Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Bayern hat das Schlachtenglück verlassen
Dortmund schlägt den Rekordmeister in einer hochklassigen Partie mit 3:2 (1:2)
MÜNCHEN – Ein alter Lehrsatz im Umgang gegnerischer Mannschaften mit dem FC Bayern München lautet: Wehe, wenn sie gereizt werden! Dann reagieren Spieler – ebenso wie Funktionäre – des deutschen Branchenprimus nicht anders als Hunde: Mit Angriff und sehr oft auch, zumindest galt dies meist für die Bayern, mit triumphalen Siegen.
Doch der FC Bayern im Frühjahr 2017 ist ein anderer FC Bayern als die von den Gegnern gefürchtete Titelsammelmaschine der letzten Jahre. Nach dem turbulenten und unterhaltsamen 2:3 (2:1) im Halbfinale des DFBPokals gegen Borussia Dortmund, das im Finale am 27. Mai auf Eintracht Frankfurt trifft, drohen dem Rekordmeister diskussionsreiche Wochen. Nach dem bitteren und unglücklichen Aus im Viertelfinale der Champions League gegen Real Madrid folgte jetzt das fatale Ausscheiden im Pokal gegen den größten nationalen Rivalen. Fatal, weil Bayern genug Chancen hatte, den Sieg klarzumachen. Fatal, weil die alten Mechanismen irgendwie nicht mehr greifen.
Nach dem 0:1 in der 19. Minute durch Marco Reus spielte zwar über weite Strecken fast nur noch Bayern und ging noch in der ersten Halbzeit völlig verdient mit 2:1 in Führung. Doch statt, wie früher, den Gegner nun komplett zu sezieren, verließen sie am Ende einer hochklassigen Partie das Feld als Geschlagene. Den Rekordmeister hat das Schlachtenglück verlassen. Bei den Dortmundern scheint die Traumabewältigung nach dem beinahe fatalen Sprengstoffanschlag auf sie dagegen weiter erfolgreich voranzuschreiten.
Nach einem katastrophalen Fehler Javi Martínez‘ gelang ihnen durch Reus das 1:0. Dem Innenverteidiger missglückte ein Rückpass an Keeper Sven Ulreich derart, dass Raphael Guerreiro dazwischen sprang und plötzlich frei vor Bayerns Keeper stand. Guerreiros Schuss ging Ulreich durch die Beine, prallte aber vom Pfosten an Philipp Lahm vorbei zurück aufs Feld. Reus nahm das Geschenk gerne an. Für Ulreich war es das zehnte Gegentor im neunten Pflichtspiel für Bayern. Später kassierte er noch sein elftes und zwölftes. Der frühere Stuttgarter vertritt ja bis zum Ende der Saison den am Fuß verletzten Manuel Neuer.
Die Bayern reagierten mit immensem Druck. Lewandowski drosch den Ball bei einem Freistoß 18 Meter vor dem Tor in das Zweimannmäuerchen (27.), zuvor war Ribéry gefoult worden. Besser machte es dann Martínez eine Minute später. In eine Ecke von Xabi Alonso sprang er ebenso freistehend wie vehement in den Ball, dass dieser an Bürki vorbei ins Netz fliegen musste – 1:1 und Fehler ausgebügelt.
Bayern erhöhte den Druck, wollte unbedingt noch in der ersten Halbzeit in Führung gehen. Das Spiel wurde zu dem, was es von Anfang an hatte sein wollen: es wurde rassig, es wurde emotional, es wurde hochklassig. Arjen Robben wirkte nun wie aufgedreht, Vidal gewann gefühlt jeden Zweikampf im Mittelfeld oder fing die Bälle auch mal etwas weiter hinten ab, Alonsos langen Pässe wurden noch präziser, Ribérys Dribblings und Aktionen noch zielstrebiger. So entstand auch das 2:1. Nach einem Franz-Beckenbauer-Gedächtnispass über das halbe Feld von Alonso flankte Ribéry nach einigen Schritten von links scharf nach innen, Mats Hummels, der Ex-Dortmunder, versenkte den Ball mit einem ansatzlosen Schuss ins Eck (41.). Kurz vor der Pause scheiterte Lewandowski, der andere Ex-Dortmunder, nach einem Solo an Bürki.
Die zweite Halbzeit war dann wieder ausgeglichener. Bayern weiter mit mehr Druck, Dortmund aber mit ebenfalls guten Chancen. Doch Ousmane Dembélé (56.) und Pierre-Emerick Aubameyang (58.) kenterten in der Bayern-Abwehr. Auf der Gegenseite scheiterte Robben zweimal: Zunächst an Bürki (59.), dann an Sven Bender und dem Pfosten (63.). Dann jubelten die Dortmunder. Pierre-Emerick Aubameyang köpfelte nach einer schönen Flanke Dembélés zum 2:2. Dembélé, der nun ähnlich aufgedreht wirkte wie zuvor Robben, zirkelte den Ball zum 3:2 ins Tor (74.). Zuvor hatten Guerreiro und Reus im Mittelfeld Philipp Lahm düpiert und ihm den Ball abgenommen.
Die Bayern sackten nach diesem Gegentor zusammen, ihre Körperhaltung sprach Bände. Zwar erarbeiteten sie sich vor allem durch Robben noch einige Chancen, doch der BVB hatte Bürki und das Schlachtenglück an seiner Seite. „Wir hatten genug Chancen, um den Sack zuzumachen. Wenn man die Chancen liegen lässt, wird das bestraft. Dortmund hat das cool gemacht und seine Chancen genutzt“, sagte Bayern-Verteidiger David Alaba.
BVB Manager Michael Zorc sprach von einer „großen Genugtuung. Wir hatten auch Glück, aber wenn eine Mannschaft das nach den letzten Wochen verdient hat, dann wir.“