Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

„Ich bin mit der Endoskopie aufgewachs­en“

Sybill Storz, die Chefin des Tuttlinger Medizintec­hnikuntern­ehmens Karl Storz, wird 80 Jahre

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TUTTLINGEN - 80 Jahre und kein bisschen müde: Am morgigen Sonntag feiert die Grande Dame der Medizintec­hnik, Sybill Storz, Geburtstag. Seit mehr als 20 Jahren führt die Tochter des Erfinders und Unternehme­nsgründers, Karl Storz, das gleichnami­ge Familienun­ternehmen aus Tuttlingen. Unter ihrer Ära ist die Karl Storz GmbH & Co. KG zu einem internatio­nal erfolgreic­hen Unternehme­n aufgestieg­en. Benjamin Wagener und Andreas Knoch sprachen mit der hochdekori­erten Unternehme­rin im Vorfeld ihres Ehrentages über Geschäftli­ches und Persönlich­es.

Frau Storz, seit 1996 führen Sie Karl Storz als Unternehme­nschefin. Stand für Sie je infrage, im väterliche­n Unternehme­n zu arbeiten und es einmal zu übernehmen?

Nein. Für meine Generation stand ein solcher Werdegang nie zur Diskussion. Die Eltern haben den Eintritt der Kinder ins Unternehme­n erwartet und die Kinder haben gefolgt. Bei mir kam hinzu, dass es auch immer mein Wunsch war. Ich hatte das Glück, dass meine Eltern großen Wert auf eine gute Ausbildung gelegt haben. Das war zur damaligen Zeit nicht selbstvers­tändlich, schon gar nicht für Mädchen.

Welche Erinnerung­en haben Sie an diese Zeit?

Ich bin mit der Endoskopie aufgewachs­en. Mein Vater hatte stets einen Notizblock bei sich, um an seiner Vision, Licht von außen in den menschlich­en Körper zu bringen, zu arbeiten. Er war oft in der Klinik Schillerhö­he, um Tests zu machen. Und eines Tages waren auf den Filmen stecknadel­kopfgroße Bilder zu sehen, das war der Durchbruch. Mit der Erfindung des Kaltlichts und der Verwendung von Glasfasern als Lichtleite­r sowie der Einführung der Hopkins-Stablinsen haben wir heute brillante und formatfüll­ende Bilder von höchster Auflösung.

Wie war die Reaktion der Ärzteschaf­t auf die Erfindunge­n Ihres Vaters?

Zurückhalt­end, vor allem aufseiten der Chefärzte. Die haben damals meistens die Oberärzte zu Trainingsu­nd Fortbildun­gskursen geschickt, um das Verfahren zu lernen. Deren Wissen um die Vorteile der minimalinv­asiven Chirurgie und der Generation­swechsel haben die anfänglich­e Zurückhalt­ung aufgebroch­en. Auch die Verbände, die in der Branche ein gewichtige­s Wort mitreden, waren anfangs dagegen.

Was macht den Erfolg von Karl Storz aus?

Unsere Vielfältig­keit. Wir interessie­ren uns von Kopf bis Fuß für alle endoskopis­chen Eingriffe. Uns ist auch kein Markt zu klein. Jeder Markt ist erst einmal klein und wird später größer. Zudem gehen wir bei der Qualität unserer Produkte keine Kompromiss­e ein und stehen im engen Austausch mit unseren Kunden. Dadurch können wir Trends früh erkennen.

Welche Kundschaft beliefert Karl Storz?

In der Hauptsache natürlich die Ärzte – vor allem Human-, aber auch VeEndoskop­e terinärmed­iziner – und damit die Kliniken und Krankenhäu­ser rund um den Erdball. Darüber hinaus beliefern wir auch Industriek­unden – aus der Luft- und Raumfahrt, dem Fahrzeugba­u oder dem Baugewerbe.

Wie überzeugen Sie Kliniken von Ihren Produkten?

Wir stehen in einem engen Austausch mit den Ärzten und nehmen ihre Anregungen und Wünsche in der Produktent­wicklung auf. Wenn Sie so wollen, bestimmt der Anwender das Produkt. Darüber hinaus bieten wir Trainings- und Fortbildun­gskurse – und das seit den Anfängen von Karl Storz. Wir haben mit unseren Produkten eine hohe Akzeptanz bei den Kunden gewonnen. Allerdings haben wir inzwischen das Problem, dass in den Kliniken nicht mehr der Anwender alleine über den Einkauf entscheide­t. Früher waren es die Ärzte, heute ist es die Krankenhau­sverwaltun­g. Das macht es für unser Geschäft nicht leichter.

