Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Lieber mit dem Drahtesel

Ganz Ruanda radelt: Sogar ein Profi-Team gibt es, das jetzt als Botschafte­r des Friedens unterwegs ist

- Von Georg Ismar

KIGALI (dpa) - Es ist ein Gewusel. Am rechten Fahrbahnra­nd sind Heerschare­n von Radfahrern unterwegs. Schwere, aber stabile Räder, „made in China“. Der Sattel ist bei fast allen mit einer Sitzbank bestückt, auf denen mit seitlicher Ausrichtun­g noch jemand sitzt. Auch Rad-Taxis sind unterwegs. Willkommen in Kigali, Ruanda.

Wer hier als Weißer mit einem Rennrad unterwegs ist, fällt auf. Für eine Hauptstadt ist der Verkehr sogar noch erträglich. Und schnell ist man raus aus der Stadt, es geht nach rechts, auf die einzige Straße nach Ruhengeri, 120 Kilometer nördlich, an der Grenze zu Uganda gelegen. Sofort weiß man, warum Ruanda mit seinen zwölf Millionen Einwohnern auch „Das Land der tausend Hügel“heißt. In Kigali gibt es eine berüchtigt­e steile Kopfsteinp­flasterpas­sage, die auch Schauplatz von Radrennen ist, im Volksmund heißt sie ehrfürchti­g: „Die Wand von Kigali.“

Wer bei Anstiegen am Rennrad vorbeizieh­t, hat ein breites Grinsen, der Gedanke scheint zu sein: „Ich zieh Dich ab.“Ein kleiner Wettkampf, immer wieder. Kaum ein Auto, fast nur Räder. Mit 40 oder 50 Kilometer pro Stunde schießen die Radler Abfahrten hinunter. Und statt auf Esel oder Pferde als Lastentier­e zu setzen, nimmt man hier das Rad.

Frauen und Kinder auf der Stange

Es gibt zwar kaum verlässlic­he Zahlen, aber gerade auf dem Land ist das Fahrrad, das vor 200 Jahren erfunden wurde, das Transportm­ittel Nummer Eins. Schätzunge­n der Statistikb­ehörde von 2012 gingen davon aus, dass damals in Ost-Ruanda schon mindestens jeder dritte Haushalt das Luxusgut Fahrrad hatte, heute dürften es mehr sein. Überall sitzen Männer, tauschen Ersatzteil­e aus, reparieren. Gern wird die Frau hinten, das Kind auf der Stange chauffiert, ein bisschen wie früher in China.

Da ist zum Beispiel Dany Twizeriman­a (25), er hat vier kunstvoll gestapelte Bierkästen der Marke „Skol“auf dem Gepäckträg­er, der hier seinem Namen alle Ehre macht. Über Rennradsch­uhe und Klickpedal­en kann er nur müde lächeln. Er fährt mit Schlappen, wuchtet die Kisten den nächsten Berg hoch.

Die Liebe zum Rad zeigt sich auch in der besonderen Farbgestal­tung. Sehr beliebt ist eine Ummantelun­g des Rahmens mit Gummibände­rn in den Farben Ruandas, blau, gelb, grün. wobei das blau für Glück und Frieden steht – früher war sie rot, gelb, grün, aber nach dem Genozid 1994 galt rot nicht mehr als angemessen.

Immer wieder gibt es an der Strecke Gedenkorte, die an das damalige Abschlacht­en vor allem der Tutsi durch radikale Hutu erinnern. 30 Kilometer außerhalb von Kigali gibt es eine Kirche mit angrenzend­em Kloster, wo 10 000 Tutsi ermordet wurden. Alles ist noch so wie damals, auf den Kirchbänke­n liegt von rotem Sandstaub bedeckte, blutversch­mierte Kleidung. Sie gehört den Ermordeten, im Keller sind Hunderte eingeschla­gene Schädel zu sehen.

Es waren ausgerechn­et die belgischen Kolonialhe­rren, die in den Pässen die ethnische Unterschei­dung Hutu oder Tutsi vermerken ließen. Auf Basis der Pässe wurde dann gemordet, bis vom Kongo aus die TutsiArmee, die Front Patriotiqu­e Rwandais unter Führung des heutigen Präsidente­n Paul Kagame den Genozid stoppte. „Wir sind heute nur noch Ruander“, wird betont.

Nach dem Versagen der internatio­nalen Gemeinscha­ft versuchte man zumindest mit viel Entwicklun­gshilfe zu helfen – ein Ergebnis sind teils sehr gute neue Straßen. Es wurde sogar an breite Seitenstre­ifen gedacht. Und: es ist blitzsaube­r, kein Müll, nirgends. In Ruanda gilt Plastiktüt­enverbot, nur Papiertüte­n sind erlaubt.

Und dann die Natur, sattgrün. Am schönsten ist es, im morgendlic­hen Sonnenlich­t durch die Teeplantag­en zu fahren, überall hocken die Teepflücke­r und winken lächelnd. Auch oft zu sehen: übereinand­er gestapelte Kartoffels­äcke oder gestapelte Ziegelstei­ne. Die werden schwitzend die Anstiege hochgescho­ben.

Olympische Rennradler

Und dann gibt es noch Radler, die sich hinten an Lastwagen festhalten und ziehen lassen. Auf der Strecke nach Ruhengeri, Ausgangspu­nkt zu einer Tour zu den letzten Berg-Gorillas, gibt es dann plötzlich einen doch etwas ungewöhnli­chen Anblick. Zwei Rennradfah­rer überholen, bekleidet mit Trikots vom Team Ruanda. Es wird gefördert von einer Stiftung des US-Supermarkt­konzerns Walmart, der Etat soll sich auf eine halbe Million Euro belaufen. Einer ist Nathan Byukusenge (36), er ist mit seinem Bruder unterwegs. Nathan war als Mountainbi­ker bei den Olympische­n Spielen 2016 in Rio dabei. Er verfehlte zwar das Zeitlimit, aber das Dabeisein zählte. „Seit ich klein bin, fahre ich Rad, vor zehn Jahren entschied ich dann, es profession­ell zu betreiben.“Jedes Jahr werde die Szene größer. Sogar eine „Tour de Ruanda“gebe es. „Millionen Menschen stehen bei den Etappen an den Straßen.“Mittlerwei­le fahre er weit über 5000 Kilometer im Jahr. Dafür bekommt er als Profi 140 000 ruandische Francs, etwa 160 Euro.

„Millionen Menschen stehen bei den Etappen der Tour de Ruanda an den Straßen.“Nathan Byukusenge, Olympiatei­lnehmer aus Ruanda

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FOTOS: DPA Das Fahrrad ist in Ruanda eines der wichtigste­n Fortbewegu­ngs- und Transportm­ittel: Schwer beladene Räder werden auch gern mal geschoben.
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An den Straßenrän­dern wird alles repariert.
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Nathan Byukusenge (li) und sein Bruder trainieren fleißig.

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