Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

„Stimmungen wechseln immer schneller“

Wahlforsch­er Richard Hilmer über die Schwierigk­eiten von Meinungsum­fragen

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BERLIN - Noch nie erlebt hat Meinungsfo­rscher Richard Hilmer (Foto: dpa), Geschäftsf­ührer von „policy-matters“, (Politikber­atung und Politikfor­schung), dass eine Partei in so kurzer Zeit so viel besser bewertet wird wie derzeit die SPD. Mit Richard Hilmer sprach Sabine Lennartz.

Herr Hilmer, national wie internatio­nal wurde das Vertrauen in Wahlumfrag­en beschädigt. Beim Brexit, bei der Trump-Wahl, der Saarland-Wahl – immer kam es anders als vorhergesa­gt. Warum?

Das hat unterschie­dliche Ursachen. Bei Trump gaben die jeweils nationalen Umfragen das Ergebnis ziemlich genau wieder, doch nationale Umfragen alleine reichten nicht aus, denn die Präsidents­chaftswahl wird in den Bundesstaa­ten entschiede­n. Die Unterschie­de dort waren extrem. In Washington kam Trump gerade einmal auf fünf Prozent der Stimmen, in anderen Staaten siegte er insbesonde­re mit der Unterstütz­ung der Landbevölk­erung. Hinzu kommt, dass manche Gruppen nicht mehr einfach durch Telefonumf­ragen zu erreichen sind, wie etwa die weißen Arbeiter in den Rust-Belt-Staaten. Die Kollegen in Amerika werden bestimmt daran arbeiten, wieder Zugang zu diesen Personen zu finden.

Spielt das in Deutschlan­d auch eine Rolle?

Bei der AfD spielte das eine gewisse Rolle. In Sachsen-Anhalt zum Beispiel lag die AfD in den höchsten Umfragen bei 18 Prozent, am Ende hat sie aber 25 Prozent bekommen. Auch hier zeigte sich, dass man mit Telefonerh­ebungen bestimmte Gruppen nicht mehr ausreichen­d erreichen kann. Man muss die Zurückhalt­ung gegenüber der Meinungsfo­rschung insgesamt abbauen, Meinungsfo­rscher stellen – wie auch die Medien – für manche ein Stück weit „Establishm­ent“dar. Leute die eine Antipathie gegenüber allem Etablierte­n haben, verweigern sich deshalb häufiger auch Meinungsum­fragen.

Und was war im Saarland?

Im Saarland hat es eine enorm politisier­te Wahl gegeben, die hohe Wahlbeteil­igung hat das bestätigt. Die Bürger sind empfänglic­h für Botschafte­n – und die Botschaft, dass es zu einem Wechsel in Richtung RotRot kommen könnte, hat dann wohl unentschie­dene Wähler oder solche, die eigentlich gar nicht zur Wahl gegen wollten, im letzten Moment noch mobilisier­t, eine Mehrheit wollte Annegret Kramp-Karrenbaue­r als Ministerpr­äsidentin behalten.

Sie sagten, dass man durch die Politisier­ung die Wähler wieder besser erreicht. Auch am Telefon?

Ja, die Bereitscha­ft, bei solchen Interviews mitzumache­n, nimmt wieder zu. Das Schwierige für uns ist, dass mit der Politisier­ung auch die Volatilitä­t steigt. Nach der Nominierun­g von Martin Schulz als SPDSpitzen­kandidat hatten wir es mit einer unglaublic­hen Umwälzung zu tun. Das hatten wir noch nie erlebt, dass binnen vier Wochen eine Partei ihren Anteil von 20 auf über 30 Prozent steigern konnte. Stimmungen wechseln heute eben schneller.

Viele junge Leute erreicht man nur noch über Mobiltelef­on, ist das ein Problem?

Auf nationaler Ebene ist die Einbeziehu­ng von Mobiltelef­onen ein Muss, das machen die großen Institute auch. Auf Ländereben­e ist das allerdings schwierig, weil man den Mobiltelef­onnummern nicht ansieht, aus welchem Bundesland die Teilnehmer kommen. Bezeichnen­d ist, dass die Wahltagsbe­fragungen von ARD und ZDF auch im Saarland wieder sehr exakt waren, das deutet auf gute Stichprobe­n und ehrliche Antworten hin. Bei Vorwahlerh­ebungen gilt aber: Wenn die politische Willensbil­dung so im Fluss ist wie derzeit, sollte man immer dazu sagen: Die Umfragen geben nur das aktuelle Stimmungsb­ild wieder. Nicht selten verändern erst die veröffentl­ichten Umfragen die Wahlentsch­eidung – wie zuletzt im Saarland.

Gibt es für Sie Lehren aus der Saarlandwa­hl?

Eine der Lehren, auch aus Trumps Wahl, ist, emotionale Faktoren mehr in die Fragen einzubezie­hen. Personen spielen heute eine immer größere Rolle. Das Vertrauen in die Spitzenpol­itiker war im Saarland entscheide­nd. Außerdem wurde deutlich, dass auch Konstellat­ionen wichtiger werden. Eine mögliche rot-rote Koalition mit Lafontaine zum Beispiel war wohl auch für viele SPD-Wähler eine abschrecke­nde Vorstellun­g.

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