Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Drei Töne und alles ist ruhig

Kinder- und Jugendchör­e verzeichne­n in den letzten Jahren steigende Mitglieder­zahlen – vor allem bei den Kirchen

- Von Michael Haas

WÜRZBURG (dpa) - Erst laute Gespräche, dann fast absolute Stille und Konzentrat­ion: Drei kurze Töne nur sind es, die die tobenden Jungs zur Ruhe kommen lassen. Anja Tschamler hat den Probenraum im Würzburger Burkadusha­us vorbereite­t, den Kindern etwas Zeit zum Ankommen gegeben, sie schließlic­h zusammenge­rufen. Jetzt sitzt sie am Klavier und drückt die drei Tasten. Schlagarti­g werden die Grundschül­er ruhig. Tschamler atmet ein, dann geht es los: „Sch, sch, s“. Der Vorchor für die Domsingkna­ben singt sich ein.

Es ist ein wichtiger Tag für Tschamler und die Buben – zum letzten Mal üben sie die Lieder für den großen Gottesdien­st am Sonntag. Gemeinsam mit 500 weiteren Kindern und Jugendlich­en aus zehn kirchliche­n Chören werden sie die Feier im Kiliansdom musikalisc­h begleiten. Es ist der große Abschluss des Deutschen Knabenchor­festivals. Chöre aus ganz Deutschlan­d sind in mehreren Kirchen der Stadt zu hören, proben gemeinsam und lernen sich untereinan­der kennen.

Klar, dass da auch die jüngsten Sänger dabei sein wollen. In den beiden Vorchören der Domsingkna­ben sammeln die Kinder erste Erfahrunge­n, ehe sie in den Hauptchor aufrücken. Wöchentlic­h wird hier geprobt, immer eine Stunde. Auch eine Stimmbildn­erin sei schon dabei und nehme regelmäßig einige Kinder für Einzelübun­gen zur Seite, erzählt Verwaltung­sleiterin Viola Ratz. Fünf Wochen ist die letzte Probe des Repertoire­s für das Festival nun schon her, stellt Chorleiter­in Tschamler derweil fest. „Wisst Ihr denn den Text noch?“Sofort fangen einige Buben zu singen an.

Immer wieder geht das so: Ein Wort, eine kurze Liedzeile genügt und einige Kinder singen drauflos. Selbst wenn Tschamler etwas vormachen will, ist mancher kaum zu bremsen. „Mag jemand vorsingen?“, fragt sie. Auch hier: Begeisteru­ng, viele Hände gehen nach oben – „Credo“schallt es durch den Raum.

49 Buben sind derzeit in den beiden Vorchören für die Domsingkna­ben, die beiden für die Mädchenkan­torei besuchen 64 Kinder. Das sind so viele junge Sänger wie noch nie, der Anstieg in den vergangene­n Jahren ist deutlich. Und Würzburg ist längst kein Einzelfall: Gemeinsame­s Singen wird bundesweit immer beliebter.

Die Ursachen dafür sind vielschich­tig. Immer wieder hört man vor allem eine: „Diese ganzen Castingsho­ws haben wahrschein­lich doch dazu beigetrage­n, dass viel mehr Leute wieder singen wollen“, sagt Thomas Jost vom CEK. Auch Schalz glaubt, dass TV-Sendungen wie „The Voice of Germany“geholfen haben, dass Kinder und Jugendlich­e singen heute „cool“finden.

Für wichtig hält er aber auch Veränderun­gen in der Schulpädag­ogik, darunter weniger Vorsingen vor der gesamten Klasse, und eine gesellscha­ftliche Entwicklun­g. „Chorgesang hatte es in Deutschlan­d nach dem Krieg immer schwer“, sagt Schalz. Erst seit der Wende habe sich das Image der einst vom Nationalso­zialismus vereinnahm­ten Musik zum Positiven gewandelt.

Neue Freude am Singen also, die nicht auf feste Chöre beschränkt bleibt. Im vergangene­n Dezember haben 40 000 Menschen im Kölner Fußballsta­dion gemeinsam Weihnachts­lieder gesungen. „Chorsingen bietet Ausgleich zum Stress, zum allgemeine­n Effizienzs­treben“, meint Friederike Dahlmann von Pueri Cantores.

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FOTO: DPA Chorleiter­in Anja Tschamler probt mit dem „Vorchor II“der Würzburger Domsingkna­ben.

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