Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Zehn turbulente Jahre
Nach immer neuen Auf und Abs scheint der Memminger Flughafen nun gefestigt zu sein
MEMMINGEN - Der Flug geht nach Chania, einer Hafenstadt auf der griechischen Insel Kreta. Vor dem geistigen Auge erscheinen Sonne, Strand und Meer. Tatsächlich sieht man aber nur eine Boeing 737 der Billigfluglinie Ryanair, die in der jüngsten Allgäuer Hitze auf dem Beton vor dem Terminal des Memminger Flughafens steht. Jene Masse von Leuten aber, die sich die Gangway hoch in die Maschine drängt, dürfte in einigen Stunden wirklich an einem kretischen Strand liegen. „So ist es“, sagt der sportlich wirkende Passagier Thomas Rottmann.
Er ist für den Ferienflug extra von Schweinfurt hergefahren – rund 270 Kilometer. Die weite Strecke versetzt einen in Staunen. Vor einem Jahrzehnt hätte jemand aus der unterfränkischen Industriestadt wohl Probleme gehabt, Memmingen auf der Landkarte zu finden. Da war der Flughafen höchstens Luftwaffen-Gedienten bekannt. Er hatte seit dem Dritten Reich als Fliegerhorst gedient. Den brauchte das Militär dann nach der Jahrtausendwende nicht mehr. Worauf Ende Juni 2007 eine neue Ära anbrach: die des Verkehrsflughafens. Der erste reguläre Passagierjet startete im Linienbetrieb.
1,1 Millionen Fluggäste
Der inzwischen auch als Allgäu Airport bekannte Flughafen feiert das zehnjährige Jubiläum dieser Tage mit einem großen Fest. Wobei die Dekade für ihn in jeder Beziehung wechselhaft war. Er wurde gelobt und beschimpft, war finanziell immer wieder unter Druck. Jüngst geht es jedoch mit seiner Entwicklung deutlich vorwärts. Heuer werden wohl mehr als 1,1 Millionen Fluggäste von Memmingen aus entschweben oder dort ankommen – ein Rekord und zudem das deutliche Überschreiten jener Millionenschwelle, die Luftfahrtexperten generell als wirtschaftlich zielführend für Regionalflughäfen der Memminger Kategorie betrachten.
Passagier Rottmann ist die Flughafen-Historie ebenso wie die Statistik aber gelinde gesagt „schnuppe“. Er kommt nach Memmingen, weil es ihm persönlich reinpasst: „Ich bin schon öfters von hier geflogen. Das machen die günstigen Preise von Ryanair – und auch interessante Ziele. Hinzu kommt, dass der Flughafen angenehm überschaubar ist. Man kann das Auto gleich nebenan parken und rüberlaufen“, erzählt er kurz vor dem Einsteigen in den Chania-Flieger.
Seine Worte umschreiben grob die Flughafenstrategie. Zentral ist dabei, auf Fluglinien mit Tickets für den kleinen Geldbeutel zu setzen. Von Memmingen fliegt keine teure Lufthansa. Neben Ryanair sind es Gesellschaften wie Wizz Air oder Popeda. Da Fluggast Rottmann dies goutiert, dürfte sich der von den Auf und Abs des Flughafens gebeutelte Geschäftsführer Ralf Schmid verstanden fühlen. Zudem wird das Lob sein Herz wärmen. Denn das, was aus dem Fliegerhorst geworden ist, kann als Kind des umtriebigen Mannes aus dem Schwarzwald bezeichnet werden. 2002 hatte ihn ein Konsortium nach Memmingen geholt. Acht Firmen des Landstrichs verfochten seinerzeit die Idee, aus dem Militärerbe ein Allgäuer Tor zur Welt zu machen. „Alles war offen. Klar war nur, dass die Bundeswehr geht“, erinnert sich Schmid.
