Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Vielleicht sein letzter großer Sieg
Der 39-jährige Tommy Haas wehrt einen Matchball ab und schlägt überraschend Roger Federer
STUTTGART (dpa/SID) - Tommy Haas legte nach seinem Coup in Stuttgart tröstend seinen Arm um die Schulter von Roger Federer. Der baldige Tennis-Rentner konnte es selbst nicht recht glauben, dass ausgerechnet er dem Rekord-Grand-Slam-Sieger aus der Schweiz die Rückkehr auf die ATP-Tour verdorben hat. Mit dem überraschenden 2:6, 7:6 (10:8), 6:4 zog der Weltranglisten-302. bei dem Rasen-Turnier ins Viertelfinale ein. Federer fügte er nach dessen zehnwöchiger Pause auf dem angestrebten Weg zum achten Wimbledon-Titel eine empfindliche Niederlage bei. „Ich habe mich ein bisschen selbst geschockt“, sagte der 39-jährige Haas. „Ich bin ein bisschen sprachlos. Es ist schwierig, Worte zu finden. Das ist noch mal ein Wahnsinns-Highlight in meiner Karriere. Nicht der große feierliche Erfolg, der es noch vor vier, fünf oder sechs Jahren gewesen wäre. Es sind jetzt andere Emotionen in meiner letzten Saison.“
Töchterchen Valentina sprang begeistert auf, als der Papa mit dem Sieg über seinen guten Freund den ersten Viertelfinaleinzug seit drei Jahren perfekt machte. „Wir konnten es gar nicht glauben“, flüsterte die Sechsjährige ihrem Vater im Presseraum zu. „Ich auch nicht“, antwortete Haas, später sagte er: „Das ist vielleicht ein Grund, warum der Sieg noch einmal kam. Ich wollte immer, dass sie ihrem Vater noch mal zuschauen kann. Der Sieg gegen Roger vor ihren Augen ist eine tolle Geschichte. Und es ist nicht so schlecht, die Geschichte in zehn, 20 Jahren noch mal zu erzählen.“
Zverev trifft auf ein Idol
Erstmals nach seinem Comeback im Januar feierte die frühere Nummer zwei der Welt zwei Siege in Folge. Heute kämpft Haas gegen Mischa Zverev bei dem mit 701 975 Euro dotierten Turnier um den Einzug ins Halbfinale.
Der topgesetzte Federer kassierte nach seinem Verzicht auf die Sandplatz-Saison die zweite Niederlage 2017, nachdem er im Tiebreak des zweiten Satzes einen Matchball ausgelassen hatte. „Es ist ziemlich frustrierend. Ich habe definitiv ein paar entscheidende Fehler gemacht“, sagte er. „Ich bin nicht geschockt, dass ich verloren habe. Ich habe gewusst, dass das Risiko da ist. Ich gönne es Tommy. Ich war überrascht, dass er überhaupt nicht Serve and Volley gespielt hat. Ich dachte bis zum letzten Punkt, dass das jetzt irgendwann mal kommen muss. Ist es aber nicht. Vielleicht hat mich das auch ein wenig aus dem Konzept gebracht.“
Es war ein spezielles Match zwischen den beiden Altmeistern, nicht nur weil Publikumslieblinge aufeinandertrafen und beide dick befreundet sind. Auf der einen Seite stand Haas, der sein letztes Jahr genießt. Auf der anderen der 18-malige GrandSlam-Sieger, der sich nach seinem imposanten Saisonstart für die RasenFitness zurückgezogen hatte.
Im ersten Satz hatte es nach einem problemlosen Erfolg für den Favoriten ausgesehen. In der prallen Sonne auf dem mit fast 6000 Zuschauern gefüllten Center Court rief der 35-jährige Federer zunächst souverän und mit präzisen Aufschlägen seine Klasse ab. Im Tiebreak des zweiten Satzes ließ der Australian-Open-Sieger erst einen Matchball aus und leistete sich dann einen fatalen Doppelfehler.
Nachdem er im dritten Satz seinen Aufschlag zum 2:3 verlor, saß Federer nachdenklich auf seiner Bank. Der gebürtige Hamburger Haas, der Federer auch im Finale von Halle 2012 auf Rasen eine unvergessene Niederlage zugefügt hatte, wirkte zufrieden. Nach 1:56 Stunden verwandelte er seinen zweiten Matchball, freute sich aber nur verhalten. „Roger ist wahrscheinlich der größte Spieler aller Zeiten, aber hat seit zehn Wochen nicht gespielt, weswegen ihm vielleicht die Matchpraxis gefehlt hat“, sagte Haas.
Federer, der nächste Woche in Halle antritt, war nach seinem Comeback bedient: „Es ist ziemlich frustrierend, aber so ist es manchmal. Man ist sich nie sicher, dass es so gut weitergehen kann. Von daher ist so ein Reset manchmal ziemlich gut“, sagte er. Und: „Es ist nicht so, dass ich gedacht habe, ich gewinne schnell Stuttgart, danach noch Halle und dann gehe ich mit super viel Selbstvertrauen nach Wimbledon.“Immerhin: Der zuletzt so anfällige Rücken und das Knie bestanden den Belastungstest, wenn auch mit Nachwehen: „Ich fühle, dass sich der Körper im Vergleich zum Training anders anfühlt. Ich bin ganz schön müde“, sagte Federer.
Mischa Zverev setzte sich gegen den Karlsruher Qualifikanten Yannick Hanfmann 7:6 (1), 6:2 durch. Deutschlands Nr. 2 freute sich auf ein „großartiges“Viertelfinale, bereits bevor er seinen Gegner kannte. „Federer ist eine Legende, und Tommy eigentlich für mich auch“, sagte der 30-Jährige.