Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Als Kneipensterben noch ein Fremdwort war
400 Jahre Wirtshauskultur in Riedlingen – Winfried Aßfalg gab am Dienstag Einblicke in seine Forschung
- Auf mehr als 60 Wirtshausnamen brachte es Riedlingen in den letzten 400 Jahren. Für Winfried Aßfalg, Historiker und langjähriger Vorsitzender des Altertumsvereins, war das Grund genug, der Wirtshausgeschichte in der Donaustadt wissenschaftlich auf den Grund zu gehen. In seinem Vortrag „Riedlinger Bierund Wirtshausgeschichte(n)“sprach er am Dienstagabend in der Kreissparkasse Riedlingen über die Entwicklung der Wirtshauskultur. Bei seiner Präsentation auf Einladung des Altertumsvereins und der Volkshochschule stellte er auch seine Theorie zum Zusammenhang zwischen Wirtshausnamen und der Bibel vor.
An diesem Abend solle es zwar nicht um Biersorten gehen, stellte Winfried Aßfalg zu Beginn seines Vortrags klar. „Trinkbares Bier war aber bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts ein Streitthema in Riedlingen gewesen.“Wettbewerb und Konkurrenz seien groß gewesen. Während des 18. Jahrhunderts habe es andauernde und heftige Zwistigkeiten zwischen Bierbrauern, Metzgern und Bäckern gegeben, die Bier herstellen wollten. Laut Riedlinger Zeitung schenkten 18 Wirtschaften ihr eigenes Bier aus, das teilweise sehr schlecht beurteilt wurde.
Das Problem mit der Qualität des Riedlinger Bieres schaffte es sogar in den ersten Umzug der Narrenzunft Gole 1866. Der damalige Bürgermeister Mederle kommentierte die Umzugsgruppe in einem Brief an seinen Sohn nach Stuttgart: „Ein Wagen mit einem Gumpbrunnen, in welchem eine Brühe wie Güllenwasser herauslief in eine Staude, in welcher Bräuknechte herumrührten und damit zeigten, wie das Gebräu gemacht wurde, von dem man früher sagte: Du bist so schlecht wie's Riedlinger Bier.“1863 war im Hohenzollern'schen Wochenblattes über das Riedlinger Bier zu lesen gewesen: „Alle Fehler wie das Riedlinger Bier“.
Schlechtes Brauwasser war ein Hauptgrund für ungenießbares
Bier. Es wurde aus den Abf lussrinnen der Donau geschöpft, durch die auch die Abwässer der Stadt f lossen. „Deshalb waren die Bierbrauer stets bestrebt, das Wasser aus den mit Quellwasser versorgten Brunnen zu schöpfen, das aber ausschließlich als Koch- und Trinkwasser freigegeben war“, so Aßfalg. Nachdem dieser Missbrauch zuerst hart bestraft wurde, erhielten einzelne Wirte nach und nach eine Erlaubnis dafür.
Obwohl das damalige Bier deutlich weniger Alkohol hatte, waren die getrunkenen Mengen beachtlich. Einen Eindruck davon gab Andreas Mayser, der Vorsitzender der Oberamts-sparkasse war. „Nimmt man die Besuchsfrequenz von Andreas Mayser, wie er ein Jahr in seinem Tagebuch 1836/ 1837 beschreibt, dann lässt sich der Wein- und Bierverbrauch nachvollziehen. Grob überschlagen erwähnt er über 550 Schoppen Wein oder Bier. Nach gültigem Maß sind das knappe 250 Liter in jenem Jahr“, so Aßfalg.
Besonders die Wirtshausnamen und ihre Besitzer haben ihn nach jahrelanger Beschäftigung mit Wirtshäusern nicht mehr losgelassen, erklärte Aßfalg weiter. „Bei der Spurensuche von 1786 rückwärts ins 17. Jahrhundert bis
1800 konnte ich 64 verschiedene Wirtshausnamen festgestellen.“Sechs davon habe er bisher keinem bestimmten Gebäude zuordnen können. Die Besitzer oder Betreiber dieser Einrichtungen waren häufig sehr reiche und damit einf lussreiche Bürger, saßen im Stadtrat oder waren sogar Bürgermeister. Die Auswahlmöglichkeiten waren laut Aßfalg wie ein Raster, in dem die Namen vorgegeben waren: „Anklang an geographische und topographische Gegebenheiten, Übernahme von Hausnamen und Hauszeichen, historische Ereignisse und biblische Symbole und christliche Zeichen.“
Deshalb habe es für ihn nahegelegen, weitere Bibelassoziationen zu suchen, wie Aßfalg erläutert. „Es gibt drei Stadtplätze in der Riedlinger Altstadt, und auf allen Plätzen dominierte jeweils die Wirtschaft mit einem Namen als Christussymbol: das Kreuz auf dem Haldenplatz, die Traube auf dem Marktplatz und das Weiße Lamm auf dem Weibermarkt“. Der vierte Platz, auf dem das Spital, die Herberge für Alte und Kranke, stand, hatte als einzige Wirtschaft die Drei Rosen als Symbol für Maria, dem Heil der Kranken, der Zuflucht der Betrübten und mit der göttlichen Dreizahl versehen.
Die Nachfahren einiger Riedlinger Wirte wurden schließlich sogar über Stadt und Region hinaus bekannt. Sebastian Rau, Sohn des Hirschwirts in der Langestraße, hatte als Erster am 28. März 1827, zwei Tage nach Beethovens Tod, als Erster in einem Brief nach England darüber berichtet.
„Was die Saulgauer weniger freuen dürfte, ist folgender Umstand“, so Aßfalg: Andreas Kleber aus Riedlingen hat 1813 die Engelwirtstochter Maria Barbara Dangel in Saulgau geheiratet und den
Namen Kleber-post dorthin gebracht. Sogar in die USA geschafft hat es ein weiterer Riedlinger. Der am 24. November 1824 in Riedlingen geborene und 1888 in Milwaukee gestorbene Friedrich Johann Miller wurde weltbekannt mit seinem Miller-beer.
Nicht das erste Mal sprach Winfried Aßfalg am Ende des Abends von seinem vermutlich letzten Vortrag. Dem Schmunzeln des Publikums auf diese Aussage hin konnte man entnehmen, dass er sich dabei hoffentlich wieder irren wird.