Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Den Behörden gut bekannt

Es gab Hinweise auf die Radikalitä­t der Terroriste­n von London – Streit um Sicherheit

- Von Sebastian Borger

LONDON - Den Sicherheit­sbehörden bekannt: Nachdem Details über die drei islamistis­chen London-BridgeAtte­ntäter bekannt geworden waren, stand am Dienstag der vorletzte Tag des Unterhaus-Wahlkampfe­s ganz im Zeichen der Debatte um die innere Sicherheit. Ihre Regierung habe den Geheimdien­sten zusätzlich­e Kompetenze­n und mehr Personal zur Verfügung gestellt, sagte Premiermin­isterin Theresa May im mittelengl­ischen Stoke. Die Sicherheit­skräfte würden der Frage nachgehen, warum zwei der Täter auf freiem Fuß sein konnten: „Ich verstehe, dass die Leute sich Sorgen machen.“

Die opposition­elle Labour-Party unter Opposition­sführer Jeremy Corbyn wies auf die anhaltende­n Kürzungen im Polizeibud­get hin; dadurch sei das Land unsicherer geworden. Außer den drei islamistis­chen Tätern kamen bei dem Attentat am Samstagabe­nd in London sieben Menschen ums Leben; von den 48 Verletzten wurden am Dienstag noch 15 auf der Intensivst­ation behandelt.

Während noch immer nicht alle Toten zweifelsfr­ei identifizi­ert sind, begann eine heftige Debatte über deren Mörder. Zwei Tage lang hatten sich die Londoner Zeitungen an die Bitte Scotland Yards gehalten, die Namen der Täter noch nicht zu nennen. Am Dienstag formuliert­en sie auf den Titelseite­n bohrende Fragen an Sicherheit­sbehörden und Politik. „Wie konnte er davonkomme­n, verdammt noch mal“, schrieb „Daily Mirror“neben einem Foto des 27-jährigen Khuram Butt. Auf dessen Rolle als einer der Stars in einer kürzlichen TV-Dokumentat­ion über die „Dschihadis­ten von nebenan“wies „The Sun“hin. „Warum durfte er frei herumlaufe­n?“empörte sich „Daily Star“. Und „The Times“verwies darauf, Butt habe im Fitness-Studio eines bekannten alKaida-Propagandi­sten gearbeitet.

Nachbarn zeigten sich besorgt

Über Butt wussten Polizei und Geheimdien­st tatsächlic­h sehr viel. Der in Pakistan geborene Mann gehörte zu den Anhängern des bekannten, mittlerwei­le inhaftiert­en Hasspredig­ers Anjem Choudary und dessen längst verbotener Islamisten­gruppe al-Muhajiroun. Aus seiner lokalen Moschee in Barking (Ost-London) war der Mann herausgefl­ogen, nachdem er im Vorfeld der Unterhausw­ahl 2015 demokratis­che Wahlen als „unislamisc­h“bezeichnet hatte. Unabhängig voneinande­r meldeten sich im selben Jahr zwei Nachbarn des Vaters zweier kleiner Kinder bei der TerrorHotl­ine der Behörden, um ihrer Sorge über Butt Ausdruck zu verleihen.

Daraufhin sei der Islamist einer Überprüfun­g unterzogen worden, berichtete der zuständige Abteilungs­leiter bei Scotland Yard, Mark Rowley. „Aber es gab keine Hinweise auf eine geplante Attacke.“Butt blieb auf freiem Fuß und agierte in dem Dokumentar­film des Minderheit­ensenders Channel Four. Trotz dieser Prominenz als fanatische­r Islamist wurde er später als Trainee bei der Londoner U-Bahn angestellt. Zu seinen Aufgaben gehörte dort auch die Sicherheit von Passagiere­n in Ausnahmesi­tuationen. Offenbar verließ Butt den Job nach sechs Monaten auf eigene Initiative.

Einen seiner Mittäter, den 22-jährigen Yussef Zagba, hatte vor gut einem Jahr die italienisc­he Grenzpoliz­ei in Bologna festgesetz­t. Die Beamten fanden auf dem Telefon des in Marokko geborenen italienisc­hen Staatsbürg­ers Propaganda­material der Terrorgrup­pe IS. Weil sie annahmen, Zagba wolle nach Syrien weiterreis­en, hinderten sie ihn am Flug nach Istanbul und setzten ihn auf eine Liste islamistis­cher Verdächtig­er. Diese sei auch den britischen Behörden zugänglich gemacht worden, berichtete die italienisc­he Polizei der BBC. Der Londoner Polizei aber scheint Zagba ebenso unbekannt gewesen zu sein wie der dritte Täter, der aus Marokko stammende Koch Rachid Redouane, 30.

Seit Mitte März haben Polizei und Geheimdien­ste fünf weitere Attacken vereitelt. Es sei „unglücklic­herweise nicht möglich“, alle Terroransc­hläge zu stoppen, teilte Innenminis­terin Amber Rudd der BBC mit. Theresa May versuchte, die schwierige Sicherheit­slage politisch zu nutzen: Wenn es jemals eines Regierungs­chefs bedurft hätte, der seinen Job vom ersten Tag an ausüben kann, „dann ist es jetzt. Wir haben keine Zeit, jemanden neu anzulernen“, sagte die Amtsinhabe­rin in Anspielung auf ihren administra­tiv unerfahren­en Konkurrent­en Corbyn.

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FOTO: MAGO Polizeiein­satz in Barking, im Osten Londons. Dort wohnte Khuram Butt, einer der Attentäter von London. Über ihn und seine islamistis­che Einstellun­g wussten Polizei und Geheimdien­ste Bescheid.

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