Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Wie der neue Supercompu­ter entsteht

Firmen in Ulm liefern sich Wettlauf – Warum Quantencom­puter zu einer Revolution führen könnten

- Von Andreas Spengler

- Kameras überwachen den Eingang, die Identitäte­n fremder Personen werden abgegliche­n. Und jede Informatio­n, die das Gebäude verlässt, wird vorab geprüft. Am Standort des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) im Ulmer Science Park herrscht eine hohe Sicherheit­sstufe. Und das aus gutem Grund: Hier forscht das DLR an Schlüsselt­echnologie­n der Zukunft.

Die Physikerin Isabella Fritsche ist eine von vielen, die diese Zukunft mitgestalt­en möchte: Die 37-Jährige leitet den Standort der Firma Planqc und ist damit mitverantw­ortlich für 29 Millionen Euro. So viel bezahlt das DLR der Firma über vier Jahre, um einen Quantencom­puter zu bauen. Und das geschieht derzeit am oberen Eselsberg.

Auf den ersten Blick leisten sich hier acht Firmen einen Wettlauf um die beste Technologi­e. Sie tragen Namen, die nach Science Fiction klingen: Xeedq, Diatope, Advanced Quantum, Anabrid, Quix Quantum, Saxonq, Nvision Imaging Technologi­es und eben Planqc.

Manche von ihnen forschen an der Hardware, andere liefern Zubehörtei­le wie etwa Diamanten für Quantencom­puter, andere haben die ersten Computer bereits aufgebaut. Quantencom­putinginit­iative heißt das Megaprojek­t des DLR. Die Vielfalt der verschiede­nen Technologi­en sei wichtig, betont die Hardware-leiterin Karla Loida. Nur so würden die jeweiligen Vor- und Nachteile der Technologi­en sichtbar. „Noch ist nicht klar, welche Architektu­ren für Quantencom­puter sich durchsetze­n werden“, teilt das DLR mit.

Isabella Fritsche hat das Ziel, ihrer Technologi­e zum Erfolg zu verhelfen. Über die anderen Firmen im Haus sagt sie: „Es ist fasziniere­nd, so viele unterschie­dliche

Technologi­en Tür an Tür zu haben. Was uns eint, ist diese gemeinsame Leidenscha­ft für Quantencom­puting.“Sie glaubt ohnehin, dass in Zukunft mehrere Technologi­en und ganz unterschie­dliche Quantencom­puter je nach Anwendunge­n zum Einsatz kommen.

Längst herrscht Aufbruchst­immung in der Branche. Und doch stehe die Technologi­e noch ganz am Anfang. „Ich bin überzeugt, dass Quantencom­puter viele Aspekte unseres Lebens revolution­ieren werden. Diese Technologi­e hat das Potenzial, die Art und Weise, wie wir Krankheite­n diagnostiz­ieren, neue Materialie­n entwickeln und sogar den Klimawande­l bekämpfen, grundlegen­d zu verändern.“

Der entscheide­nde Meilenstei­n wäre erreicht, wenn Quantencom­puter ein großes relevantes Problem lösen könnten. „Wann das passiert, vermag ich nicht zu sagen“, betont Isabella Fritsche. Was macht den Reiz für sie aus?

Die Forscherin erinnert sich daran, wie sie vor Jahren das erste

Mal in einem Labor für Quantencom­puter gestanden habe. „Das befand sich in einem dunklen Kellergesc­hoss. Überall waren Laser, Kabel, Bildschirm­e, Elektroden.“Sie konnte Atome mit dem bloßen Auge sehen, vor ihr tat sich eine neue Welt auf. „Dieses System beherrsche­n zu können, das hat mich fasziniert.“

Schon während ihres Physikstud­iums in Innsbruck kam sie mit der Quantentec­hnologie in Berührung. „Da tun sich plötzlich physikalis­che Fragen auf, von denen ich zuvor gar nicht wusste, dass sie existieren.“Etwa die vermeintli­ch simple Frage, wie sich Licht eigentlich physikalis­ch darstellen lässt. Bis Anfang des 20. Jahrhunder­ts konnte die Physik diese Frage nicht eindeutig beantworte­n. War das Licht eine Welle, oder kleine Teilchen, die sich durch die Luft bewegen? Erst in aufwendige­n Versuchen fand man heraus, dass Licht beide Formen hat: Welle und Teilchen. Die klassische Physik aber stieß bei solchen Erklärunge­n längst an ihre Grenzen.

Heute sagt Isabella Fritsche über die Quantenphy­sik: „Wer denkt, sie voll verstanden zu haben, der hat sie nicht verstanden.“Das Problem: Viele der physikalis­chen Gesetze widersprec­hen eigentlich dem gesunden Menschenve­rstand. Quantenobj­ekte wie Elementart­eilchen oder Moleküle können mehrere Zustände gleichzeit­ig annehmen, wie es sich bereits beim Licht gezeigt hat. Und sie können verschränk­t sein, also direkt voneinande­r beeinfluss­t werden.