Es hätte damals auch einen reinen Gewerbepark auf dem Areal geben können. Die Idee, von Memmingen aus Passagiere fliegen zu lassen, wurde teils massiv angefeindet. Aus verschiedenen Kreisen hieß es, neben bereits bestehenden Flughäfen gebe es keinen weiteren Bedarf. Anwohner machten aus Angst vor weiterem Fluglärm mobil. Der Unternehmensverband blieb jedoch hartnäckig.
Von Anfang mit dabei war der international engagierte Logistikkonzern Dachser, ansässig im 25 Autominuten entfernten Kempten. Das Unternehmen führt einige Gründe an: Aufwertung der regionalen Infrastruktur, schnelle Verkehrsanbindungen, kurze Wege, Attraktivitätssteigerung fürs Allgäu. Klar auch, dass es Dachser schätzt, wenn der Flughafen „die Reisezeit bei dienstlichen Reisen verbessert“.
Überwiegend privat finanziert
Das Startkonsortium wuchs rasch auf über 70 Anteilseigner, größtenteils regionale Firmen. Hinzu kamen fünf Landkreise und drei kreisfreie Städte des Allgäus. „Der Flughafen wird überwiegend privat finanziert“, sagt Geschäftsführer Schmid. Wobei das Thema Geld vielschichtig ist. So steuerte der Freistaat Bayern zwischen 2004 und 2010 rund 7,5 Millionen Euro für Baumaßnahmen bei. Ein weiterer weiß-blauer Investitionszuschuss in Höhe von gut zwölf Millionen Euro wird momentan von der EU-Kommission auf seine Zulässigkeit überprüft. Es geht um die Frage, ob diese Summe zu einer Wettbewerbsverzerrung führen könnte. Wobei Schmid wie Staatsregierung guter Hoffnung sind, dass das O.K. der Kommission demnächst kommt.
Für ein Fortbestehen des Flughafens ist die privat strukturierte Betreibergesellschaft jedoch essenziell geworden. Dies hat mit einem EUReglement von 2014 zu tun. Demnach sollen unter anderem staatliche Betriebskostenzuschüsse zur Bewältigung des Alltagsgeschäfts nur noch bis 2024 zulässig sein. Der Gedanke dahinter: unrentable Flughäfen aus dem Verkehr zu ziehen. In Deutschland könnte es zum Beispiel für Frankfurt-Hahn oder Dortmund eng werden. „Uns betrifft dies nicht, da wir noch nie Betriebskostenzuschüsse benötigt und bekommen haben“, betont Schmid. Womit wenigstens dieser Krug an ihm vorbeigegangen ist. Ansonsten hatte er mit dem Kapitalbeschaffen oft seine liebe Mühe.
Vor zweieinhalb Jahre war es ganz eng geworden. Ein Überbrückungskredit musste organisiert werden. Wie so viele Regionalflughäfen, die in der Nachwende-Zeit aus Fliegerhorsten entstanden, drückte Memmingen eine zentrale Last: Schulden. Damals waren es fast 18 Millionen Euro. Der Hintergrund dazu: Für den zivilen Umbau mussten trotz Staatshilfe Kredite aufgenommen werden. Anfallende Zinsen sowie die Kosten für jährliche Abschreibungen hielten die komplette Jahresbilanz ständig rot gefärbt. Dass das reine Betriebsergebnis aus dem Flugbetrieb bis auf ein Jahr schwarz war, diente zwar als Ansporn fürs Weitermachen. Es reichte jedoch nicht für eine Schuldentilgung. Schmid muss sich oft wie im Hamsterrad gefühlt haben.
