Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Mit Quietscheenten gegen den Kreml
Tausende zumeist junge Russen prangern am Sonntag die Korruption an der Staatsspitze an – Behörden greifen hart durch
MOSKAU (dpa) - Ein gelbes Entchen hängt an einer Kette um den Hals einer jungen Russin. Nichts anderes deutet darauf hin, dass sie sich mit den Mächtigsten des Landes anlegen will. Mit Freunden spaziert sie auf einer Straße Moskaus entlang, die zum Kreml führt. Das Entchen steht für Regierungschef Dmitri Medwedew und Korruption in Russland.
Es ist ein ruhiger, warmer Sonntagnachmittag – nur wenige Minuten später zerrt die Polizei mit Schlagstöcken bewaffnet zahlreiche Demonstranten in Busse. Am Ende sollen allein in Moskau mehr als 1000 Menschen festgenommen worden sein – auch der Kremlkritiker und Organisator Alexei Nawalny sitzt stundenlang in Gewahrsam.
Seine wichtigste Waffe hat er aber bei sich: seinen Twitteraccount. Im Minutentakt postet Nawalny in dem Kurzmitteilungsdienst Kommentare oder er twittert Fotos aus dem Gericht. Als er zu 15 Tagen Arrest verurteilt wird, schreibt Nawalny: „Es kommt die Zeit, in der andere vor Gericht stehen werden.“Er hatte zu den Protesten in ganz Russland am Wochenende aufgerufen.
Der 40-jährige Jurist veröffentlichte auf Youtube ein Video, das zum Anlass für die größten landesweiten Proteste seit Jahren führt. Detailliert prangert er den durch Korruption angehäuften Luxus des Regierungschefs an: Weingüter, Jachten und den aufwendigen Bau eines Entenhäuschen an einem Teich bei einer Luxusdatscha. Schuhe und Entchen werden zum Symbol der grassierenden Korruption im ganzen Land. Rund 13 Millionen Klicks gab es allein für das offizielle Video.
Der Kreml kommentierte das Thema nicht, Medwedew ignorierte die Anschuldigungen komplett. „Diese Reaktion der Eliten hat zu den Protesten geführt. Ein Thema totzuschweigen, funktioniert im Zeitalter des Internets nicht mehr“, sagt der Politologe Michail Winogradow der Zeitung „Kommersant“.
Vor allem Studenten und Schüler protestierten am Wochenende – selbst Minderjährige werden festgenommen. Die meisten „friedlichen Spaziergänge“waren im Vorfeld verboten worden. Die Behörden warnten, man werde hart durchgreifen.
Rund 1000 Festnahmen an einem Tag in Moskau sei ein trauriger Rekord, schreibt der Blogger Ilja Warlamow. So viele gab es nicht einmal bei den Massenprotesten im Winter 2011 und 2012. Damals waren über Wochen hinweg Hunderttausende Menschen gegen Wahlbetrug auf die Straße gegangen. Sie wurden brutal von der Polizei niedergeknüppelt.
Die Schülerin Katja erzählt einem Internetportal von ihrer Festnahme in Moskau. Sie werde auch wieder auf die Straße gehen, „es ist einfach richtig“. Die 16-Jährige befürchtet nur, dass sich die Menschen nicht mehr auf die Straße trauen.