Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Mit Nadel und Faden für die Integration
In Berkheim kommen geflüchtete Frauen zusammen und stricken für Menschen in Not
- Nadeln und Wolle helfen Menschen im Illertal, in Deutschland anzukommen. Beim Stricken knüpfen Frauen aus der Ukraine und anderswo Kontakte, lernen Deutsch und verlassen für ein paar Stunden ihre oft enge Bleibe. Von der Handarbeit profitieren Menschen aus der Region, die in Not sind.
Hediye hat einen Gugelhupf mit Orangen und Zitronen-stücken mitgebracht. „Mama backt immer was“, sagt Ertugrul, der Sohn der jungen Frau mit Schleier. Der Siebenjährige sucht sich zwei Wollknäuel und beginnt die Fäden zu verdrehen. Seine Schwester, Safiye, knotet Wolle zu kleinen Männchen zusammen und macht daraus eine bunte Girlande. Die Neunjährige spricht fast perfekt Deutsch. Für ihre Mutter übersetzt sie auf Türkisch. Seit zwei Jahren lebt die fünfköpfige Familie in Dettingen. Bald beginnt ihr Sprachkurs, berichtet Hediye. Mit einigen Brocken der fremden Sprache kann sie sich schon verständigen. Sie schwingt den Faden über die linke Nadel. Stricken hat sie von ihrer Mutter
gelernt. Überall auf der Welt gibt es kleine Varianten beim Stricken. In manchen Regionen,
klemmt man sich eine Nadel unter den Oberarm, anderswo läuft der Faden über das Schlüsselbein.
Doch das Ergebnis ist immer gleich, sagt Susanne Berger.
Die Wahl-berkheimerin aus Hessen engagiert sich unter anderem im Partnerschaftsverein und im Intergrationskreis Illertal. Vor dem Fernseher strickt sie Berge von Socken, Mützen, Schals, Pullover, Ponchus und Körben, erzählt sie. Vor 25 Jahren schon hatte sie im Ferienprogramm Strickunterricht für Kinder angeboten. Eines der Mädchen von damals ist heute hauptberuf lich als Integrationsmanagerin tätig und kam auf die Idee, „ach, Stricken, könnten wir doch auch mal anbieten“. So kam es und Susanne Berger ist wieder dabei. Viel erklären muss sie nicht. „Selbst wenn die Frauen sagen, sie wissen nicht mehr, wie man strickt, kommt die Erinnerung beim Tun ganz schnell zurück“, berichtet sie. In lockerer Folge trifft sich Berger nun in der Teeküche des Rathauses mit Frauen und Kindern. Sie spricht langsam, laut und mit einfachen Worten. So lernen die Kinder und ihre Mütter Deutsch, knüpfen Freundschaften, helfen sich gegenseitig und kommen aus der Wohnung, in der sie oft beengt leben. Elena zum Beispiel lebt mit insgesamt zehn Personen in Erolzheim. Ihre Schwester, Mutter, Großmutter und ihre zwei Kinder sind vor zwei Jahren mit ihr nach Deutschland gekommen. Der Mann ist Soldat und darf die Ukraine nicht verlassen. Aber er ruft jeden Abend über Whatsapp an und liest den Kindern eine Gute-nacht-geschichte vor, berichtet Elena. Ebenfalls online lernt die Versicherungskauffrau Deutsch. Bald hat sie die erste Prüfung. „Deutsch-lernen ist sehr interessant“, sagt sie, „viel Grammatik“, und lächelt über ihr Strickzeug hinweg.
Während die Kinder ihre Kordeln und Girlanden zwirbeln, arbeiten die Frauen an gestrickten Quadraten. Damit hat es etwas Besonderes auf sich. Denn die Teilnehmerinnen sind übereingekommen, mit ihrer Arbeit andere zu unterstützen.
Aus den 18 mal 18 Zentimeter großen Quadraten werden kleine Decken für Babys und große für Erwachsene zusammengehäkelt. Die Initiative gibt es seit Jahren.
Elisabeth Birnbickel und weitere Frauen aus Rot an der Rot haben schon zirka 100 Decken gestrickt, verhäkelt und verschenkt. Die ersten gingen nach Südamerika und Afrika. Heute übergeben sie die Decken an Caritas und Jugend Aktiv in Biberach.
Die bunten Stücke wärmen Menschen, die auf der Straße leben. Jugend Aktiv gibt sehr jungen werdenden Müttern, „die nicht komplett im Leben stehen“, die Babydecken mit. Sie sind sehr begehrt, weiß Susanne Gnann von Jugend Aktiv. Elisabeth Birnbickel kennt Gef lüchtete, die sich freuen, dass die bunte Decke ihr Bett in der Gemeinschaftsunterkunft individuell macht. „Afrika ist auf einmal hier“, sagt Birnbickel.
Birnbickel freut sich über jeden gestrickten Flicken. Denn die Zahl der Frauen, die regelmäßig für Menschen in Not stricken, ist inzwischen sehr klein, sagt sie. Die Stücke aus Berkheim sind also sehr willkommen.
Wer eines oder mehrere Strickquadrate mit dem Maß von 18 mal 18 Zentimetern daheim stricken und beisteuern möchte, kann sich per Mail (Stverena.rotanderrot@drs.de) mit der Initiative in Verbindung setzen.