Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Auf die Sterne, fertig – los!
Der Guide Michelin hat wieder Spitzenköche ausgezeichnet. Roland Pieber aus Langenargen ist dabei eine kleine Sensation gelungen.
- Ein bisschen gemein ist die Situation schon, als der Moderator den Gastronomen und Koch Simon Tress von der Schwäbischen Alb während der Michelin-gala in Hamburg auf die Bühne holt und ihn zum Thema Nachhaltigkeit in Restaurants befragt. Tress, das muss man wissen, hatte einen Opa Johannes, der bereits 1950 biodynamisch zu wirtschaften anfing, da war das Wort Nachhaltigkeit noch gar nicht geboren. Ebensowenig sein Enkel, der nun auf der Bühne unter den Augen der Küchen-elite des Landes über Verantwortung spricht und Sätze wie diesen sagt: „Es geht darum, dass wir alle in der Gastronomie die Welt ein kleines Stückchen besser machen können.“
Gerade eben ist ihm der sogenannte grüne Stern zum fünften Mal verliehen worden, also jene Auszeichnung, die seit 2020 besonders nachhaltiges Arbeiten in der Gastronomie würdigt. Tress gehörte zu den ersten, die ihn damals bekommen haben. Der „echte“Michelin-stern für die besondere Küchenleistung ist ihm bislang allerdings immer verwehrt geblieben. Bis zu diesem Augenblick in Hamburg, als der Moderator plötzlich die Stimme hebt und zum perplexen Koch, der zweifellos nicht damit gerechnet hat, sagt: „Der erste neue Stern des Abends geht an Simon Tress ins Restaurant 1950!“Da entlädt sich die Anspannung des Kochs in Tränen – und der Saal beklatschte enthusiastisch die gelungene Überraschung, während sich der Mann aus Hayingen die legendäre Kochjacke mit dem Michelinstern um die Schultern wirft – und vor lauter Rührung über sein Sakko anzieht.
Wenn in den altehrwürdigen Gemäuern der Handelskammer in Hamburg die neuen Sterne verkündet werden, bevor dann am 6. Mai die rote Gourmet-bibel in den Handel kommt, hat das ein
bisschen was von Hollywood und einer Oscar-verleihung: Dort feiern sie gute Filme und ihre Macher, da feiern sie gutes Essen und die Leute, die es zubereiten. Das Ereignis wird live im Internet übertragen. Neben Tress steigt später noch ein anderer aus dem Verbreitungsgebiet der „Schwäbischen Zeitung“auf die Bühne, um in die besternte Michelin-kochjacke zu schlüpfen: Julian Karr vom Restaurant Karrisma auf der Lindauer Insel. 2017 hat er sich nach Wanderjahren durch diverse Spitzenküchen ins Abenteuer eines eigenen Restaurants gestürzt. Er ist Sohn von Rudolf Karr, der in Langenargen über Jahrzehnte im Hotel Adler – später Hotel Karr – kulinarische Standards setzte. Und schon in Lindau zeitweise am Herd von Sohn Julian gesichtet worden ist.
Nachdem in Hamburg die sogenannten neuen „Einsterner“abgefrühstückt sind, bereitet der Moderator jenen drei Köchen nacheinander eine Bühne, die zum ersten Mal zwei Sterne erhalten. Mit ihnen steigt die Zahl der Restaurants mit Doppel-stern auf insgesamt 50 in Deutschland. Mit Roland Pieber betritt ein noch relativ junger Mann von 34 Jahren die Bühne. Vom Typ her eher ein leiser Mensch, der seine außergewöhnliche Kochkunst im kleinen Rahmen des Restaurants Seo Küchenhandwerk in Langenargen praktiziert. Wer dort isst, bekommt dabei die Gänge meist vom Küchenchef selbst serviert, der den staunenden Gästen nicht einfach nur Essen hinstellt, sondern dabei auch Sinn und Geschichte hinter der kulinarischen Idee aufschlüsselt. Und zwar oft mit starker Bindung an seine österreichische Heimat Steiermark. Im Ergebnis finden auf seinen Tellern auch raffinierte Interpretationen rustikaler Bauernküche statt. Er entkernt zum Beispiel die manchen Gerichten innewohnende Derbheit auf das Essenzielle. So funktioniert zum Beispiel die sogenannte „Klachelsuppe“, die auf ausgekochter Schweinshaxe basiert. Was sich zunächst plump und fast ordinär anhört, weist auf dem Löffel aber samtige Anmutung auf, die den puren Schweinefleischgeschmack mit der Frische von Spargelchicorée und Liebstöckel einfängt.
