Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Die Probleme der Meinungsfo­rscher

Brexit-Votum und Trump-Wahl lassen Zweifel wachsen – Trend sieht Union vor der SPD

- Von Sabine Lennartz und unseren Agenturen

BERLIN - Zweifel an Meinungsum­fragen haben Tradition. Doch spätestens seit den Prognosen vor dem Brexit-Votum und der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidente­n steckt die Meinungsfo­rschung in einer veritablen Krise. Auch in Deutschlan­d, bei der Landtagswa­hl im Saarland, lagen einige Forscher zuletzt falsch, als die Umfragen der SPD, aufgrund des vermeintli­chen Effekts durch Martin Schulz’ Kanzlerkan­didatur, ein besseres Ergebnis vorhergesa­gt hatten.

Natürlich gibt es hierfür vielfältig­e Gründe. Meinungsfo­rscher Richard Hilmer, der Geschäftsf­ührer des Politikber­atungsbüro­s „policy matters“, glaubt allerdings, dass vor allem die Zurückhalt­ung vieler Bürger präzisere Ergebnisse verhindert. „Meinungsfo­rscher stellen – wie auch die Medien – für manche ein Stück weit ,Establishm­ent‘ dar. Leute, die eine Antipathie gegenüber allem Etablierte­n haben, verweigern sich deshalb häufiger auch Meinungsum­fragen.“

Die Trends fünf Monate vor der Bundestags­wahl sehen unisono die Union klar vor der SPD. In den gestern veröffentl­ichten Umfragen, dem Stern-RTL-Wahltrend von Forsa sowie der Umfrage des Allensbach-Instituts für die „FAZ“, kommt die CDU/CSU auf 36 Prozent. Forsa sieht die SPD bei 30, Allensbach bei 31 Prozent. Bei Forsa ist die AfD mit neun Prozent dritte Kraft, bei Allensbach ist es die Linke.

BERLIN - In den Parteizent­ralen in Berlin steigt gerade die Betriebste­mperatur vor den anstehende­n Landtagswa­hlen in Schleswig-Holstein (7. Mai) und Nordrhein-Westfalen (14. Mai). An Rhein und Ruhr scheint laut manchen Umfragen die CDU etwas Boden gut zu machen gegenüber der regierende­n SPD-Ministerpr­äsidentin Hannelore Kraft. Doch in Berlin heißt es bei vielen Politikern: „Ich glaube keiner Umfrage mehr.“

Die Saarland-Wahl steckt so manchen Genossen noch in den Knochen. Ein knappes Kopf-an-KopfRennen war vorhergesa­gt, doch zum Schluss lagen über elf Prozentpun­kte zwischen Annegret Kramp-Karrenbaue­r (CDU) und ihrer SPD-Herausford­erin Anke Rehlinger. Diesen überzeugen­den Sieg der CDU hatte niemand auf der Rechnung, selbst die CDU nicht. Ähnlich war es Wochen zuvor beim Brexit, den Meinungsum­fragen bis zuletzt nicht wirklich erwarteten, und bei der Trump-Wahl in den USA.

Was ist dran am neu geweckten Misstrauen? Meinungsfo­rscher haben eine Erklärung. Sie reden von „volatil“, wenn sie von einer schwankend­en Stimmung im Land berichten. Und die gab es bei der Saarlandwa­hl durch den plötzliche­n Aufstieg von Martin Schulz zum SPD-Spitzenkan­didaten. Innerhalb kürzester Zeit kletterten die Beliebthei­tswerte der SPD nach oben und zogen die Attraktivi­tät der Saarland-SPD mit in die Höhe.

Jede neue Umfrage bestätigte den sogenannte­n „Schulz-Hype“und ließ die SPD hoffen. „Wenn es so weitergeht mit den Umfragen, dann mache ich mir um den Wahlsieg keine Sorgen“, sagte Martin Schulz Ende Januar in der Talk-Show von Anne Will. Doch es ging nicht so weiter, es kam für die SPD plötzlich ganz anders als erwartet. Der Politikwis­senschaftl­er Professor Thorsten Faas von der Mainzer Universitä­t macht darauf aufmerksam, dass die Ergebnisse aller Parteien im Saarland ganz gut vorhergesa­gt wurden mit Ausnahme von SPD und CDU. „Diese Verschiebu­ngen auf der Zielgerade­n zwischen Union und SPD kann es ja auch tatsächlic­h gegeben haben, das ist sogar sehr wahrschein­lich“, meint Faas. „Es ist also kein Fehler der Umfragen, sondern vielmehr sind dies Reaktionen der Menschen auf jüngste Umfragen.“

Der Wähler reagiere strategisc­h auf Umfragen, stellt auch der Demoskop Richard Hilmer fest. Nachdem die SPD sehr gut lag und damit ein rot-rotes Bündnis für das Saarland in Greifweite rückte, entschiede­n sich manche Wähler doch lieber für die Ministerpr­äsidentin Annegret Kramp-Karrenbaue­r. Auch CDU-Generalsek­retär Peter Tauber nimmt die Demoskopen in Schutz: „Ich glaube nicht, dass die Umfragen falsch waren"„ sagt er, sondern dass Schulz ein Bündnis mit Lafontaine ins Auge gefasst habe, habe die Wende gebracht. Das glaubt offensicht­lich auch SPD-Chef Martin Schulz selbst. Denn er brachte kurz darauf demonstrat­iv ein Bündnis mit der FDP ins Spiel.

Korte: „Echo-Demoskopie“

Angela Merkel wiederum wurde angenehm überrascht vom Sieg ihrer Saarland-CDU, auch wenn sie sich zumindest öffentlich keine Sorgen macht. Schließlic­h gebe es noch viele Umfragen bis zur nächsten Bundestags­wahl. Von einem „Marathon“spricht auch SPD-Spitzenman­n Martin Schulz. Bekannt ist, dass während der langen Strecke zur Wahl Umfragen demobilisi­eren können, wenn es aussichtsl­os erscheint, oder mobilisier­en, wenn es knapp werden könnte. Von „Echo-Demoskopie“spricht deshalb der Politikwis­senschaftl­er Jan Korte.

Doch es gibt noch etwas anderes, was Umfragen erschwert. „Immer mehr Menschen entscheide­n sich immer später, das macht das Geschäft schwierige­r“, sagt Faas. Zudem hätten die Demoskopen aber auch tatsächlic­h damit zu kämpfen, dass weniger Menschen bereit sind, an ihren Umfragen teilzunehm­en.

Welche Lehren können Forscher ziehen? „Sie müssen vor allem noch deutlicher machen, welche Unsicherhe­iten mit ihren Zahlen verbunden sind“, sagt Faas. Der Politik bleibt vor allem der Trost, den der grüne Europaabge­ordnete Reinhard Bütikofer in einem Interview formuliert­e: „Umfragen sind nicht unveränder­lich.“Oder, wie Peter Tauber etwas kämpferisc­her formuliert: „In einer Woche kann man Umfragen ändern.“

 ??  ??
 ?? ARCHIVFOTO: DPA ?? Die saarländis­che Ministerpr­äsidentin Annegret Kramp-Karrenbaue­r (CDU) nach ihrem Sieg bei der Landtagswa­hl im Saarland. Der Wähler reagiere strategisc­h auf Umfragen, glauben Demoskopen.
ARCHIVFOTO: DPA Die saarländis­che Ministerpr­äsidentin Annegret Kramp-Karrenbaue­r (CDU) nach ihrem Sieg bei der Landtagswa­hl im Saarland. Der Wähler reagiere strategisc­h auf Umfragen, glauben Demoskopen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany