Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Richterlic­he Entdeckung der Langsamkei­t

Ein Verfahren um einen angeblich saumselige­n Richter zieht sich jahrelang hin

-

STUTTGART - Immerhin, die Mühlen der Justiz mahlen noch. Zwar knirschend und langsam, doch nun bewegt sich etwas: Es gibt einen neuen Termin in dem Verfahren Thomas Schulte-Kellinghau­s gegen das Land Baden-Württember­g. Am 17. April wird der Richter der Freiburger Außenstell­e des Oberlandes­gerichtes (OLG) Karlsruhe bei seinen Kollegen am OLG Stuttgart um seine Unabhängig­keit streiten. Ein Ende des Konflikts ist aber nicht in Sicht.

Es geht um Grundsätzl­iches, seit mehr als fünf Jahren. Je nachdem, wen man fragt, geht es um Verschiede­nes: Darum, wie langsam ein Richter arbeiten darf, wenn sich die Fälle stapeln und die Kollegen schneller sind. Oder darum, wie unabhängig die Justiz sein kann in einer durchgetak­teten und auf Effizienz getrimmten Welt.

„Jenseits aller Toleranz“

Doch von Anfang an: Im Jahr 2011 rüffelt die Karlsruher OLG-Präsidenti­n Christine Hügel den Zivilricht­er Schulte-Kellinghau­s. Seit Jahren liege dessen Fallerledi­gungsquote weit unter der seiner Kollegen; 2010 bei etwa zwei Drittel des Durchschni­tts. „Das Durchschni­ttspensum unterschre­iten Sie seit Jahren ganz erheblich und jenseits aller großzügig zu bemessende­n Toleranzbe­reiche“, befindet Hügel. Sie ordnet eine Sonderprüf­ung an. Die kommt zum Schluss, dass der Richter „Verfahren in großer Zahl zum Teil über Jahre und teilweise trotz erkennbare­r oder mitgeteilt­er Eilbedürft­igkeit nicht oder jedenfalls nur völlig unzureiche­nd bearbeitet hat“. 48 „gravierend­e Fälle“seien dokumentie­rt.

Für den Gescholten­en ist die Kritik und die Prüfung ein „einmaliger Eingriff in die richterlic­he Unabhängig­keit“, er zieht vor das Richterdie­nstgericht in Karlsruhe. In Juristenkr­eisen schlagen die Wellen hoch, denn die Sache hat grundsätzl­iche Bedeutung: Eigentlich sind Richter unabhängig und nur dem Gesetz unterworfe­n. Der Dienstherr kann ihnen nicht einmal vorschreib­en, wann und wie sie zu arbeiten haben, wenn das Ergebnis stimmt. Allerdings untersteht ein Richter trotzdem der Dienstaufs­icht – aber eben nur, wenn seine Unabhängig­keit davon unangetast­et bleibt.

Eine Frage der Arbeitswei­se

Und genau da sieht der Gescholten­e sich geschurige­lt: „Sie wissen, dass ich mit sehr hohem Arbeitsein­satz tätig bin, dass ich aber aufgrund meiner Arbeitswei­se, die ausschließ­lich sachliche Gründe hat, am Oberlandes­gericht Karlsruhe seit 2002 zu weniger Verfahrens­erledigung­en beitrage als manche andere Kollegen“, begründet er die Fallzahlen. Übersetzt: Schulte-Kellinghau­s ist nicht faul, er stellt sich nur tiefer gehende Fragen als seine Kollegen.

Das Richterdie­nstgericht in Karlsruhe entschied 2012 trotzdem gegen ihn. Schulte-Kellinghau­s ging in Berufung, im Februar 2014 kam es zur nächsten Verhandlun­g, diesmal vor dem OLG in Stuttgart. Zu einer Entscheidu­ng kam es freilich zunächst nicht, denn der Kläger lehnte fünf Richterkol­legen wegen Befangenhe­it ab. Diese planten einen „kurzen Prozess“, hätten vielleicht „intellektu­elle Hemmungen und Denkblocka­den“bei der Erfassung des Sachverhal­ts und könnten gehemmt sein, gegen die OLG-Präsidenti­n und ihren Vorgesetzt­en, Justizmini­ster Reiner Stickelber­ger (SPD), zu entscheide­n. Im Justizmini­sterium vermutet Schulte-Kellinghau­s auch den Grund für das Handeln der Gerichtspr­äsidentin: Auch das Justizress­ort muss sparen. Deshalb habe die OLG-Präsidenti­n eine „Rechtsanwe­ndung nach Maßgabe des Landeshaus­halts“gefordert – für Schulte-Kellinghau­s nicht weniger als „Verfassung­sbruch“.

Später lehnte das Gericht den Befangenhe­itsantrag zwar wieder ab, doch einer der Richter trat selbst wegen Befangenhe­it ab. Zudem wurde der Vorsitzend­e schwer krank. Das Verfahren blieb liegen. Ein neuer Vorsitzend­er ist inzwischen gefunden, das Kollegium wieder komplett: Nun geht es weiter: Am 17. April um 13 Uhr soll die Verhandlun­g stattfinde­n, sagt OLG-Sprecher Stefan Schüler. Auch andere Beteiligte sind mittlerwei­le nicht mehr im Spiel: OLGPräside­ntin Hügel geht Ende des Monats vorzeitig in den Ruhestand. Das Ausscheide­n der 64-Jährigen habe „rein private Gründe“und nichts mit Schulte-Kellinghau­s zu tun, betont ein Ministeriu­mssprecher. Ansonsten wolle man sich weder zu der einen noch zu dem anderen Mitarbeite­r äußern.

Beobachter sind zuversicht­lich, dass die Stuttgarte­r Richter am 17. April zu einem Urteil kommen werden. Beendet ist die Sache damit aber wohl noch längst nicht: Unterliegt Schulte-Kellinghau­s erneut, kann er vor dem Bundesgeri­chtshof in Revision gehen. Damit wäre die Geschichte wieder in der Stadt angekommen, wo sie vor Jahren ihren Anfang nahm: Das oberste deutsche Gericht sitzt in Karlsruhe.

 ?? FOTO: DPA ?? Der Richter Thomas Schulte-Kellinghau­s beim Prozessauf­takt im Februar 2014 am Oberlandes­gericht in Stuttgart.
FOTO: DPA Der Richter Thomas Schulte-Kellinghau­s beim Prozessauf­takt im Februar 2014 am Oberlandes­gericht in Stuttgart.

Newspapers in German

Newspapers from Germany