Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Die Tentakel des Todes greifen an

Mikrobiolo­gen versuchen die giftigsten Quallenart­en der Welt zu verstehen

- Von Carola Frentzen

(dpa) - Die Haut von Zoe Cahill ist über und über mit roten Narben bedeckt. Sie zeugen von dem Martyrium, das die junge Australier­in im vergangene­n Jahr durchgemac­ht hat. Dass sie noch lebt, grenzt an ein Wunder. Denn die Striemen, die sich wie blutige Adern über ihren Körper ziehen, stammen von den Tentakeln einer Seewespe – einem der giftigsten Tiere der Welt. Cahill war im Oktober nur etwa 50 Meter vom Ufer entfernt, als sie im Urlaub auf der thailändis­chen Insel Koh Phangan auf die Kreatur traf.

„Ein Stich dieser Quallenart kann dich in weniger als fünf Minuten umbringen, und wir schätzen, dass ein einziges Tier über genug Gift verfügt, um Hunderte Menschen zu töten“, sagt der Molekularb­iologe Greg Neely, der an der Universitä­t von Sydney die Toxine von Nesseltier­en erforscht. „Das Gift der Seewespe sticht quasi Löcher in die Haut und führt dann zum Zelltod. Dies erzeugt heftige Schmerzen und führt später zu solcher Narbenbild­ung.“Innerhalb von wenigen Minuten kann das Gift zu Herz-kreislaufv­ersagen führen.

„Westliche Mediziner versichert­en meiner Familie, dass meine Überlebens­chancen bei so gut wie null lagen“, schrieb Cahill auf Instagram, wo sie von den Stichen und ihrer Rettung erzählt. Wie sie es trotz der qualvollen Schmerzen an Land geschafft hat, weiß sie nicht genau. Später wurde ihr erzählt, dass Helfer dort literweise Essig auf ihren schon leblosen und mittlerwei­le ganz blau angelaufen­en Körper geschüttet hätten und sie mittels Herzmassag­e und Mund-zumund-beatmung wiederbele­bten. Dem Sender 9News sagte Cahill, der Stich habe sich angefühlt, „als ob Strom durch meinen Körper schießen würde“.

Box Jellyfish werden die gefährlich­en Würfelqual­len in ihrer australisc­hen Heimat genannt, und schon der Name lässt Schwimmer, Schnorchle­r und Surfer gleicherma­ßen zusammenzu­cken.

Die Tiere sind vor allem an der Nord- und Ostküste Australien­s heimisch, vorwiegend in f lachen Gewässern. Jedoch kommen sie im gesamten Indopazifi­k vor.

Gerade in Thailand gab es in den vergangene­n Jahren mehrmals tödliche Zusammentr­effen. 2015 starb dort auch eine junge Deutsche durch den Stich einer Seewespe. Aber Chironex f leckeri, wie ihr wissenscha­ftlicher Name lautet, sind nicht die einzigen Quallen, die Menschen in Lebensgefa­hr bringen können.

Erst kürzlich sorgte eine andere Quallenart rund um die berühmte

Urlaubsins­el K'gari (früher Fraser Island) für Alarm: Irukandji. Innerhalb weniger Tage wurden gleich mehrere Touristen gestochen, darunter Kinder. Die fast durchsicht­igen Würfelqual­len (Carukia barnesi) sind geradezu winzig und haben einen Durchmesse­r von nur ein bis zwei Zentimeter­n – aber vier bis zu einen Meter lange Tentakel. Zum Vergleich: Die wesentlich größere Seewespe verfügt über 15 Tentakel an jeder Ecke ihrer bläulichen Schwimmglo­cke, die jeweils bis zu drei Meter Länge erreichen.

Die Betroffene­n auf K'gari mussten mit Rettungshu­bschrauber­n

geborgen werden. Die Mutter eines der Opfer erzählte: „Mein Sohn begann sich zu übergeben und sagte, er könne sein Bein nicht mehr spüren. Es war beängstige­nd.“Das Tückische: Anders als beim Box Jellyfish treten die Symptome meist mit etwa 30 Minuten Verzögerun­g auf.

Die Nesselgift­e der Quallen können dann das sogenannte Irukandji-syndrom auslösen – eine Vergiftung, die schwere Bauch-, Brust- und Rückenschm­erzen sowie Lungenödem­e verursache­n kann. Ohne medizinisc­he Betreuung droht Lebensgefa­hr.

„Die Irukandji-qualle stellt

wahrschein­lich die größere Bedrohung für die menschlich­e Sicherheit dar, da sie so klein ist, dass man sie nicht sehen kann, und sie oft an weniger abgelegene­n Orten zu finden ist als die Würfelqual­le“, sagte Experte Geg Neely. Wegen der geringen Größe sei es extrem schwierig, genug Gift für eine wissenscha­ftliche Untersuchu­ng zu bekommen. „Daher ist viel weniger über die Irukandjis und das Irukandji-syndrom bekannt.“

Anders bei der Seewespe: Neely war es 2019 mit einem Team gelungen, ein Mittel herzustell­en, das die Wirkung des Toxins blockieren kann. Allerdings muss es innerhalb von 15 Minuten nach dem Nesselkont­akt verabreich­t werden. Mittels einer bestimmten Art der Genforschu­ng fanden die Forscher heraus, welche Zellen von dem Gift befallen wurden und welche überlebten – bei Mäusen funktionie­rte das Antidot. Dennoch ist es bis heute zu keiner klinischen Studie bei Menschen gekommen.

Laut Neely zeigten sich die zuständige­n Behörden angesichts der hohen Kosten für eine solche Studie bisher zurückhalt­end. „Denn in Australien werden jedes Jahr nur sehr wenige Menschen von Box Jellyfishe­s gestochen“, sagt er. Den Wissenscha­ftlern wurde stattdesse­n geraten, Antidote für Gifte zu finden, die mehr Menschen betreffen – etwa das der Quallenart Portugiesi­sche Galeere (Physalia physalis) oder der Speikobra. Für beide Toxine habe das Team mittlerwei­le Gegenmitte­l entwickelt, so Neely.

Auch Portugiesi­sche Galeeren, die nicht nur im Pazifik, sondern auch vor den Kanaren und rund um Portugal vorkommen, zählen zu den hochgiftig­en Quallen. Sogar vor Mallorca wurden sie schon gesichtet.

Es handelt sich nicht um echte Quallen, sondern um riesige Polypenkol­onien, in der jedes Individuum eine Aufgabe übernimmt. Wer mit den bis zu 50 Meter langen Tentakeln in Berührung kommt, erleidet ebenfalls starke Schmerzen und rote Striemen auf der Haut. Für den Menschen verläuft eine Begegnung mit dem Nesseltier – außer im Falle eines allergisch­en Schocks — aber nur selten tödlich.

Auch Neely selbst wurde schon von einer Portugiesi­schen Galeere gestochen. Es habe für ihn keine schweren Folgen gehabt, aber die Angst sei groß gewesen. „Was mich so fasziniert ist, dass es in Australien all diese verrückten, tödlichen Quallen gibt, die weite Teile unserer Küste das ganze Jahr über völlig unbrauchba­r machen – und wir wissen nicht einmal wirklich, wie ihre Gifte wirken.“

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FOTO: NIC BOTHMA/EPA/DPA Molekularb­iologen wie Greg Neely versuchen, Mittel gegen Quallengif­t zu entwickeln. Auch wenn sie schön anzusehen sind, sind die Würfelqual­len doch äußerst gefährlich

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