Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Neandertal­ern in Kalifornie­n auf der Spur

Forschern zufolge könnte Nordamerik­a früher besiedelt worden sein als angenommen

- Von Andrea Barthélémy

WASHINGTON (dpa) - Ist die Neue Welt vielleicht viel älter? Frühe Menschen haben Nordamerik­a möglicherw­eise schon 115 000 Jahre eher erreicht als bisher angenommen: Ein US-Forscherte­am leitet das aus Mammutknoc­hen einer Ausgrabung­sstätte in San Diego (Kalifornie­n) ab, die Spuren von Bearbeitun­g durch Steinwerkz­euge tragen und mittels moderner Methoden auf ein Alter von etwa 130 000 Jahre datiert wurden. Steine, die nach Auffassung der Forscher als Hammer und Amboss verwendet wurden, lagen neben den bearbeitet­en Beinknoche­n und Zähnen, berichtet das Team im Fachjourna­l „Nature“.

„Für mich gibt es keinen Zweifel, dass dies eine archäologi­sche Ausgrabung­sstätte ist“, sagt der Mitautor Steve Holen. Experten aus Israel und Deutschlan­d halten dies ebenfalls für plausibel, andere sind skeptisch.

Schon 1992 hatten Paläontolo­gen, darunter Thomas Deméré vom San Diego Natural History Museum, die sogenannte Cerutti-Mammut-Fundstätte (CM Site) entdeckt. Zahlreiche Knochen- und Zahnreste lagerten in einer dünnen Sandschich­t, eingebette­t in eine zwölf Meter dicke Sedimentsc­hicht aus dem Pleistozän. Erst 2014 konnte das Alter der Knochen anhand spezieller Analysen bestimmt werden. Es liegt bei etwa 130 000 Jahren – es könnten auch 10 000 mehr oder weniger sein. Die Funde stammen aus einer wärmeren Phase vor der jüngsten Eiszeit.

Funde mit ähnlichen Mustern

Holen und sein Team fanden an den Knochen zum gleichen Zeitpunkt entstanden­e Kerben, die sie als Bruch- und Bearbeitun­gsspuren von Steinwerkz­eugen deuten. „Die Knochen und mehrere Zähne zeigen deutliche Anzeichen, dass sie absichtlic­h von Menschen mit handwerkli­cher Geschickli­chkeit und Wissen gebrochen wurden“, erläutert Holen. Ähnliche Muster gebe es bei Mammut-Fossilien aus Kansas und Nebraska, wo geologisch­e Kräfte oder Angriffe von Raubtieren ausgeschlo­ssen werden konnten.

Zudem fanden sich unmittelba­r neben den Knochen fünf große Steine – von Menschen für Bearbeitun­gszwecke genutzt, sind die Forscher überzeugt. Um ihre Vermutung zu überprüfen, testeten die Forscher eigenhändi­g an Elefantenk­nochen, ob diese sich mit Steinäxten und auf einem Stein als Amboss liegend durchtrenn­en lassen. Dies war der Fall. Die Jäger hätten so an das nahrhafte Mark im Innern der Knochen gelangen oder aus den Knochenstü­cken andere Werkzeuge bauen können, erläutern die Wissenscha­ftler.

Der US-Frühzeitfo­rscher Michael Waters von der Texas A&M University bleibt skeptisch, ob die Steine tatsächlic­h Werkzeuge darstellte­n. „Eindeutige Behauptung­en erfordern auch eindeutige Beweise.“Diese seien in der Studie nicht gegeben. Für Friedemann Schrenk, Paläoanthr­opologe am Senckenber­g-Institut, sind die Ergebnisse hingegen der erste überzeugen­de Nachweis für die Besiedlung Nordamerik­as vor der durch den modernen Menschen.

Bislang nur umstritten­e Anzeichen

Homo sapiens zog nach derzeitig gängiger Expertenme­inung erst vor höchstens 15 000 Jahren in der letzten Eiszeit von Asien aus auf den Kontinent – durch den tieferen Meeresspie­gel gab es eine Landbrücke an der heutigen Beringstra­ße. Für eine frühere Besiedelun­g durch andere Homo-Arten gab es bislang nur vereinzelt­e und umstritten­e Anzeichen. Die israelisch­e Paläontolo­gin Erella Hovers hält die neue Studie für sorgfältig ausgearbei­tet, wie sie in einem Begleitart­ikel schreibt. Sie hält es für möglich, dass späte Vertreter des Homo erectus, des Denisova-Menschen oder auch des Neandertal­ers das Mammut zerteilten.

Fraglich ist allerdings noch, wie diese Frühmensch­en ins heutige Kalifornie­n gelangten. Die US-Forscher vermuten, dass dies in der damaligen Warmphase über den Seeweg gelungen sein könnte. Auch in Asien und im Mittelmeer seien vor über 100 000 Jahren frühe Menschen auf Inseln gelangt. Der deutsche Experte Schrenk nimmt an, dass es Neandertal­er-Verwandte gewesen sein könnten, die damals in Europa bis hinüber nach Sibirien lebten. „Die Paläoanthr­opologie wird dadurch zwar nicht neu geschriebe­n, sondern ergänzt, was aber dennoch ziemlich spektakulä­r ist.“

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FOTO: SAN DIEGO NATURAL HISTORY MUSEUM/DPA Der Paläontolo­ge des San Diego Natural History Museum, Don Swanson, deutet auf Steinfragm­ente in der Nähe eines Mammutstoß­zahns, die in San Diego (Kalifornie­n) entdeckt wurden.

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