Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Absage an Rosinenpic­kerei

Kanzlerin Angela Merkel kündigt vor EU-Gipfel harte Linie für Brexit-Verhandlun­gen an

- Von Rasmus Buchsteine­r

BERLIN - Violett, heißt es, sei die Farbe des Geistes, der Inspiratio­n, der Magie. Angela Merkel hatte am Donnerstag für ihren ersten großen Auftritt nach der Osterpause einen fliederfar­benen Blazer gewählt. Mit einer Regierungs­erklärung im Bundestag stimmte die Kanzlerin auf den EU-Sondergipf­el am Samstag und die bevorstehe­nden Brexit-Verhandlun­gen mit Großbritan­nien ein. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die Zukunft der Europäisch­en Union.

Am Rednerpult gibt Merkel die Europäerin aus Überzeugun­g, die den Briten ins Stammbuch schreibt, sich keine Illusionen zu machen, was die Brexit-Verhandlun­gen angeht. Klare Worte in Richtung London, klare Worte aber auch Richtung Ankara nach dem Verfassung­sreferendu­m. „Wir werden sehr aufmerksam verfolgen, wie die Türkei sich bei der Aufklärung möglicher Unregelmäß­igkeiten verhält“, kündigt Merkel an.

Vier Sitzungswo­chen sind es noch bis zur Bundestags­wahl am 24. September. Merkel nutzt das Plenum am Donnerstag, um sich als europäisch­e Krisenmana­gerin zu präsentier­en. In der Debatte über die Regierungs­erklärung entwickelt sich ein munterer Schlagabta­usch, mit Wortgefech­ten zwischen den Fraktionen, vor allem zwischen Linken und SPD. SPD-Fraktionsc­hef Thomas Oppermann wirft der Linksparte­i vor, Europa schlechtzu­reden.

Merkel spricht von der Europäisch­en Union als einzigarti­ge Erfolgsges­chichte, beschwört Einigkeit und Geschlosse­nheit in der Union der 27 verbleiben­den Mitgliedst­aaten. Die Kanzlerin zeigt den Briten die Daumenschr­auben, gibt das Signal für harte Verhandlun­gen. „Ein Drittstaat, und das wird Großbritan­nien sein, kann und wird nicht über die gleichen Rechte verfügen oder womöglich sogar bessergest­ellt werden können als ein Mitglied der Europäisch­en Union“, stellt Merkel klar.

Merkel geht auf Distanz zu Ankara

Absage ans „cherry picking“, an Rosinenpic­kerei, die Hoffnung mancher Briten, die Union zwar zu verlassen, aber gleichzeit­ig noch einen Teil der Vorteile eines Mitglieds genießen zu können. Sich Illusionen zu machen, „wäre vergeudete Zeit“, sendet Merkel ein Signal auf die Insel. Zunächst die Bedingunge­n des Austritts klären und dann erst über das künftige Verhältnis der Briten zur EU sprechen, so der Zeitplan der Kanzlerin. Diese Reihenfolg­e sei „unumkehrba­r“.

„Ein starkes Signal der Geschlosse­nheit“erwartet Merkel vom EUBrexit-Gipfel am Samstag, wenn in Brüssel Leitlinien für die Verhandlun­gen beschlosse­n werden sollen. „Gute, enge und vertrauens­volle Beziehunge­n“– das sei ihr Ziel für das künftige Verhältnis zwischen Europa und Großbritan­nien. Merkel will die Briten als Freunde und Partner behalten, gleichzeit­ig aber Schaden von der Europäisch­en Union abwenden. Europa könne sich angesichts vielfältig­er Herausford­erungen – Hunger, Not, Flucht, Gefahren für Klimaschut­z und Welthandel – nicht erlauben, „sich in den kommenden zwei Jahren nur mit sich selbst zu beschäftig­en, Brexit hin oder her“. Weiter so in Europa? Linken-Fraktionsc­hefin Sahra Wagenknech­t wirft Merkel eine Augen-zu-unddurch-Taktik vor. Die Linken-Politikeri­n habe in einer zehnminüti­gen Rede kein einziges positives Wort über Europa gesagt, kritisiert daraufhin SPD-Mann Oppermann.

Bemerkensw­ert deutlich positionie­rt sich die Kanzlerin beim Thema Türkei, fordert Aufklärung über Beeinfluss­ung und Unregelmäß­igkeiten beim Verfassung­sreferendu­m vom Ostersonnt­ag. Merkel kommt auch auf den Fall des inhaftiert­en „Welt“-Korrespond­enten Deniz Yücel zu sprechen. „Es ist, um das unmissvers­tändlich zu sagen, mit einem Rechtsstaa­t nicht vereinbar, wenn eine Exekutive, in diesem Fall die türkische Exekutive, Vorverurte­ilungen vornimmt, wie das etwa mit Deniz Yücel öffentlich geschehen ist“, stellt die CDU-Vorsitzend­e klar. Doch finden sich in Merkels Rede interessan­te Zwischentö­ne. Die Kanzlerin geht auf Distanz zu den EU-Beitrittsv­erhandlung­en mit Ankara, warnt aber vor einem Bruch in den Beziehunge­n: „Eine endgültige Abwendung der Türkei von Europa, aber auch – und das sage ich mit Bedacht – Europas von der Türkei, wäre weder im deutschen noch im europäisch­en Interesse.“

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FOTO: DPA Klare Worte in Richtung London und Ankara: Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU).

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