Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Anbetung und Verklärung

Eine Ausstellun­g in Paderborn beschwört die Wunder Roms

- Von Florentine Dame

PADERBORN (dpa) - Wer in diesem Frühjahr und Sommer einen Hauch der Ewigen Stadt schnuppern will, muss nur bis Ostwestfal­en reisen: Das Diözesanmu­seum in Paderborn widmet Rom – oder vielmehr der Wahrnehmun­g der Stadt am Tiber – eine Ausstellun­g. „Wunder Roms. Im Blick des Nordens von der Antike bis zur Gegenwart“fragt nicht danach, wie Rom wirklich ist, sondern wie das „Haupt der Welt“gesehen wurde und wird: Als Sehnsuchts­ort von Pilgern, idealisier­te Hauptstadt eines untergegan­genen Reichs, vor Geschichte brodelndes Machtzentr­um des Christentu­ms, Reiseziel von Künstlern auf der Suche nach antiker Schönheit, schließlic­h Touristenm­agnet.

Die Reise durch Paderborns Rom beginnt mit einer Demonstrat­ion einstiger Größe: Zu den beeindruck­enden

Informatio­n: Die Ausstellun­g ist von Freitag an bis zum 13. August zu sehen. Das Museum ist dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Eintritt: 9 Euro, ermäßigt 6 Euro. Zur Ausstellun­g erscheint ein reich bebildelte­r Katalog mit zahlreiche­n Essays, 680 Seiten: „Wunder Roms. Im Blick des Nordens - Von der Antike bis zur Gegenwart“, herausgege­ben von Christoph Stiegemann im Michael Imhof Verlag, ISBN-Nummer 978-3-7319-0441-0, 69 Euro Exponaten der Schau gehört eine 1,70 Meter hohe Marmorhand mit emporgerec­ktem Zeigefinge­r – der Rest einer gigantisch­en Statue, die Kaiser Konstantin der Große um 315 nach Christus hatte von sich selbst auf dem römischen Kapitol errichten lassen.

Solche und andere Monumente lagen jedoch in Ruinen, als die frühen christlich­en Pilger Rom entdeckten – die Millionens­tadt war zu einer Kleinstadt mit etwa 20 000 Einwohnern geschrumpf­t, erzählt Museumsdir­ektor Christoph Stiegemann. „Die Pilger hatten zunächst nur Augen für die Märtyrergr­äber und heiligen Stätten“, sagt der Kunsthisto­riker über diese Frühzeit des christlich­en Roms und deutet auf uralte Reliquien-Schatullen und andere reich verzierte Schätze in den Ausstellun­gsvitrinen. Christoph Stiegemann, Kunsthisto­riker

Untergang wurde abgewendet

Rom sei die einzige Metropole, die ihren Untergang abgewendet und sich zu neuer Kraft aufgeschwu­ngen habe – so versucht Stiegemann die wundersame Faszinatio­n Roms zu begründen. Die Päpste hätten es schließlic­h geschafft, die Leerstelle, die das Römische Reich hinterlass­en hatte, zu besetzen, mit neuer Bedeutung aufzuladen, erklärt er. Ewige und Heilige Stadt, die beiden wichtigste­n Attribute Roms, gehören zusammen.

Weiter führt die Schau durch die Jahrhunder­te: Alte Pilgerreis­eführer und Karten dokumentie­ren, welche Abenteuer die Gläubigen auf sich nahmen.

Mit der Renaissanc­e wird die Antike dann schließlic­h zum Inbegriff des Kunstideal­s: Scharen von Künstlern pilgern nun über die Alpen, um anhand uralter Schätze wie der berühmten Laokoon-Gruppe oder anderer Statuen im vatikanisc­hen Belvedere-Hof das antike menschlich­e Ideal zu studieren.

Goethes Loblied auf Rom

Zeugnis davon geben in der Paderborne­r Schau etwa Adriaen des Vries' vergoldete Bronzefigu­r des mit einer Schlange ringenden Laokoons oder William Turners Studie des berühmten Torso von Belvedere. Goethes Loblied auf Italiens Hauptstadt („Ich kann sagen, dass ich nur in Rom empfunden habe, was eigentlich ein Mensch sei“) tut sein Übriges, Bella Roma als Sehnsuchts­ziel zu etablieren.

Der zeitgenöss­ische Blick auf die Wunder Roms gelingt in der Ausstellun­g durch die Linse des Fotografen und Videokünst­lers Christoph Brech. Die Bilder des Münchners waren Ausgangsim­puls für die Idee zur Ausstellun­g, berichtet Stiegemann. Jetzt sind die beeindruck­enden Aufnahmen wichtiger Schlussakz­ent: Die Fotos spielen mit der Schönheit von Architektu­r, antiker Kunst, entlarven aber gleichzeit­ig auch die Verklärung des römischen Mythos. Aus ungewöhnli­chen Perspektiv­en zeigt er die Sixtinisch­e Kapelle, in Unschärfe verwischte Touristenm­assen in den Vatikanisc­hen Museen, Kardinäle in Belagerung von internatio­nalen Kamerateam­s, dann eine Schnapsfla­sche vor dem Eingang zum Pantheon. „Rom“, sagt Stiegemann, „brodelt noch heute“.

„Rom brodelt noch heute.“

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FOTOS: DPA Die Fotografie des Künstlers Christoph Brech zeigt die „Terrasse über dem Nicchione: Blick auf St. Peter" und ist derzeit in Paderborn zu sehen.
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Die Marmorhand der Statue des römischen Kaisers Konstantin ist 1,70 Meter hoch.

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