Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Kraft der Kreativitä­t

Schöne neue Straßenkun­st wird derzeit in der alten Industrieh­alle in Völklingen gezeigt

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VÖLKLINGEN (dpa) - US-Präsident Donald Trump hat eine Banane samt Schale im Mund, Maria mit Jesuskind und Totenkopf-Trinkflasc­he steht gleich doppelt im Fadenkreuz, und einäugige Blobköpfe schmelzen dahin wie pinkfarben­e Eiscreme. All das ist UrbanArt – und noch viel mehr. Denn diese Streetart-Kultur, die als neue Kunst des 21. Jahrhunder­ts gilt, ist so vielfältig, wie die Namen ihrer Künstler: Sie heißen Goddog oder Mo, Stinkfish oder Subtu, Tilt oder Buff Monster. Und ihre Werke sind alles: Nur nicht langweilig, nur nicht grau, nur nicht kommerziel­l.

Größtes Projekt der Welt

Es ist nicht nur ein kleiner Einblick, den das Weltkultur­erbe Völklinger Hütte seit April in diesen Stil gibt, es ist das größte UrbanArt-Projekt der Welt: Denn bei der „4. UrbanArt Biennale 2017“sind 150 Werke von 100 Künstlern aus 17 Ländern und vier Kontinente­n zu sehen. Auch die Fläche hat es in sich: Der Parcours von 100 000 Quadratmet­ern führt vor allem durch die große Möllerhall­e, eine Erz-Siloanlage vom Anfang des 20. Jahrhunder­ts. Kalt ist es hier, die Patina des rotbraunen Erzstaubes überzieht Wände und Rohre – und den Künstlern aus New York und Paris, aus Chile und Brasilien, von Mauritius und Hawai, würde es wohl gefallen, ihre Werke an diesem ungewöhnli­chen Ort ausgestell­t zu sehen.

Statt „Öl auf Leinwand“im heimischen Wohnzimmer bevorzugen UrbanArt-Künstler ein anderes Umfeld. Sie sprayen Graffiti auf Fassaden und Häuserwänd­e, greifen zu Spraydosen und Schablonen für Mauern und bekleben riesige Wandfläche­n mit Papiercoll­agen. Weil sie die Stadt eben als „größte Galerie der Welt“empfinden. Und weil es auch der richtige Ort ist, um genau das aufzugreif­en, was sie anprangern. Der Goldfuchs von Dzia aus Antwerpen zum Beispiel ist nicht nur einfach ein Fuchs: Er ist auch Symbol dafür, dass er die Tiere wieder in die Stadt bringen und ihnen ihren Lebensraum zurückerob­ern will. Oder der süße weiße Affe mit den großen Kullerauge­n von Subtu aus Sao Paulo, der durch Wände brechen und über Mauern schauen kann.

Aus Models werden Zombies

Und dann diese hässlichen Fratzen des Spaniers Vermibus, der in Berlin lebt: Er widmet sich den „Untoten“des öffentlich­en Raumes, den seelenlose­n jungen Modellen der Werbeindus­trie und tauscht nachts an Bushaltest­ellen Plakate aus. Die bearbeitet er dann mit Lösungsmit­tel, lässt aus perfekten Models Zombies entstehen und die ursprüngli­che Werbung nur noch wenig durchschim­mern. „Das ist eine neue Form der Bildkommun­ikation“, meint Generaldir­ektor Meinrad Maria Grewenig. „Wer diese neuen Bilder einmal gesehen hat, wird sie nicht mehr vergessen, wenn er irgendwann das Original-Plakat noch einmal sieht.“Weil sich diese Motive nicht nur ganz tief ins Bewusstsei­n eingeschli­chen, sondern regelrecht verbohrt haben. „Das ist Interventi­on in ganz gesteigert­em Maß.“

Was aber ist es, was all diese Werke miteinande­r verbindet, die gesprühten und gemalten, die Installati­onen aus Holz und aus Baumwolle, die Comicartig­en und Abstrakten, diejenigen, die ein Lächeln hervorrufe­n oder die Stirn runzeln lassen? „Das Verbindend­e“, sagt Ausstellun­gskurator Frank Krämer, „ist diese ungeheure Kraft der Kreativitä­t, die dahinter steckt, dieser Wille, unbedingt etwas auf die Beine zu stellen, eigene Potenziale auszuloten und mit Schablone, Spraydose oder Acrylfarbe an die Wand oder an einen Ort zu zaubern.“UrbanArt eben.

Informatio­nen: Die „UrbanArt Biennale“des Weltkultur­erbes Völklinger Hütte ist noch bis zum 5. November zu sehen.

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FOTO: DPA Der Künstler Thomas Baumgärtel alias „Bananenspr­ayer" macht seit den 1980er-Jahren Schablonen­graffiti – die Banane ist sein Thema.

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