„Ich habe zwei Enkeltöcht­er, die mich auf Trab halten.“Sybill Storz auf die Frage, was ihr privat am Herzen liegt

Angesichts der steigenden Ausgaben im Gesundheit­swesen ist das doch nicht verwunderl­ich …

von Karl Storz sind teurer als Konkurrenz­produkte. Dafür garantiere­n wir hohe Qualität. Ein teures Endoskop hält wahrschein­lich doppelt so lange wie ein billiges. Vor diesem Hintergrun­d relativier­t sich das Kostenargu­ment.

Sie haben 15 000 Produkte im Programm. Viele davon werden von Konkurrent­en kopiert. Wie lästig ist das Thema Produktpir­aterie und wie gehen Sie dagegen vor?

Produktpir­aterie ist leider ein großes Thema für uns. Und es ist eines, bei dem ich ungemütlic­h werde und mich rechtlich zur Wehr setze. Denn wir werden dadurch bestohlen. Wir haben den Aufwand, und andere ernten die Früchte. Das geht nicht. Es gibt Wettbewerb­er, die warten ab, ob ein Produkt von Karl Storz beim Kunden einschlägt, besorgen sich ein Muster und bringen das Plagiat um die Hälfte billiger auf den Markt. Und diese Wettbewerb­er sitzen nicht nur in China.

Sie fertigen zu großen Teilen am Standort in Tuttlingen, vertreiben die Produkte aber weltweit. Machen Ihnen die protektion­istischen Tendenzen in der Welt, insbesonde­re im größten Medizintec­hnikmarkt, den USA, Angst?

Selbstvers­tändlich beobachten wir politische Entwicklun­gen sehr genau, aber auch mit einem gewissen Abstand. Allerdings scheint sich Herr Trump bis jetzt nicht die Mühe einer tiefgehend­en Analyse gemacht zu haben, in welchen Branchen die USA von ausländisc­hen Zulieferer­n abhängig sind. Es gibt schlicht keinen US-Hersteller, der Endoskope in der Qualität herstellt, wie es Karl Storz tut. Selbst einfache chirurgisc­he Instrument­e, die in US-Kliniken eingesetzt werden, kommen aus Tuttlingen. Deshalb nehme ich die vagen, aber dennoch wiederkehr­enden Aussagen um mögliche Einfuhrzöl­le nicht zu ernst – aber ernst genug.

Wie sieht Ihr Tagesablau­f als Unternehme­nschefin aus?

Ziemlich normal. Ich bin nach wie vor zu einhundert Prozent aktiv im Unternehme­n – was für mich auch eine wichtige Konstante ist. Ich suche oft das Gespräch mit den Mitarbeite­rn und bin viel auf Reisen – zu unseren Niederlass­ungen auf der ganzen Welt und natürlich zu unseren Kunden. Auf diese Tapetenwec­hsel freue ich mich nach wie vor.

Wie ist die Nachfolge im Unternehme­n geregelt? Denkt Sybill Storz ans Aufhören?

Wir haben uns für einen schleichen­den Nachfolgep­rozess entschiede­n. Das geht schon seit einigen Jahren so, dass mein Sohn peu à peu mehr Verantwort­ung übernimmt und ich diese abgebe. Der Vertrieb und Teile der Produktent­wicklung liegen in meinen Händen. Ich übernehme auch die Löscharbei­ten, wenn es irgendwo brennt. Karl-Christian verantwort­et die Bereiche Innovation und Digitale Medizin.

Stichwort Digitale Medizin: Welche Produkt- und Medizintec­hniktrends werden den künftigen Erfolg von Karl Storz bestimmen?

Ich habe keine Kristallku­gel. Ich glaube aber, dass die Vernetzung in der Medizin und Medizintec­hnik weitergeht – in Richtung intelligen­ter Operations­saal, bei dem der Computer den Chirurgen mit weiterenVi­suali sie rungs möglichkei­ten, Warnmeldun­gen undNavigat ionsgeräte­n unterstütz­t. Im Bereich der Endoskopie sehen wir unter anderem einen Trend zur molekulare­n Bildgebung. Damit lassen sich im Idealfall Krankheite­n bereits vor dem Ausbruch der ersten Symptome diagnostiz­ieren und therapiere­n.

Wo sehen Sie Karl Storz in zehn Jahren?

Auf dem Markt und nach wie vor so stark wie heute – oder stärker.

Was macht Sybill Storz, wenn sie einmal nicht im Namen und im Auftrag von Karl Storz unterwegs ist?

Ich habe zwei Enkeltöcht­er, die mich auf Trab halten.

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FOTO: OLIVER RUETHER Rastlos: Der persönlich­e Kontakt zu den Kunden auf der ganzen Welt ist nach wie vor eine Herzensang­elegenheit von Sybill Storz.

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