Umbau steht vor Abschluss
Die Malaise Ende 2014 hatte aber schließlich eine positive Folge: Sie war ein Weckruf für alle, die am Flughafen interessiert sind. Es erfolgte die Erkenntnis, dass es nicht so weitergehen könne. Eine Lösung wurde ausbaldowert. Zum einen erhöhten die beteiligten Unternehmer ihre Einlagen. Desweiteren bekam der Oberallgäuer Altlandrat Gebhard Kaiser als Flughafenkoordinator den Auftrag, die Unternehmensstruktur zu reformieren. „Der Umbau steht kurz vor dem Abschluss“, bestätigt das regionale politische Schwergewicht. Vereinfacht gesagt wird es künftig drei Gesellschaften geben: eine für den Flugbetrieb, eine als Besitzerin der Flughafengrundstücke – und eine weitere für die Verwertung der nicht für den Flughafen benötigten ehemaligen Militärflächen. An letzterer beteiligen sich finanziell zusätzlich die bereits erwähnten Kommunen und Landkreise, ebenso einige Banken. Durch das Gesamtpaket, glaubt Kaiser, sei es möglich, „alle Kredite zurückzuführen, sodass künftig keine Zins- und Abschreibungsbelastungen anfallen“.
Gegner scheiterten
Wenn ansonsten die Passagierzahlen stimmen, wäre so der Weg in eine rosige Zukunft des Flughafens möglich. Nicht jeden erfreute aber diese Aussicht. Als die Reform 2015 anlief, versuchten Flughafen-Gegner noch schnell, dem Projekt den Todesstoß zu versetzen. Durch Bürgerbegehren im Landkreis Unterallgäu sowie in Memmingen sollte ein verstärkter Einstieg der Gebietskörperschaften in die neuen Gesellschaften verhindert werden. Wodurch sich das Finanzierungskonzept erledigt hätte. Die Gegner scheiterten. Vorstöße aus ihren Reihen, das Areal als Altlasten-verseucht hinzustellen, liefen ebenso ins Leere.
Die Motivation für den Widerstand bleibt jedoch: „Wir lehnen den Allgäu Airport nach wie vor aus Klimaschutzgründen ab“, stellt Thomas Frey, Regionalreferent vom Bund Naturschutz, fest. Er hält den Betrieb in Memmingen für einen „subventionierten Billigflugverkehr“, den es bei Marktpreisen nicht geben würde. Dieter Buchberger von der Initiative „Bürger gegen Fluglärm“stößt ins gleiche Horn.
Zuletzt hatten die Gegner noch vergeblich versucht, den Planfeststellungsbeschluss für einen Flughafenausbau gerichtlich zu torpedieren. Vor allem Arbeiten an der noch auf den Militärbetrieb zurückgehenden Start- und Landebahn sind nötig. Sie muss verbreitert werden. Eine neue Beleuchtungstechnik ist nötig. Dafür soll ein Großteil des in Aussicht gestellten jüngsten bayerischen Investitionszuschusses Verwendung finden. Der Freistaat gibt die veranschlagten zwölf Millionen Euro durchaus gerne, wie Finanzminister Markus Söder (CSU) betonte, als er die frohe Finanzbotschaft vergangenes Jahr ins Allgäu brachte.
Die Staatsregierung attestiert, dass sich Memmingen „als dritter Verkehrsflughafen Bayerns erfolgreich im Luftverkehrsnetz etabliert“habe – nach München und Nürnberg. Zuletzt ist das Angebot in Memmingen wieder gewachsen. Ryanair stationiert dort ab September sogar eine Maschine. Die verschiedenen Gesellschaften fliegen im Sommerflugplan 31 Ziele an. Ab Herbst kommen acht weitere hinzu.
Schnell in den Urlaub
Als Flughafenchef Schmid dies erklärt, ist hinter ihm die Abfluganzeige. Sofia, 13.10 Uhr, steht da. Dann kommt das siebenbürgische ClujNapoca, 14.25 Uhr. Um 18.20 Uhr geht es nach Palma de Mallorca. Im Terminal ist Betrieb. Rollkoffer rattern über den Boden. Zwei neckisch gekleidete Blondinen aus dem nahen Oberschwaben holen sich am Kiosk Pizza-Schnitten. Die Frage an die beiden liegt nahe: Na, wo soll es denn hingehen? „Schnell in den Urlaub“, kommt schnippisch die Antwort. Mehr bewegt sie im Moment nicht.