtig, betont die Hardware-leiterin Karla Loida. Nur so würden die jeweiligen Vor- und Nachteile der Technologien sichtbar. „Noch ist nicht klar, welche Architekturen für Quantencomputer sich durchsetzen werden“, teilt das DLR mit.
Isabella Fritsche hat das Ziel, ihrer Technologie zum Erfolg zu verhelfen. Über die anderen Firmen im Haus sagt sie: „Es ist faszinierend, so viele unterschiedliche
Technologien Tür an Tür zu haben. Was uns eint, ist diese gemeinsame Leidenschaft für Quantencomputing.“Sie glaubt ohnehin, dass in Zukunft mehrere Technologien und ganz unterschiedliche Quantencomputer je nach Anwendungen zum Einsatz kommen.
Längst herrscht Aufbruchstimmung in der Branche. Und doch stehe die Technologie noch ganz am Anfang. „Ich bin überzeugt, dass Quantencomputer viele Aspekte unseres Lebens revolutionieren werden. Diese Technologie hat das Potenzial, die Art und Weise, wie wir Krankheiten diagnostizieren, neue Materialien entwickeln und sogar den Klimawandel bekämpfen, grundlegend zu verändern.“
Der entscheidende Meilenstein wäre erreicht, wenn Quantencomputer ein großes relevantes Problem lösen könnten. „Wann das passiert, vermag ich nicht zu sagen“, betont Isabella Fritsche. Was macht den Reiz für sie aus?
Die Forscherin erinnert sich daran, wie sie vor Jahren das erste
Mal in einem Labor für Quantencomputer gestanden habe. „Das befand sich in einem dunklen Kellergeschoss. Überall waren Laser, Kabel, Bildschirme, Elektroden.“Sie konnte Atome mit dem bloßen Auge sehen, vor ihr tat sich eine neue Welt auf. „Dieses System beherrschen zu können, das hat mich fasziniert.“
Schon während ihres Physikstudiums in Innsbruck kam sie mit der Quantentechnologie in Berührung. „Da tun sich plötzlich physikalische Fragen auf, von denen ich zuvor gar nicht wusste, dass sie existieren.“Etwa die vermeintlich simple Frage, wie sich Licht eigentlich physikalisch darstellen lässt. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts konnte die Physik diese Frage nicht eindeutig beantworten. War das Licht eine Welle, oder kleine Teilchen, die sich durch die Luft bewegen? Erst in aufwendigen Versuchen fand man heraus, dass Licht beide Formen hat: Welle und Teilchen. Die klassische Physik aber stieß bei solchen Erklärungen längst an ihre Grenzen.
Heute sagt Isabella Fritsche über die Quantenphysik: „Wer denkt, sie voll verstanden zu haben, der hat sie nicht verstanden.“Das Problem: Viele der physikalischen Gesetze widersprechen eigentlich dem gesunden Menschenverstand. Quantenobjekte wie Elementarteilchen oder Moleküle können mehrere Zustände gleichzeitig annehmen, wie es sich bereits beim Licht gezeigt hat. Und sie können verschränkt sein, also direkt voneinander beeinflusst werden.
Diese Eigenschaften machen einen Quantencomputer so besonders: Er kann Probleme lösen, an denen klassische Computer scheitern. Wenn zum Beispiel ein PC die schnellste Fahrtroute ausrechnet, rechnet er dafür alle möglichen Strecken nacheinander. Ein Quantencomputer kann die Möglichkeiten gleichzeitig betrachten und so schnell die beste wählen. Quantencomputer würden aber wohl kaum einmal zum Computerspielen oder Internetsurfen verwendet werden. „Sie sind kein Ersatz für einen normalen PC“, erklärt
Isabella Fritsche. „Wir brauchen sie, um leistungsstarke und komplexe Probleme zu lösen.“
Genau das soll in einigen Jahren auch mit dem Hochleistungsrechner der Firma Planqc geschehen können. Am Dlr-innovationszentrum in Ulm entsteht derzeit der erste digitale Quantencomputer in Deutschland, der auf der Basis von neutralen Atomen funktioniert. Prototypen für Quantencomputer mit anderen Systemen gibt es dagegen bereits. Dass der Computer funktionieren kann, haben bereits viele Versuche gezeigt. Die Idee dahinter klingt für Laien fast unvorstellbar. Isabella Fritsche arbeitet vor allem mit dem Element Strontium. Dieses wird so stark erhitzt, dass es unter großem Druck ausströmt und einen Strahl an Atomen bildet, die mit mehr als 300 Stundenkilometern in einen Vakuumbehälter strömen. Laserstrahlen bremsen diese ab, bringen sie fast zum Stillstand und bündeln sie in einer Atomwolke. Von dort aus werden sie mit weiteren Lasern auf ein Gitterraster bewegt und in verschiedene elektronisch angeregte Zustände versetzt.
Damit lässt sich später rechnen, weil auch die Teilchen ganz ähnlich funktionieren wie ein PC mit Nullen und Einsen, nur dass die Quantenteilchen beide Zustände gleichzeitig darstellen können. „Wir können das messen und beweisen, aber nicht intuitiv erklären, sagt Isabella Fritsche.
Eine komplizierte Rechnung würde künftig gerade mal einige Millisekunden brauchen. Doch während des Aufbaus zeigt sich bereits, wie sensibel das Gerät ist. Etwa zwölf Meter entfernt fährt täglich ein Aufzug. Allein der Stromfluss des Aufzugs reicht aus, um ein Magnetfeld zu erzeugen, das die Atome aus ihrem Gitterraster entfernen kann. „Wir müssen den Computer daher extrem vor magnetischen Feldern schützen.“Aber auch Temperaturschwankungen, Blitzeinschläge oder Erdbeben könnten den Aufbau beschädigen. Gegen alle äußeren Einf lüsse muss der Computer geschützt und abgeschirmt sein. In etwas mehr als drei Jahren soll er einsatzbereit sein, so der Plan.
Der Rechner wird dann an das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt übergeben. Dort gibt es viele Einsatzmöglichkeiten, zum Beispiel in der Materialforschung. Wenn neue Materialien entwickelt werden, ist das meist hochkomplex. Bei den komplizierten Berechnungen könnten die Quantencomputer auf jeden Fall ihre Stärke ausspielen, glaubt Isabella Fritsche.
Das Gleiche gilt ihrer Meinung nach auch bei der Medikamentenund Impfstoffforschung, der Klimaforschung und Wettervorhersagen oder bei logistischen Problemen. „Viele Einsatzmöglichkeiten der Zukunft sind noch spekulativ“, sagt sie. In der Materialforschung könnte das bereits in wenigen Jahren so weit sein, in anderen Bereichen noch deutlich länger dauern. „Wer weiß, vielleicht bin ich auch gar nicht mehr am Leben, wenn Quantencomputer sich durchsetzen werden.“Dass es irgendwann so weit sein wird, davon aber ist Isabella Fritsche überzeugt. Und für diese Überzeugung lohne es sich zu arbeiten. Jeden Tag auf dem Weg zur Zukunft.