Ein paar Tage später nach seiner Rückkehr aus Hamburg sagt ein von den Ereignissen noch immer überwältigter Roland Pieber am Telefon: „Mit einem zweiten Stern haben wir wirklich nicht gerechnet.“Es habe sich nach der Verkündung unwirklich angefühlt. „Erst nachdem ich eine Nacht darüber geschlafen habe, konnte ich es richtig realisieren. Es ist ein sehr schönes Gefühl.“Michael Ritter, der unter anderem das Seevital Hotel in Langenargen führt, in dem die Gourmetlocation Seo Küchenhandwerk untergebracht ist, bestätigt, dass bei Eröffnung des Restaurants 2018 die Zielrichtung klar war: „Ja, wir wollten einen Stern.“Die Langenargener hätten sie zunächst ausgelacht und nicht geglaubt, dass sie das hochgesteckte Ziel tatsächlich erreichen können. Bis 2020 der erste Stern alle Skeptiker Lügen strafte. An Pieber schätzt Ritter seine „konsequente und menschliche Art“.
Und dass er sich von seiner Linie nie habe abbringen lassen. Eine schönere Bestätigung der Arbeit aller im Restaurant als den zweiten Stern könne es kaum geben. Und was werden sie jetzt in dem kleinen Lokal mit seinen zwölf Plätzen verändern? „Man versucht halt wie immer, sich weiter zu verbessern. Wir machen also weiter wie zuvor“, sagt Pieber.
Damit teilt der Zwei-sternekoch unbewusst auch die Strategie des frisch gebackenen Einsterne-kochs Karr, der sein Restaurant nur etwa 15 Kilometer weiter östlich am Bodensee auf der Lindauer Insel am Alten Schulplatz betreibt. „Wir ändern überhaupt nichts“, sagt der 37Jährige, der mehrmals betont, den Stern überhaupt nicht gewollt zu haben. Seine kulinarische Kunst verknüpft er ähnlich wie Pieber stark mit seiner Person. Auch er bereitet die Teller nicht nur zu, sondern serviert sie auch den Gästen und erklärt seine Idee hinter solchen Kombinationen wie Schweinebauchsalat mit einer Mayonnaise aus Apfel, Knoblauch und Thymian. Er kann aber auch geerdete Gerichte wie „kross gebratenen Bodenseezander,
Blattspinat, Topinambur als Schaum und Gemüse“. Vom Typ her könnten beide allerdings gegensätzlicher kaum sein. Während Julian Karr in blauen Schuhen im Schlangenleder-design und Lagerfeld-haarschwanz selbstbewusst auftritt und sich am Herd und bei den Gästen auch als Entertainer versteht, wirkt Roland Pieber zurückhaltend, leise und ruhig. Wie manche seiner Teller, die bisweilen vom nordischen Stil geprägt sind und auf hoch ästhetische Weise karg und konzentriert wirken.
In der kulinarischen Gesamtschau des Guide Michelin schneidet Deutschland – einmal mehr – enorm gut ab. 340 Sterne leuchten inzwischen über der Republik, so viele wie niemals zuvor. Dass der Michelin-stern trotz des Mythos, der ihn umgibt, noch lange kein Garant ist, um als Koch in seiner Küche glücklich und zufrieden zu sein, hat in jüngster Zeit Marco Akuzun in seinem Gourmet-restaurant Markos in Weingarten erleben müssen. Nachdem in der wirtschaftlich starken Region um Ravensburg lange Zeit niemand einen Stern erringen konnte, schien Akuzun mit seinem langfristig diese Lücke zu schließen. Personalengpässe, Corona, Konsum-zurückhaltung infolge von Krieg, Krisen und Inflation habe es ihm nicht leicht gemacht, erfolgreich zu arbeiten. Im Juni ist jetzt Schluss – Akuzun verlässt Weingarten.
Damit steht der Ballungsraum Ravensburg-weingarten wieder ohne Stern da. Allerdings hat im Ravensburger Hotel Kaiserhof das Gourmet-restaurant Kaisersaal gerade seine Pforten geöffnet. Dort leitet der ambitionierte Küchenchef Kevin Leitner das kulinarische Geschehen. Er stammt aus Wangen im Allgäu und hatte zuletzt in Bodman im Restaurant s’äfple einen Michelin-stern geholt. Es spricht also nichts dagegen, warum nicht bald wieder ein neuer Stern über der Region aufgehen sollte.