Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Steinmeier lernt die Qualität des Südwestens kennen
Beim Antrittsbesuch in Baden-Württemberg wirbt der Bundespräsident für besseren Ton in politischen Debatten
STUTTGART (lsw) - Die Sanduhr ist unerbittlich. Zwei Minuten Zeit hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier jeweils pro Themenblock, um auf die Fragen der Jugendlichen am Montag in Stuttgart zu reagieren. „Das ist noch weniger Zeit, als wir bei Interviews im Fernsehen zur Verfügung haben“, merkt das Staatsoberhaupt an. Notgedrungen pickt er sich einen Schwerpunkt aus dem Themenkatalog heraus und beantwortet ihn. Die nächsten Programmpunkte warten schon bei Steinmeiers zweitägigem Antrittsbesuch als Bundespräsident in Baden-Württemberg.
Die Zukunft der Demokratie in unsicheren Zeiten – das ist Steinmeiers Thema, seit er sein Amt übernommen hat. Es zieht sich wie ein roter Faden auch durch die Visite des Bundespräsidenten im Südwesten.
Erstes Bindestrichland
Bei seiner Ankunft im Staatsministerium hält Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) eine launige Rede. „Wir sind ja das erste Bindestrichland auf ihrer Deutschlandreise“, merkt er an. Der Bindestrich sei Ausweis einer besonderen Qualität des Südwestens: „Wir sind seit der Gründung unseres Landes 1952 gewohnt, Kompromisse in jeder Hinsicht zu schließen – zwischen Badenern und Württembergern, Protestanten, Katholiken, Regierung, Kommunen oder zwischen zwei ähnlich starken Partnern auch in der Koalition.“
Steinmeier nimmt den Ball auf und betont, er komme aus dem Bindestrichland Nordrhein-Westfalen, zudem aus der Region OstwestfalenLippe. So sei er von Jugend an gewohnt, mit unterschiedlichen Mentalitäten fertig zu werden.
Die Jugendlichen empfangen Steinmeier mit Applaus im Landtag. Der Bundespräsident hört aufmerksam zu, was ihm die jungen Menschen zu Flucht, Integration, Demokratie, Europa und Umwelt zu sagen haben. Sie kritisieren, dass Parteien Spenden von Großunternehmen erhalten? Sie treten als Pro-Europäer auf, und sie wollen ernst genommen werden.
Steinmeier gibt geduldig Antworten und lässt einfließen, dass er sich um den aggressiven Ton sorgt, in dem die politischen Auseinandersetzungen zum Teil in sozialen Netzwerken ausgetragen werden. Er mahnt, dass Demokratie Zeit brauche, um gegensätzliche Positionen kennenzulernen. „Demokratie ist eben auch eine Frage der Geduld.“