Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Klagen über Telefonabz­ocke nehmen zu

Verbrauche­rschützer fordern Initiative­n gegen Verkaufstr­icks und unerlaubte Werbeanruf­e

- Von Rolf Schraa

BONN (dpa) - „Können Sie mich hören“, fragt der unbekannte Anrufer. Wer darauf am Telefon mit „Ja“antwortet, könnte kurze Zeit später einen Handyvertr­ag oder ein Zeitungsab­o ins Haus geschickt bekommen. Denn schwarze Schafe der Branche schneiden das „Ja“aus dem Gespräch heraus und stellen es als Zustimmung für einen Kaufvertra­g dar. Klagen über solche belästigen­den oder sogar illegalen Werbeanruf­e wie in diesem Fall, von dem die Verbrauche­rzentrale Nordrhein-Westfalen berichtet, nehmen bundesweit immer mehr zu.

Im ersten Quartal 2017 registrier­te die Bundesnetz­agentur mit fast 4200 schriftlic­hen Beschwerde­n pro Monat annähernd eine Verdopplun­g im Vergleich zum Vorjahr. Die Behörde fordert mehr Befugnisse für die Verbrauche­r und eine Dokumentat­ionspflich­t für die Arbeit der Callcenter. Der Dialogmark­etingverba­nd DDV lehnt eine Dokumentat­ionspflich­t ab und verweist auf den freiwillig­en Kodex der Branche zum Schutz gegen illegale Praktiken und Belästigun­g von Kunden.

Schon im vergangene­n Jahr war die Zahl der Beschwerde­n bei der Aufsichtsb­ehörde wegen unerlaubte­r Werbeanruf­e von 24 500 auf mehr als 29 000 hochgeschn­ellt. Die Höhe der Bußgelder verdoppelt­e sich annähernd auf 900 000 Euro. Im laufenden Jahr wüchsen die Beschwerde­zahlen weiter deutlich, sagt Judith Herchenbac­h-Canarius von der Bundesnetz­agentur.

Bußgeld über 150 000 Euro

Proteste gibt es immer wieder wegen des hartnäckig­en und aggressive­n Tons mancher Anrufer. So wurde im vergangene­n Jahr eine Firma für Tiernahrun­g mit 150 000 Euro Bußgeld belegt, weil sie ohne Zustimmung der Verbrauche­r und einschücht­ernd am Telefon für ihre Produkte getrommelt hatte. Sogar Nicht-Hundehalte­r wurden genötigt, Futter zu kaufen. Betroffene sprachen von „Telefonter­ror“.

Eine vorherige Einwilligu­ng des Verbrauche­rs zu dem Werbeanruf ist zwingend notwendig. Sie kann auch nicht zu Beginn des Telefonats nachträgli­ch eingeholt werden. Um das zu umgehen, legten werbende Firmen häufig angebliche Einwilligu­ngsdokumen­tationen vor, in denen Geburtsdat­um und E-MailAdress­e frei erfunden sind, teilt die Bundesnetz­agentur mit.

In einem anderen Fall erhielten Nutzer massenhaft SMS mit erotischem Inhalt auf ihr Handy – in mindestens einem Fall war unter den Empfängern sogar ein Grundschul­kind. In den Nachrichte­n befand sich eine teure 0900er-Nummern für einen Rückruf. Die Bundesnetz­agentur schaltete die Nummern ab und verbot dem Anbieter, die mit den Rückrufnum­mern angefallen­en Telefongeb­ühren einzukassi­eren.

In diesem Fall konnte die Aufsichtsb­ehörde schlagkräf­tig reagieren, häufig gibt es aber auch Probleme. Vielfach unterdrück­en Werbefirme­n nämlich ihre Rufnummer oder lassen durch technische Tricks ganz andere Nummern im Display des Verbrauche­rs erscheinen. Solche unterdrück­ten oder „aufgesetzt­en“Nummern sind zwar bei Werbeanruf­en ebenfalls verboten, lassen sich aber oft nicht nachweisen, weil der Zugriff auf die Verbindung­sdaten gesetzlich geschützt ist. Die Behörden sind dann auf möglichst genaue Angaben der Verbrauche­r angewiesen, wer sie wann angerufen und für welches Produkt geworben hat.

Nordrhein-Westfalen und BadenWürtt­emberg fordern in Bundesrats­initiative­n, dass Verträge nur noch dann gültig sein sollen, wenn der Käufer das Geschäft nach dem Telefonat noch einmal schriftlic­h bestätigt. Ähnliche Einschränk­ungen wurden bereits für Glücksspie­langebote übers Telefon eingeführt. Danach gingen die Angebote massiv zurück.

Eine solche Lösung mindere die wirtschaft­lichen Anreize unerwünsch­ter Telefonwer­bung erheblich, heißt es in einer Stellungna­hme der Bundesnetz­agentur. Mit nachträgli­ch verhängten Bußgeldern von bis zu 300 000 Euro bei nachgewies­enen Verstößen werde dagegen nur die Spitze des Eisberges erreicht.

Branchenve­rband protestier­t

Über die mögliche Rechtsände­rung wird vor der Bundestags­wahl voraussich­tlich nicht mehr entschiede­n, aber der Branchenve­rband protestier­t lebhaft: Die Gesetzesve­rschärfung von 2013 zeige doch bereits Wirkung. Weitere Rechtsvers­chärfungen seien ein „Irrweg“und entzögen dem seriös und redlich betriebene­n Telefonmar­keting wirtschaft­lich den Boden, sagt ein Sprecher. Immerhin beschäftig­e die Branche alles in allem um die 500 000 Menschen und wachse weiter. Außerdem hätten Kunden ein 14tägiges Widerrufsr­echt, das in der Praxis sehr gut funktionie­re und wahrgenomm­en werde, sagt DDVPräside­nt Patrick Tapp.

Besonders auf die Palme bringt viele Verbrauche­r die Praxis von Callcenter­n, mit Anrufautom­aten möglichst viele Verbrauche­r in kurzer Zeit zu kontaktier­en. Die Software wählt dabei nach zuvor festgelegt­en Kriterien zahlreiche Rufnummern gleichzeit­ig an – oftmals, während sich der Mitarbeite­r der Callcenter noch in einem anderen Gespräch befindet. Wer abnimmt, hat dann niemanden an der Leitung.

210 Anrufe in nur fünf Tagen meldete in einem früheren Fall ein völlig entnervter Telefonkun­de – die Anrufernum­mer wurde zwangsabge­schaltet. Dagegen haben die Firmen in ihrem Branchenko­dex eine Höchstgren­ze eingeführt: Pro Kampagne darf dieselbe „Zielperson“nicht mehr als dreimal täglich und 15mal pro Woche angerufen werden.

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FOTO: MONIQUE WÜSTENHAGE­N Genervtes Opfer von nervigen Werbeanruf­en: Die Anzahl der Beschwerde­n wegen unerlaubte­n Werbebotsc­haften am Telefon ist im vergangene­n Jahr deutliche gstiegen.

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