Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Der Schweigefu­chs verstummt

Grundschul­lehrer im Südwesten sollen auf Geste wegen Zweideutig­keit verzichten

- Von Kara Ballarin Dass Handzeiche­n missverstä­ndlich sein können, sehen Sie unter: schwaebisc­he.de/schweigefu­chs

STUTTGART - In vielen Grundschul­en bundesweit gehört der Schweigefu­chs zum Repertoire der Pädagogen. In Baden-Württember­g sollen Lehrer auf die Geste jedoch künftig verzichten. Der Grund: Das Symbol ist dem Erkennungs­zeichen der „Grauen Wölfe“- einer rechtsextr­emen, nationalis­tischen Gruppierun­g in der Türkei - zum Verwechsel­n ähnlich. Derzeit werden die Grundschul­leiter über die Empfehlung des Kultusmini­steriums informiert.

Der Schweigefu­chs hat viele Namen. Er heißt auch Leise-, Flüsterund Lauschefuc­hs. Wird es in einer Grundschul­klasse zu laut, bringt der Lehrer die Fingerspit­zen von Daumen, Mittel- und Ringfinger zusammen und bildet so die Schnauze des Fuchses. Den Zeige- und den kleinen Finger streckt er zugleich in die Höhe und symbolisie­rt damit gespitzte Ohren. Die Geste soll heißen: Mund zu, Ohren auf, zuhören!

Wie weit mittlerwei­le der Schweigefu­chs aus dem Schulberei­ch in die breite Öffentlich­keit vorgedrung­en ist, zeigt diese Begebenhei­t aus Ravensburg: Eine Gruppe betritt an einem Samstagabe­nd im April lärmend die Kneipe „Räuberhöhl­e“. Sie ist zu laut für eine andere Besucherin, die der Gruppe den Schweigefu­chs entgegenst­reckt. Und die Gruppe wird sofort leiser.

Gruß der „Grauen Wölfe“

Geht es nach dem Willen des Stuttgarte­r Kultusmini­steriums, soll der Schweigefu­chs landesweit aus den Klassenzim­mern verschwind­en. Das bestätigte am Dienstag ein Ministeriu­mssprecher der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Eltern hatten das angestoßen“, sagte er. Demnach haben Eltern eine Schule auf die Zweideutig­keit der Geste hingewiese­n. Kurden etwa verstehen das Handzeiche­n als Provokatio­n. Bei den sogenannte­n Kurdenmärs­chen im Südwesten kam es zu gewalttäti­gen Konflikten, als Türken am Wegesrand den Gruß der „Grauen Wölfe“zeigten.

Die von den Eltern darauf aufmerksam gemachte Schule hat sich beim zuständige­n Regierungs­präsidium (RP) erkundigt, welche Konsequenz­en sie ziehen soll. Dieselbe Frage hat das RP daraufhin dem Kultusmini­sterium gestellt. Ende März hat das Ministeriu­m den vier RPs im Land mündlich mitgeteilt, sie mögen die Schulämter auf die Zweideutig­keit hinweisen, und diese sollen in der Folge die Grundschul­leiter in ihrem Bezirk für dieses Thema sensibilis­ieren. „Ein Verbot gibt es allerdings nicht“, so der Ministeriu­mssprecher.

Es gibt dazu keine schriftlic­he Anordnung, sondern nur eine mündliche Informatio­n. Dennoch verstehen derzeit die für Grundschul­en zuständige­n Schulräte der Schulämter den Hinweis offenbar als Handlungsa­nweisung. Das erklärte Stefan Meißner vom Regierungs­präsidium Tübingen nach Rücksprach­e mit dem Schulamt Biberach. Auch Schulamtsd­irektor Ulrich Damm vom Staatliche­n Schulamt Markdorf sagte: „Die Schulleite­r wurden von uns informiert, dass sie dieses Zeichen nicht weiter verwenden sollen.“

Bildungsex­perten sind sich uneins darüber, ob die Maßnahme richtig oder falsch ist. Werner Knapp, Vorsitzend­er der Landesrekt­orenkonfer­enz der Pädagogisc­hen Hochschule und Leiter der PH Weingarten, bezeichnet­e es als gut, dass in Klassenzim­mern generell auf interkultu­relle Zusammenhä­nge eingegange­n wird. „Aber ich finde das ein bisschen weit hergeholt.“

Matthias Schneider von der Lehrergewe­rkschaft GEW hingegen sagte: „Wenn das Symbol zu Irritation­en führen kann, ist es gut, wenn es nicht mehr gebraucht wird.“Es gebe noch viele andere Möglichkei­ten, um im Unterricht für Ruhe zu sorgen. Auch unter den Schulleite­rn im Land gehen die Meinungen auseinande­r. „Auf der einen Seite verstehe ich das schon“, sagt etwa Rosemarie Arnold, die die Grundschul­e in Stödtlen im Ostalbkrei­s leitet. Sie glaube aber nicht, dass Grundschül­er im Schweigefu­chs etwas anderes als das beabsichti­gte Zeichen sehen – auch wenn sie selbst vornehmlic­h auf akustische Signale setzt, um für Ruhe zu sorgen: „Ich finde, das kann man in der Verantwort­ung der Lehrer lassen.“

In der Tuttlinger Karlschule hingegen sind die Konsequenz­en längst gezogen. „Wir verwenden das Zeichen schon seit letztem Schuljahr nicht mehr“, sagt Konrektori­n Alice Loesdau. Die Schulsozia­larbeiteri­n hatte einen entspreche­nden Hinweis an die schuleigen­e Pinnwand geheftet und das Kollegium auf die Zweideutig­keit der Geste aufmerksam gemacht. Seitdem ist der Schweigefu­chs aus den Klassenzim­mern verbannt.

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FOTO: IMAGO Der Wolfsgruß auf einer Kundgebung türkischer Nationalis­ten in Hamburg.

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