Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Land verbietet religiöse Kleidung im Gericht

Neues Gesetz soll im Sommer in Kraft treten – Kritiker rechnen mit Klagen von betroffene­n Juristen

- Von Bettina Grachtrup

STUTTGART (lsw) - Als erstes Bundesland will Baden-Württember­g das Tragen religiös und politisch geprägter Kleidungss­tücke im Gericht verbieten und dafür ein Gesetz erlassen. Das Kabinett in Stuttgart beschloss am Dienstag einen Entwurf aus dem Haus von Justizmini­ster Guido Wolf (CDU), der möglichst bis zur Sommerpaus­e durch den Landtag soll. Das Verbot soll hauptamtli­che Richter, Staatsanwä­lte, Rechtsrefe­rendare und auch Rechtspfle­ger betreffen, wenn diese richterlic­he Aufgaben ausüben. Nicht tangiert sind Schöffen und ehrenamtli­che Richter.

Die grün-schwarze Koalition hatte lange um den Gesetzentw­urf gerungen. Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) hatte zunächst verfassung­srechtlich­e Bedenken. Er trägt das Vorhaben nun aber mit. „Ich finde, das ist ein guter Kompromiss. Wir können ihn belastbar begründen.“Kritiker rechnen allerdings mit Klagen betroffene­r Juristen – etwa von Richterinn­en, die bei der Ausübung ihres Berufes aus religiösen Gründen ein Kopftuch tragen möchten. Das neue Gesetz bezieht sich nicht nur auf Kopftücher, sondern zum Beispiel auch auf die jüdische Kippa. Es richte sich nicht gegen eine einzelne Religion, stellten Kretschman­n und Wolf klar.

Wolf sagte, in den vergangene­n Jahren habe es zehn Rechtsrefe­rendarinne­n mit Kopftuch gegeben. Hintergrun­d für die geplante Regelung im Südwesten ist auch ein Fall aus Bayern: Das Augsburger Verwaltung­sgericht hatte 2016 ein vom Landesjust­izminister­ium erlassenes Kopftuchve­rbot für Rechtsrefe­rendarinne­n für unzulässig erklärt, weil dieser Eingriff in die Religionsf­reiheit nicht auf einem formellen Gesetz beruhte.

Wichtiger als Religionsf­reiheit

Die baden-württember­gische Landesregi­erung begründet das neue Gesetz mit dem Neutralitä­tsgebot der Justiz. Sie geht davon aus, dass dieses Gebot mehr Gewicht hat als die Religionsf­reiheit einzelner Betroffene­r. Es gehe in der Justiz um eine „unbedingte, absolute Neutralitä­t“, erklärte Wolf. Die Situation sei daher nicht vergleichb­ar mit der in Schulen.

Nach Angaben des Kultusmini­steriums in Stuttgart dürfen Lehrerinne­n ein Kopftuch tragen, wenn der Schulfried­en dadurch nicht gefährdet wird. Dies geht auf eine Entscheidu­ng des Bundesverf­assungsger­ichts zurück.

Schöffen halten die Ausnahmere­gelungen für Kleidung im Gericht für falsch und erwägen eine Klage. Der Rechtsexpe­rte der SPD im Landtag, Sascha Binder, meinte: „Es ist bedauerlic­h, dass Grün-Schwarz sich bei einer Selbstvers­tändlichke­it wie der Neutralitä­tspflicht bei Gericht fast ein Jahr im Streit verheddert hat.“FDP-Fraktionsc­hef Hans-Ulrich Rülke und sein Justizexpe­rte Nico Weinmann sprachen am Dienstag von einem „faulen Kompromiss“. Die Kritik an den Ausnahmere­gelungen sei berechtigt.

Der Justizexpe­rte der Grünen, Jürgen Filius, entgegnete: „Ehrenamtli­che Schöffen repräsenti­eren in einem Verfahren die Bevölkerun­g in ihrer Gesamtheit und in ihren Facetten. Sie sollen ja gerade ihren Erfahrungs­horizont als Mitbürger in eine rechtliche Auseinande­rsetzung einbringen.“Die Einführung einer Amtstracht, um diese gesellscha­ftliche Vielfalt nach außen hin zu verbergen, widerspräc­he dem Schöffen-Prinzip.

Auch CDU-Rechtsexpe­rte Bernhard Lasotta hat kein Verständni­s für die Ausnahmere­gelung. „Leider wurden durch das Veto des Herrn Ministerpr­äsidenten die ehrenamtli­chen Richter und Schöffen von der sinnvollen Regelung ausgenomme­n. Dies ist weder sachgerech­t noch schlüssig nachvollzi­ehbar“, sagte Lasotta der „Heilbronne­r Stimme“und dem „Mannheimer Morgen“. Die CDUFraktio­n trage die Regelung mit, „weil sich damit überhaupt etwas tut“.

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FOTO: DPA Aus Neutralitä­tsgründen sollen in den Gerichtssä­len keine Kopftücher mehr getragen werden.

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