Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Bürgersohn, Missionar, Heiliger
Matthias Ilgs zweibändiges Werk befasst sich mit dem Fideliskult zwischen 1622 und 1729
SIGMARINGEN - „Wie wird man ein Heiliger der Gegenreformation?“Dass Matthias Emil Ilg eine Frage des britischen Sozial- und Kulturhistorikers Peter Burke an den Beginn seiner Untersuchung des Fideliskults stellt, lässt erahnen, dass der Verfasser mehr als die Biographie des Sigmaringer Bürgerssohns Marcus Roy (1577-1622) im Blick hat. Sein zweibändiges Werk will seine Verehrungsgeschichte systematisch am Beispiel des am 24. März 1729 durch Papst Benedikt XIII. selig gesprochenen und der 1746 durch Papst Benedikt XIV. als „einziger Heiliger aus dem Geist der Gegenreformation“für die römische Kirche in den Heiligenkalender aufgenommen wurde: Fidelis von Sigmaringen. Er trat 1612 als Dr. jur. utr. (Doktor der Rechte) Marcus Fidelis Roy in Freiburg dem Kapuzinerorden bei, um als Glaubenszeuge und Missionar die Grundsätze der katholischen Reform auch im Interesse der Habsburger Politik zu vertreten und war ausgestattet mit einem Religionsmandat als „General-Strafmandat“in sieben Punkten. Er wurde am 24. April 1622 in Seewies ermordet und damit zum Protomärtyrer des Kapuzinerordens und der Kongregation für die Evangelisierung der Völker, deren Dekret der Ernennung zum Missionspräfekten ihn nicht mehr zu Lebzeiten erreichte.
Mit seiner wissenschaftlichen Arbeit zur Verehrung des heiligen Fidelis zwischen 1622 und 1729 leistet Matthias Emil Ilg einen maßgeblichen Beitrag, offene Fragen der Wahrnehmung und handlungsanleitenden Deutung des 30-jährigen Krieges zu beantworten. Die Arbeit ist an der Universität Tübingen im Sonderforschungsbereich „Kriegserfahrungen, Krieg und Gesellschaft in der Neuzeit“entstanden und wurde 2010 als Dissertation vorgelegt.
Identitätsstiftende Wirkung
Heiligsprechungsprozess in doppelter Hinsicht: Mehrere Deutungsebenen erforderten eine Recherche, die die Grenzen der Kirchen- und Ordensgeschichte überschreiten ließ, weil dieser Märtyrer nicht nur für den katholischen Glauben, sondern auch für die maßgebliche Zielstellung des frühmodernen Staates sein Blut vergossen hatte: die konfessionelle Einheitlichkeit, durchgesetzt mithilfe eines „Martyrerheros“, sollte zum prägenden Element des „Barockkatholizismus habsburgischer Prägung“werden und, flankiert durch Volksfrömmigkeit, identitätsstiftende Wirkung im 17./18. Jahrhundert entfalten.
Für die oben genannte Einstiegsfrage von Peter Burke kam Ilg die Aktualität des Fidelis-Martyriums zuhilfe, da traditionell eine Mehrzahl der Heiligsprechungen nach dem Konzil von Trient zwar Angehörige von Orden betraf. Diese waren allerdings regional ungleich verteilt: 26 Italiener, 17 Spanier, vier Franzosen, drei Polen, zwei Portugiesen – und aus dem Personal-Reservoir des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation finden sich bis ins 18. Jahrhundert nur zwei Ordensleute. Deshalb setzte sich Kardinal Graf Eitel Friedrich von Hohenzollern-Sigmaringen als Gründungsmitglied an die Spitze einer Lobby der Kongregation für die Verbreitung des Glaubens nachweislich für die Eröffnung eines Selig- beziehungsweise Heiligsprechungsprozesses für seinen Landsmann Fidelis aus Sigmaringen ein und eröffnete 1622 damit eine erste Phase des Fideliskults.
433 Wunder werden ausgewertet
Zur Einschätzung des Kults vor und nach der Heiligsprechung diente eine Auswertung von 443 Wundern zwischen 1622 und 1729 sowie Fideliswundern nach dem Gebrauch von Primär- oder Kontaktreliquien und die „Fidelistaufen“(Taufnamenanalyse) als Indikatoren für Kultpflege. Bilder – mit Marterinstrumenten und Reliquien – als Inspirationsquellen für den Fideliskult in der Druckgrafik und Portraitmalerei stellt der Verfasser exemplarisch vor. Darüber hinaus weist der Autor Wirkungsorte des Fidelis von Sigmaringen nach. Aktuelle Nachrichten über den Tod von P. Fidelis dienten der Vergewisserung der Legitimierung des Fideliskults, der damit auch im Interesse der Habsburger und Wittelsbacher Positionen im Dreißigjährigen Krieg stabilisierend wirken konnte.
Mit seiner Arbeit leistet Matthias Emil Ilg einen maßgeblichen Beitrag, offene Fragen der Wahrnehmung und handlungsanleitenden Deutung des Dreißigjährigen Krieges zu beantworten, in dem er die Persönlichkeit des Kapuziners Fidelis von Sigmaringen als „Symbolträger für den legitimatorischen und konsolatorischen religiösen Sinn der Kriegsleiden von Katholiken“als weitere Facette einer Erinnerungskultur nahebringt: Leiden und Opferbereitschaft, überhöht im Tod als bibelnahe Erfahrung von Triumph geben dem christlichen Heilsversprechen in der konkreten Lage einen tieferen Sinn. Die Heiligsprechung Fidelis begründet eine Verehrung nach den tridentinischen Regularien und einer „unmissverständlichen politischen Konnotation“des Hauses Habsburg und den „heroischen Tugenden“wie Körperbeherrschung und Askese aber auch Reformtreue in Krisenzeiten der Kirche eines heimischen Vertreters für ein konfessionelles Proprium, das den katholischen Gläubigen in Sigmaringen bis heute als Element der konfessionellen Selbstvergewisserung dient. Dies erfüllt, unbeschadet von historischen und politischen Schwankungen, die katholische Gemeinde mit Stolz, wie die Wiederbelebung und die aktuelle Pflege des Fideliskults an seinem Geburtsort, augenscheinlich auch durch die aktive Mitwirkung des Fürstenhauses, beweist. „Europäisches Format“gewinnt der dem Fideliskult zugrundeliegende