Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Ein bisschen List ist erlaubt
Bundesgerichtshof stärkt Polizei im Kampf gegen Drogen den Rücken
KARLSRUHE (dpa) - Die Polizei kontrolliert einen Autofahrer – und die Spürhunde schlagen an, weil im Fahrzeug Drogen versteckt sind. Dürfen die Ordnungshüter eine Routinekontrolle nutzen, um einen Dealer zu überführen? Der Bundesgerichtshof stärkte den Einsatzkräften jetzt mit einem Urteil den Rücken (Az. 2 StR 247/16) – warnt aber auch davor, diese Freiheit zu missbrauchen.
Der Drogenhund ist schon zur Stelle, als die Polizisten in den frühen Morgenstunden des 17. August 2015 bei Limburg einen VW Touran von der Autobahn A3 winken. Eine Verkehrskontrolle wie viele andere, in der Baustelle sei er zu schnell unterwegs gewesen, sagen sie dem Fahrer. Dann schlägt der Hund plötzlich an. Hinter dem Armaturenbrett, in einem Hohlraum, werden die Polizisten fündig – knapp acht Kilo Kokain. Im März 2016 das Urteil: sechseinhalb Jahre Haft. Aber damit ist die Sache nicht erledigt.
Gut ein Jahr später gibt der Fall Deutschlands obersten Strafrichtern am Bundesgerichtshof (BGH) die Gelegenheit, eine so grundsätzliche wie umstrittene Frage zu klären: Was darf die Polizei? Um das Urteil vom Mittwoch zu verstehen, ist der Hund der Schlüssel. Seine Anwesenheit verrät, dass hier etwas nicht stimmt: Die Geschichte ist eigentlich eine ganz andere, und sie beginnt schon Monate früher.
Im April 2015 bringt der Tipp eines V-Manns die Fahnder auf die Spur einer Drogenbande. Verdeckte Ermittlungen laufen an, Verdächtige werden observiert. Als einer der Dealer in den Niederlanden neue Ware übernimmt, tut er das nicht unbeobachtet. Ein Peilsender am Auto verrät den Ermittlern am 17. August, dass sich der Mann auf den Rückweg nach Deutschland macht. Sie müssen nur noch zuschlagen.
Normalerweise wäre das der Zeitpunkt, um einen Richter einzuschalten. Denn ob Wohnung oder Auto – keine Durchsuchung ohne Genehmigung. Aber der Kopf des Drogenrings ist gerade im Ausland, und die Ermittler wollen ihn in Sicherheit wiegen. Also bitten sie die Kollegen von der Autobahnpolizei um Mithilfe: eine „zufällige“Verkehrskontrolle unter einem Vorwand, damit niemand Verdacht schöpft. Der Rest ist bekannt.
Was weniger bekannt sein dürfte: So eine arrangierte Kontrolle – Fachleute sagen: „legendierte“Kontrolle – ist kein Einzelfall. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hat keine Zahlen, spricht aber von einer „häufig vorkommenden Verfahrensweise“. „Wenn man gegen organisierte Kriminalität ermittelt, kommt es entscheidend darauf an, dass die polizeiliche Maßnahme so lange wie möglich unentdeckt bleibt“, sagt Sascha Braun, Leiter der GdP-Rechtsabteilung.
Kritiker: Um rechtsstaatliche Standards herumgemogelt
Rechtlich stützen sich die Ermittler bei solchen Aktionen auf die Landespolizeigesetze, die Durchsuchungen und das Sicherstellen von Dingen zur Gefahrenabwehr erlauben. So heißt es auch hier: Ohne das Eingreifen der Polizei hätte der Mann die Drogen in Umlauf gebracht.
Doch Kritiker haben ein Problem damit: Für Ermittlungsverfahren gibt es in der Strafprozessordnung klare Vorschriften – wie eben den Richtervorbehalt. „Wenn ich als Polizeibeamter auf der Straße eine legendierte Kontrolle vornehme, kann ich mich sehr leicht um diese rechtsstaatlichen Standards herummogeln“, gibt Michael Jasch, Professor für Strafverfahrensrecht an der Polizeiakademie Niedersachsen, zu bedenken. Der aufgeflogene Drogenkurier wurde zwar auf seine Rechte hingewiesen. Dass seit Monaten Ermittlungen gegen ihn liefen, bekam er aber erst mit, als er schon gestanden hatte.
Darf so ein Geständnis vor Gericht gegen den Mann verwendet werden? Und können die sichergestellten Drogen im Prozess als Beweis gelten? Mit dem Karlsruher Urteil sind diese Fragen nun erstmals höchstrichterlich geklärt – zugunsten der Polizei. Es ist zwar nicht so, dass der Zweck alle Mittel heiligt, wie es der Vorsitzende Richter Ekkehard Appl in der Verhandlung vor einer Woche überspitzt formuliert hat.
Der Senat hat aber auch nichts dagegen einzuwenden, wenn sich die Polizei in gewissen Gemengelagen aus ihren Befugnissen diejenigen heraussucht, die eben gerade vorteilhaft sind. Zumal so, wie die Dinge liegen, für den Drogenkurier ein Durchsuchungsbeschluss nach Ansicht der Richter ohne jede Probleme zu bekommen gewesen wäre.
Eine „in Stein gemeißelte Unbedenklichkeitsbescheinigung für alle Zukunft“ist das aber nicht, wie Appl betont. Seine Mahnung an die Polizei ist mehr als deutlich: Sollte das Täuschen und Tricksen zum System werden, könnte schon das nächste Urteil anders ausfallen.