Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Mal brachial, mal filigran ...
SZ-Redaktion im Training: Ein Handball-Towart braucht ein besonders dickes Fell
PFULLENDORF - Handball gilt als eine der härtesten Ballsportarten. Enge Spielräume und hohes Spieltempo führen dazu, dass die Zweikampfintensität in dieser Sportart besonders hoch ist. Als härtester Job überhaupt im Handball gilt jedoch die Torhüterposition. Aus kürzester Entfernung feuern die Feldspieler die knapp ein halbes Kilogramm schweren Bälle (425 bis 475 Gramm wiegen diese im Männerhandball) auf Tor und Torhüter. Dabei werden die Lederbälle leicht auf Geschwindigkeiten von über 100 Kilometern pro Stunde beschleunigt. Der härtesten jemals in Deutschland gemessene Wurf kam aus der Hand des legendären Erhard Wunderlich: 131 km/h erreichte dessen Geschoss.
Ich, SZ-Redakteur Oliver Kothmann, stellte mich im Training des Handball-Landesliga-Clubs TV Pfullendorf mal zwischen die Pfosten, um diese Dynamik am eigenen Leibe zu erleben. Das Fazit vorweg: Mein Respekt vor Handballkeepern war schon immer groß. Nach der Trainingseinheit mit dem Team von Trainer Arno Uttenweiler ist er noch gewachsen.
Schon das Aufwärmprogramm versetzt mich in den ultimativen Alarmzustand: Hintereinander weg laufen die TVPSpieler auf mich zu und werfen aus zirka acht Metern scharf und präzise Richtung meines Kopfes! Schon da komme nicht mehr mit: Sind Kopftreffer nicht total verpönt im Handall? „Damit beginnt eigentlich jedes Torwartaufwärmtraining, leichte Bälle zum Fangen auf Kopfhöhe“, wird mir Uttenweiler erklären, als ich nach rund einem Dutzend vermeintlicher Anschläge auf meine Gesundheit leise protestierend das Tor verlasse und von TVPKeeper Chris Thews ersetzt werde. Der wehrt die Würfe, die ich als bedrohlich wahrgenommen habe, tatsächlich reihenweise mit Leichtigkeit ab. Gute Fußballtorhüter schauen sich von ihren Handball spielenden Kollegen gerne etwas ab. Von Fußball-Nationalkeeper Manuel Neuer ist überliefert, dass er sich in so genannten „Eins-gegen-Eins-Situationen“ähnlich verhält wie diese: „Wenn ein Spieler auf mich zuläuft, versuche ich, so nah wie möglich an ihn heranzukommen, damit er mich nur noch abschießen kann.“
„Man gewöhnt sich daran“
Abgeschossen werden - das klingt nicht nach Vergnügungssteuer, gehört für Handballkeeper aber noch wesentlich häufiger zum „Geschäft“als für ihre Kollegen in anderen Ballsportarten. Ich merke während des Trainings immer wieder, dass ich gut daran getan habe, Arno Uttenweilers Tipp vor der Übungseinheit zu beherzigen: „Zieh’ lieber eine Trainingsjacke an, die Bälle pfetzen ganz schön auf der Haut“, hatte er gesagt. Stimmt. Sogar durch die Jacke schmerzen die Aufschläge, wenn der Ball mit voller Wucht den Unterarm trifft und den Ellenbogen nach hinten biegt. Chris Thews hingegen scheint die Aufschläge auf seinen Körper nicht zu spüren. Und er trainiert im T-Shirt. Er steht aber auch schon seit dem D-Junioren-Alter für den TVP zwischen den Pfosten. „Man gewöhnt sich daran“, sagt er zwischen zwei Schüssen, die nach einer von Uttenweiler vorgegeben Passfolge aus dem Rückraum auf ihn abgefeuert werden.
Ich staune immer wieder, wie Thews Bälle pariert, von denen ich nach einer halben Stunde Schweiß treibender Abwehrarbeit weiß, dass ich sie nicht gehalten hätte. Allein schon, weil ich mein Gesicht bei jedem Wurf instinktiv reflexartig abwende, während Thews eine der goldenen Torhüterregeln konsequent beachtet: „Ball anschauen“, lautet diese. Meine Aktionen sind dagegen Angst gesteuert - auch weil mir Thews vor dem Training einen Unterleibsschutz - im Handballerjargon „Eierbecher“genannt“- überreicht hat mit dem Hinweis: „Volltreffer tun trotzdem weh.“
Zum Abschluss bittet mich TVPRoutinier Hoan Luu Duc ins Tor, er will einen Sieben-Meter gegen mich werfen. „Du hast das gar nicht schlecht gemacht bisher“, spendiert er mir ein Lob.
Ich stehe an der Fünf- , Luu Duc an der Siebenmeter-Linie. Ich rechne mit einem weiteren „Strahl“und denke wild entschlossen: „Den hol’ ich mir“. Luu Duc nimmt den Ball, schmettert ihn unmittelbar vor sich auf den Boden. Von dort in die Höhe federnd fliegt die Bogenlampe wie in Zeitlupe über mich hinweg und senkt sich erbarmungslos hinter mir ins Netz.
„Das klappt auch nicht immer“, sagt Luu Duc nach dieser Zirkusnummer lächelnd und tätschelt mir tröstend die Schulter. Mal brachial, mal filigran - ein Handballtorwart muss auch wirklich auf alles gefasst sein.