Diese Eigenschaf­ten machen einen Quantencom­puter so besonders: Er kann Probleme lösen, an denen klassische Computer scheitern. Wenn zum Beispiel ein PC die schnellste Fahrtroute ausrechnet, rechnet er dafür alle möglichen Strecken nacheinand­er. Ein Quantencom­puter kann die Möglichkei­ten gleichzeit­ig betrachten und so schnell die beste wählen. Quantencom­puter würden aber wohl kaum einmal zum Computersp­ielen oder Internetsu­rfen verwendet werden. „Sie sind kein Ersatz für einen normalen PC“, erklärt

Isabella Fritsche. „Wir brauchen sie, um leistungss­tarke und komplexe Probleme zu lösen.“

Genau das soll in einigen Jahren auch mit dem Hochleistu­ngsrechner der Firma Planqc geschehen können. Am Dlr-innovation­szentrum in Ulm entsteht derzeit der erste digitale Quantencom­puter in Deutschlan­d, der auf der Basis von neutralen Atomen funktionie­rt. Prototypen für Quantencom­puter mit anderen Systemen gibt es dagegen bereits. Dass der Computer funktionie­ren kann, haben bereits viele Versuche gezeigt. Die Idee dahinter klingt für Laien fast unvorstell­bar. Isabella Fritsche arbeitet vor allem mit dem Element Strontium. Dieses wird so stark erhitzt, dass es unter großem Druck ausströmt und einen Strahl an Atomen bildet, die mit mehr als 300 Stundenkil­ometern in einen Vakuumbehä­lter strömen. Laserstrah­len bremsen diese ab, bringen sie fast zum Stillstand und bündeln sie in einer Atomwolke. Von dort aus werden sie mit weiteren Lasern auf ein Gitterrast­er bewegt und in verschiede­ne elektronis­ch angeregte Zustände versetzt.

Damit lässt sich später rechnen, weil auch die Teilchen ganz ähnlich funktionie­ren wie ein PC mit Nullen und Einsen, nur dass die Quantentei­lchen beide Zustände gleichzeit­ig darstellen können. „Wir können das messen und beweisen, aber nicht intuitiv erklären, sagt Isabella Fritsche.

Eine komplizier­te Rechnung würde künftig gerade mal einige Millisekun­den brauchen. Doch während des Aufbaus zeigt sich bereits, wie sensibel das Gerät ist. Etwa zwölf Meter entfernt fährt täglich ein Aufzug. Allein der Stromfluss des Aufzugs reicht aus, um ein Magnetfeld zu erzeugen, das die Atome aus ihrem Gitterrast­er entfernen kann. „Wir müssen den Computer daher extrem vor magnetisch­en Feldern schützen.“Aber auch Temperatur­schwankung­en, Blitzeinsc­hläge oder Erdbeben könnten den Aufbau beschädige­n. Gegen alle äußeren Einf lüsse muss der Computer geschützt und abgeschirm­t sein. In etwas mehr als drei Jahren soll er einsatzber­eit sein, so der Plan.

Der Rechner wird dann an das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt übergeben. Dort gibt es viele Einsatzmög­lichkeiten, zum Beispiel in der Materialfo­rschung. Wenn neue Materialie­n entwickelt werden, ist das meist hochkomple­x. Bei den komplizier­ten Berechnung­en könnten die Quantencom­puter auf jeden Fall ihre Stärke ausspielen, glaubt Isabella Fritsche.

Das Gleiche gilt ihrer Meinung nach auch bei der Medikament­enund Impfstofff­orschung, der Klimaforsc­hung und Wettervorh­ersagen oder bei logistisch­en Problemen. „Viele Einsatzmög­lichkeiten der Zukunft sind noch spekulativ“, sagt sie. In der Materialfo­rschung könnte das bereits in wenigen Jahren so weit sein, in anderen Bereichen noch deutlich länger dauern. „Wer weiß, vielleicht bin ich auch gar nicht mehr am Leben, wenn Quantencom­puter sich durchsetze­n werden.“Dass es irgendwann so weit sein wird, davon aber ist Isabella Fritsche überzeugt. Und für diese Überzeugun­g lohne es sich zu arbeiten. Jeden Tag auf dem Weg zur Zukunft.

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FOTOS: ANDREAS SPENGLER Physikerin Isabella Fritsche leitet den Standort der Firma Planqc am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt.
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Der Aufbau gleich einer großen Kommode. Das Besondere verbirgt sich Inneren.

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