Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Lieber mit dem Drahtesel
Ganz Ruanda radelt: Sogar ein Profi-Team gibt es, das jetzt als Botschafter des Friedens unterwegs ist
KIGALI (dpa) - Es ist ein Gewusel. Am rechten Fahrbahnrand sind Heerscharen von Radfahrern unterwegs. Schwere, aber stabile Räder, „made in China“. Der Sattel ist bei fast allen mit einer Sitzbank bestückt, auf denen mit seitlicher Ausrichtung noch jemand sitzt. Auch Rad-Taxis sind unterwegs. Willkommen in Kigali, Ruanda.
Wer hier als Weißer mit einem Rennrad unterwegs ist, fällt auf. Für eine Hauptstadt ist der Verkehr sogar noch erträglich. Und schnell ist man raus aus der Stadt, es geht nach rechts, auf die einzige Straße nach Ruhengeri, 120 Kilometer nördlich, an der Grenze zu Uganda gelegen. Sofort weiß man, warum Ruanda mit seinen zwölf Millionen Einwohnern auch „Das Land der tausend Hügel“heißt. In Kigali gibt es eine berüchtigte steile Kopfsteinpflasterpassage, die auch Schauplatz von Radrennen ist, im Volksmund heißt sie ehrfürchtig: „Die Wand von Kigali.“
Wer bei Anstiegen am Rennrad vorbeizieht, hat ein breites Grinsen, der Gedanke scheint zu sein: „Ich zieh Dich ab.“Ein kleiner Wettkampf, immer wieder. Kaum ein Auto, fast nur Räder. Mit 40 oder 50 Kilometer pro Stunde schießen die Radler Abfahrten hinunter. Und statt auf Esel oder Pferde als Lastentiere zu setzen, nimmt man hier das Rad.
Frauen und Kinder auf der Stange
Es gibt zwar kaum verlässliche Zahlen, aber gerade auf dem Land ist das Fahrrad, das vor 200 Jahren erfunden wurde, das Transportmittel Nummer Eins. Schätzungen der Statistikbehörde von 2012 gingen davon aus, dass damals in Ost-Ruanda schon mindestens jeder dritte Haushalt das Luxusgut Fahrrad hatte, heute dürften es mehr sein. Überall sitzen Männer, tauschen Ersatzteile aus, reparieren. Gern wird die Frau hinten, das Kind auf der Stange chauffiert, ein bisschen wie früher in China.
Da ist zum Beispiel Dany Twizerimana (25), er hat vier kunstvoll gestapelte Bierkästen der Marke „Skol“auf dem Gepäckträger, der hier seinem Namen alle Ehre macht. Über Rennradschuhe und Klickpedalen kann er nur müde lächeln. Er fährt mit Schlappen, wuchtet die Kisten den nächsten Berg hoch.
Die Liebe zum Rad zeigt sich auch in der besonderen Farbgestaltung. Sehr beliebt ist eine Ummantelung des Rahmens mit Gummibändern in den Farben Ruandas, blau, gelb, grün. wobei das blau für Glück und Frieden steht – früher war sie rot, gelb, grün, aber nach dem Genozid 1994 galt rot nicht mehr als angemessen.
Immer wieder gibt es an der Strecke Gedenkorte, die an das damalige Abschlachten vor allem der Tutsi durch radikale Hutu erinnern. 30 Kilometer außerhalb von Kigali gibt es eine Kirche mit angrenzendem Kloster, wo 10 000 Tutsi ermordet wurden. Alles ist noch so wie damals, auf den Kirchbänken liegt von rotem Sandstaub bedeckte, blutverschmierte Kleidung. Sie gehört den Ermordeten, im Keller sind Hunderte eingeschlagene Schädel zu sehen.
Es waren ausgerechnet die belgischen Kolonialherren, die in den Pässen die ethnische Unterscheidung Hutu oder Tutsi vermerken ließen. Auf Basis der Pässe wurde dann gemordet, bis vom Kongo aus die TutsiArmee, die Front Patriotique Rwandais unter Führung des heutigen Präsidenten Paul Kagame den Genozid stoppte. „Wir sind heute nur noch Ruander“, wird betont.
Nach dem Versagen der internationalen Gemeinschaft versuchte man zumindest mit viel Entwicklungshilfe zu helfen – ein Ergebnis sind teils sehr gute neue Straßen. Es wurde sogar an breite Seitenstreifen gedacht. Und: es ist blitzsauber, kein Müll, nirgends. In Ruanda gilt Plastiktütenverbot, nur Papiertüten sind erlaubt.
Und dann die Natur, sattgrün. Am schönsten ist es, im morgendlichen Sonnenlicht durch die Teeplantagen zu fahren, überall hocken die Teepflücker und winken lächelnd. Auch oft zu sehen: übereinander gestapelte Kartoffelsäcke oder gestapelte Ziegelsteine. Die werden schwitzend die Anstiege hochgeschoben.
Olympische Rennradler
Und dann gibt es noch Radler, die sich hinten an Lastwagen festhalten und ziehen lassen. Auf der Strecke nach Ruhengeri, Ausgangspunkt zu einer Tour zu den letzten Berg-Gorillas, gibt es dann plötzlich einen doch etwas ungewöhnlichen Anblick. Zwei Rennradfahrer überholen, bekleidet mit Trikots vom Team Ruanda. Es wird gefördert von einer Stiftung des US-Supermarktkonzerns Walmart, der Etat soll sich auf eine halbe Million Euro belaufen. Einer ist Nathan Byukusenge (36), er ist mit seinem Bruder unterwegs. Nathan war als Mountainbiker bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio dabei. Er verfehlte zwar das Zeitlimit, aber das Dabeisein zählte. „Seit ich klein bin, fahre ich Rad, vor zehn Jahren entschied ich dann, es professionell zu betreiben.“Jedes Jahr werde die Szene größer. Sogar eine „Tour de Ruanda“gebe es. „Millionen Menschen stehen bei den Etappen an den Straßen.“Mittlerweile fahre er weit über 5000 Kilometer im Jahr. Dafür bekommt er als Profi 140 000 ruandische Francs, etwa 160 Euro.
„Millionen Menschen stehen bei den Etappen der Tour de Ruanda an den Straßen.“Nathan Byukusenge, Olympiateilnehmer aus Ruanda