Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Rückläufige Zahlen beim „Komasaufen“
Alkoholabhängigkeit im Landkreis Biberach bei über 55-Jährigen am höchsten
(sz) - Ein Glas Wein zum Essen, einen Schnaps als „Absacker“hinterher, ein Feierabendbier mit Freunden – Alkohol ist gesellschaftlich akzeptiert und gehört für viele Menschen zum Alltag. Doch regelmäßiges Trinken kann ein Einstieg in die Abhängigkeit sein und birgt erhebliche Gesundheitsschäden. Im Landkreis Biberach ist die Zahl der Alkoholabhängigen in den letzten fünf Jahren um 0,02 Prozent pro Jahr gestiegen, berichtet die Krankenkasse AOK Ulm-biberach. Der Trend zu exzessivem Trinken dagegen sei leicht rückläufig.
„Alkohol erscheint als leicht verfügbares Mittel, um abzuschalten. Doch zu wenigen Menschen ist bewusst, wie gefährlich der sorglose Umgang damit ist“, sagt Sabine Schwenk, Geschäftsführerin bei der AOK Ulm-biberach. „Alkohol ist eine Droge, die bewusstseins- und wahrnehmungsverändernd wirkt, die Organe schädigen und süchtig machen kann. Nur wenige Alkoholabhängige begeben sich in ärztliche Behandlung oder suchen eine Suchtberatungsstelle auf. Folglich ist die Dunkelziffer sehr hoch.“
Im Jahr 2022 zählte die Krankenversicherung im Landkreis Biberach 1230 Versicherte, die sich
aufgrund von Alkoholabhängigkeit in ärztliche Behandlung begaben – 42 mehr als 2018. Dabei waren laut der Auswertung der Versichertendaten vor allem Menschen in der zweiten Lebenshälfte betroffen. Bei den über 55Jährigen wurde bei 571 Männern und bei 184 Frauen eine Alkoholsucht diagnostiziert. Bei den 40bis 54-Jährigen waren insgesamt 302 Menschen betroffen, in der Altersgruppe 20 bis 39 Jahre 163 Versicherte. Bei zehn Jugendlichen zwischen 15 und 19 Jahren wurde eine Alkoholabhängigkeit diagnostiziert.
Die Zahl der Exzessiv-trinker, die sich regelrecht ins Koma getrunken haben, ist im Landkreis Biberach zwischen 2018 und 2022 um 5,96 Prozent jährlich gesunken.
Im Jahr 2022 mussten 252 Aok-versicherte alkoholbedingt in die Klinik eingeliefert werden, knapp 70 Prozent der Betroffenen waren Männer (177), heißt es in der Mitteilung weiter.
Die Grenze, ab wann der Alkoholkonsum als erhöht oder als zu viel angesehen werden kann, ist f ließend und individuell unterschiedlich. „Generell gibt es keinen risikofreien Alkoholkonsum, jedoch steigt das Risiko für alkoholbedingte Folgeschäden mit der Trinkmenge“, erklärt Sabine Schwenk. Die maximal tolerierbare Alkoholzufuhr bei gesunden Männern liegt laut Deutscher Gesellschaft für Ernährung (DGE) bei 20 Gramm Alkohol pro Tag, das entspricht etwa 0,5 Liter Bier oder 0,2 Liter Wein. Die Tagesdosis
an reinem Alkohol bei gesunden Frauen liegt bei der Hälfte. „Für die körperliche Gesundheit ist es allerdings am besten, überhaupt keinen Alkohol zu trinken“, so Schwenk.
Eine Abhängigkeit entwickle sich schleichend und ganz individuell, schreibt die AOK. Sie werde oft lange nicht erkannt oder verleugnet. Eine Alkoholabhängigkeit liege vor, wenn während des vergangenen Jahres mindestens drei der sechs Diagnosekriterien gleichzeitig bestehen: Starkes Verlangen nach dem Suchtmittel, Kontrollverlust über Frequenz und Menge des Konsums, Entzugserscheinungen bei ausbleibendem Konsum, Toleranzentwicklung, Vernachlässigung anderer Interessen und Lebensbereiche sowie Weiterführung des Konsums trotz offensichtlicher schädlicher Folgen.
Alkohol ist ein Zellgift, das grundsätzlich alle Organe schädigen kann. Zudem geht die Alkoholabhängigkeit häufig mit psychischen Erkrankungen einher. Auch soziale Folgen wie familiäre Probleme oder der Verlust des Arbeitsplatzes können damit verbunden sein. Die meisten Betroffenen schaffen es nicht allein, ihre Alkoholgewohnheiten zu ändern. „Wenn die Betroffenen von selbst keine Hilfe in Anspruch nehmen, kann es hilfreich sein, als Angehöriger das Problem vorsichtig anzusprechen und Unterstützung anzubieten“, rät die Aok-geschäftsführerin.
Die Hausärztin oder der Hausarzt kann erste Anlaufstelle sein. Auch Suchberatungsstellen können frühzeitige Unterstützung bieten und die Betroffenen in der Abstinenz unterstützen. „Ein wichtiger Baustein der Behandlung ist es, Bewältigungsstrategien im Umgang mit möglichen Risikosituationen für Alkoholkonsum und mit Alkoholrückfällen zu erlernen“, so Sabine Schwenk. „Um dauerhaft abstinent zu bleiben, empfiehlt sich der regelmäßige Besuch einer Selbsthilfegruppe und die Anbindung an eine Suchtberatungsstelle.“