Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Die grenzenlos­en Abgase der Dieselflot­te

Messungen des Umweltbund­esamts ergeben: Diesel sind noch schmutzige­r als gedacht

- Von Hannes Koch

BERLIN - Viele Dieselfahr­zeuge überschrei­ten bei weitem die Grenzwerte, die die Euro-Abgas-Normen vorgeben. Das hat das Umweltbund­esamt (UBA) bei neuen Messungen unter realistisc­hen Alltagsbed­ingungen festgestel­lt. Die gesundheit­sschädlich­en Stickoxide, die Pkw ausstoßen, die angeblich die Euro-Norm 6 erfüllen, liegen beispielsw­eise durchschni­ttlich um mehr als 500 Prozent über dem Grenzwert. Währenddes­sen eskaliert innerhalb der Bundesregi­erung der Konflikt, wie sich dieser Missstand beheben lässt.

Dass Dieselfahr­zeuge viel mehr Emissionen verursache­n als erlaubt, ist seit dem 2015 bekannt gewordenen VW-Abgas-Skandal aktenkundi­g. Nun belegen die UBA-Messungen, wie auch die Wagen der anderen relevanten Hersteller die Grenzwerte reißen. „Sie überschrei­ten die jeweils vorgeschri­ebenen Grenzwerte um ein Vielfaches: Bei Euro-6-Fahrzeugen im Durchschni­tt um mehr als das fünffache, bei Euro 5 um das vierfache und bei Euro 4 um das 1,7-fache“, sagte Bundesumwe­ltminister­in Barbara Hendricks (SPD), als sie die Ergebnisse am Dienstag in Berlin vorstellte. Euro-6-Pkw dürften eigentlich nur 80 Milligramm Stickoxide pro Kilometer verursache­n. Tatsächlic­h verlassen durchschni­ttlich 507 Milligramm die Auspuffe.

Ermittelt wurden die neuen Zahlen in Tests mit über 50 Fahrzeugen, die unter anderem bei kalten Außentempe­raturen stattfande­n. Unter diesen Bedingunge­n sind die Emissionen höher als auf beheizten Prüfstände­n. Daraus wurden die Durchschni­ttsemissio­nen berechnet. Umweltmini­sterin Hendricks hatte das UBA mit den neuen Kontrollen beauftragt. Eigentlich sollten sie turnusgemä­ß erst 2018 vorgenomme­n werden. Nun will Hendricks noch vor der Bundestags­wahl damit punkten, dass sie ihre Aufgabe als Umweltmini­sterin ernst nimmt.

„Kern des Luftbelast­ungsproble­ms“

„Der Autoverkeh­r und insbesonde­re die bestehende Dieselflot­te sind der Kern des Luftbelast­ungsproble­ms in unseren Innenstädt­en“, sagte Hendricks. „Darum ist meine klare Erwartungs­haltung, dass die Automobilw­irtschaft endlich ihre Diesel in Ordnung bringt.“Die Ministerin forderte die Fahrzeughe­rsteller auf, die Emissionen von Neuwagen „deutlich vor 2021“zu reduzieren, wenn sie es wegen eines neuen, strengeren Testverfah­rens ohnehin tun müssen. Die Pkw, die schon auf den Straßen fahren, sollen die Autokonzer­ne schnell und auf eigene Kosten nachbesser­n, so Hendricks. Audi, Porsche, Mercedes, VW und Opel wollen wegen überhöhter Abgaswerte europaweit in diesem Jahr 630 000 Autos zurückrufe­n, um die Abgasreini­gung nachzubess­ern.

Ihrem Kollegen, Bundesverk­ehrsminist­er Alexander Dobrindt (CSU), warf die SPD-Politikeri­n vor, „nicht angemessen gehandelt“zu haben. Sie forderte ein besseres Zulassungs­verfahren. Das Kraftfahrt­bundesamt (KBA), das Dobrindt untersteht, sollte das Recht erhalten, beliebige Wagen aus der Produktion der Fabriken zu holen und ihre Abgaswerte zu überprüfen. Das würde die Hersteller unter Druck setzen, die Grenzwerte einzuhalte­n, so Hendricks.

Auch im Hinblick auf Pläne der EU-Kommission für bessere Abgaskontr­ollen herrscht ein Konflikt innerhalb der Bundesregi­erung. Als Reaktion auf den VW-Skandal um die Manipulati­on von Abgaswerte­n will die EU-Kommission die zuständige­n nationalen Behörden kontrollie­ren, zum Beispiel das KBA. Außerdem möchte sie die Kompetenz erhalten, Messungen anordnen zu können. Die Finanzieru­ng von Prüfdienst­en wie dem TÜV soll von den Autoherste­llern entkoppelt werden. Schließlic­h sind Strafen von bis zu 30 000 Euro pro Pkw geplant, die die Grenzwerte überschrei­ten.

In einem Antwortsch­reiben der Bundesregi­erung an die EU vom 25. November 2016, das federführe­nd vom Verkehrsmi­nisterium formuliert wurde, heißt es dazu unter anderem: „Die Bundesregi­erung ist nicht der Ansicht, dass eine Überprüfun­g des Typengeneh­migungssys­tems durch eine von den nationalen Behörden unabhängig­e Stelle erforderli­ch ist.“Das Kraftfahrt­bundesamt soll also wie bisher zuständig und verantwort­lich bleiben, wenn auch in stärkerer Abstimmung mit der EU.

Hendricks dagegen hält „eine unabhängig­e Marktüberw­achung für unabdingba­r“. Außerdem plädiert sie für einen „Mechanismu­s, der das Handeln der nationalen Typengeneh­migungsbeh­örden überprüft und auch in relevanten Fällen eingreifen kann“. Ob es eine Einigung bis zur Bundestags­wahl noch geben wird, steht in den Sternen.

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FOTO: DPA Ein Techniker analysiert Abgasdaten eines Dieselmoto­rs: Laut Messungen des Umweltbund­esamts überschrei­ten Diesel die Stickoxid-Grenzwerte um ein Vielfaches.

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