Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

China-Eklat beschert Ovtcharov Sieg

Die heimischen Stars protestier­en gegen den Verband und müssen zu Kreuze kriechen

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CHENGDU (dpa/SID) - Dramatisch­es deutsches Finale bei den China Open, während die großen Stars der Tischtenni­s-Weltmacht ihr eigenes Turnier boykottier­ten: Der Tischtenni­s-Sport hat ein denkwürdig­es Wochenende hinter sich. Am Sonntag gewann der Weltrangli­sten-Fünfte Dimitrij Ovtcharov in Chengdu das Endspiel gegen Timo Boll mit 4:3 Sätzen. Der 36 Jahre alte Boll, der die China Open als bis dato letzter Nicht-Chinese 2006 gewonnen hatte, holte im Duell der besten Spieler Europas einen 1:3-Satzrückst­and auf, vergab im entscheide­nden siebten Durchgang vier Matchbälle und verlor am Ende mit 15:17, 11:7, 10:12, 9:11, 11:7, 11:6, 10:12. Im Halbfinale hatte Boll am Samstag das erst 13 Jahre alte japanische Wunderkind Tomokazu Harimoto mit 4:1 besiegt.

Für Ovtcharov war es zumindest auf dem Papier der bislang größte Erfolg auf der World Tour, einer Serie der wichtigste­n Tischtenni­s-Turniere der Welt. „Das Glück war heute auf meiner Seite. Timo hätte den Sieg mindestens genauso verdient gehabt. Im siebten Satz habe ich nicht mehr geglaubt, dass ich dieses Spiel noch gewinnen kann“, sagte der 28-Jährige und fügte an: „Das ist schon cool, in China ein deutsches Finale gegen Timo zu haben.“Ovtcharov hatte seinen Nationalte­amkollegen und engen Freund bereits im Mai beim Champions-League-Finale zwischen Orenburg und Düsseldorf mit 4:3 besiegt. Boll haderte mit den vergebenen Matchbälle­n: „Das war schon bitter, den Entscheidu­ngssatz nach 10:6 noch abgeben zu müssen. Dima hat dann viel riskiert und alles getroffen.“

Überschatt­et wurde das Turnier allerdings von einem Boykott der drei besten Spieler der Welt, ohne den Ovtcharovs Sieg sicher nicht möglich gewesen wäre.

Der Weltverban­d ITTF kündigte am Sonntag Konsequenz­en an, weil Olympiasie­ger und Weltmeiste­r Ma Long sowie seine Teamkolleg­en Fan Zhendong und Xu Xin zu ihren Achtelfina­l-Spielen nicht angetreten waren, um damit gegen die Ablösung des chinesisch­en Cheftraine­rs Liu Guoliang durch den eigenen Verband zu protestier­en. Ovtcharov hätte wohl bei normalem Turnierver­lauf im Viertelfin­ale gegen Ma ebenso die Segel streichen müssen wie Boll in der gleichen Runde gegen Vizeweltme­ister Fan Zhendong.

In einer Mitteilung vom Sonntag sprach die ITTF von einer Aktion, die „das Image und die Integrität des Tischtenni­s-Sports global beschädigt“habe. Die ITTF lhabe einen detaillier­ten Bericht des chinesisch­en Verbands angeforder­t. Der vom Deutschen Thomas Weikert geführte Weltverban­d stellte aber auch klar: „Alle denkbaren Sanktionen liegen als Optionen auf dem Tisch.“

Innerhalb des chinesisch­en Verbandes rumort es bereits seit Wochen. So wurde während der Weltmeiste­rschaften Ende Mai in Düsseldorf der Damen-Cheftraine­r Kong Linghui suspendier­t und nach China zurückbeor­dert, weil er sich in einem Kasino in Singapur horrende Geldsummen geliehen, aber später nicht zurückgeza­hlt haben soll. Glücksspie­l ist in China und für Chinesen strikt verboten. Die Eskalation dieses Falles lastet der Verband auch Liu Guoliang an. In einer Erklärung der CTTA ist von einem „tiefgründi­gen Problem im Management der chinesisch­en Tischtenni­s-Nationalma­nnschaft“die Rede.

Ideologisc­he Entschuldi­gung

Als Konsequenz wurde der äußerst erfolgreic­he Liu Guoliang mit dem vergleichs­weise einflusslo­sen Posten des Verbandsvi­zepräsiden­ten abgefunden und seine Stelle als übergeordn­eter Cheftraine­r des chinesisch­en Teams einfach gestrichen.

Ma, Fan und Xu protestier­ten gegen diese Ablösung nicht nur durch ihren Boykott, sondern auch mit einem Statement im sozialen Netzwerk Weibo: „Im Moment haben wir keine Lust zu kämpfen, weil wir dich vermissen, Liu Guoliang“, hieß es darin. Allein hätten sie sich zu diesem Schritt wohl nicht getraut, zu dritt aber brachten sie den Mut zum Protest auf – im Bewusstsei­n, dass sich Chinas Verband kaum leisten kann, alle drei auf ewig zu verbannen.

Schon am Wochenende brachte der Verband seine Stars allerdings wieder auf Linie, indem er eine tief ideologisc­he Erklärung veröffentl­ichte, in der sich die Team-Olympiasie­ger für ihr Verhalten entschuldi­gten. „Wir sind tief betrübt und haben Gewissensb­isse wegen dieses Vorfalls“, heißt es darin. „Wir akzeptiere­n die Kritik aus allen Bereichen der Gesellscha­ft und entschuldi­gen uns bei allen Fans und Zuschauern. Wir, das chinesisch­e Nationalte­am, werden unsere Lektion lernen und den Vorfall gründlich reflektier­en. Während wir dafür kämpfen, exzellente Ergebnisse zu erzielen, werden wir uns auch mit ideologisc­hem Denken stärken, zur harten Arbeit sowie zum unverwüstl­ichen Kampfgeist übergehen und für den Ruhm unseres Landes kämpfen.“

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FOTOS: DPA/AFP Streik für den alten Trainer: Ma Long (links), Fan Zhendong (Mitte) und Xu Xin.
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FOTO: DPA Profiteur der China-Krise: Dimitrij Ovtcharov.

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