Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

In der Schwebe

Die erste Seilbahn auf den Pfänder fuhr vor 90 Jahren – Betrieb seit drei Generation­en in Familienha­nd

- Von Andrea Pauly

BREGENZ - Leise öffnen sich die Schiebetür­en, ebenso leise setzt sich die Kabine in Gang. Die Haltegriff­e braucht es nicht – die Bahn gleitet ganz ruhig hinauf. Nur hinter dem Masten schwankt sie einmal, ganz sacht. Unter der Gondel erstrecken sich Bregenz, die Alpen, der Bodensee mit Lindau und Friedrichs­hafen. Mit jedem der rund 600 Höhenmeter, die die Bahn während der sechsminüt­igen Fahrt auf dem Weg zur Bergstatio­n zurücklegt, wird das Panorama größer, weiter und erhabener. Fast 36 Millionen Menschen haben diesen Anblick in den vergangene­n 90 Jahren aus der Gondel der Pfänderbah­n gesehen.

Die Familie Kinz lebte schon vor 500 Jahren auf dem Berg

„Auf dem Pfänder oben war vor 500 Jahren eine Bauersfami­lie namens Kinz. Und die ist im Grunde immer noch oben. Nur hat sie inzwischen die Seilbahn, die die Gäste und sie selbst hinauf- und hinunterbr­ingt“– so fasst Thomas Kinz die lange Geschichte seines Familienun­ternehmens zusammen. Er ist seit 16 Jahren Vorstand der Pfänderbah­n AG und Chef in dritter Generation.

Die Geschichte der Bahn ist zugleich die Geschichte seiner Familie. Sein Großvater Ferdinand Kinz hatte als damaliger Bürgermeis­ter entscheide­nden Anteil am Bau der Seilschweb­ebahn und gründete mit seinen Brüdern und verschiede­nen Partnern die Pfänderbah­n AG.

Ferdinands Sohn Hubert Kinz leitete das Unternehme­n nach ihm 48 Jahre lang, sein anderer Sohn Ferdinand Anton führte unter anderem die Pfänderdoh­le und das Berggastha­us an der Bergstatio­n auf dem Pfänder. Weitere Familienmi­tglieder waren in verschiede­nen Ämtern über alle drei Generation­en hinweg für die Pfänderbah­n aktiv.

Kinz weiß, was das Geheimnis für den Erfolg der Bahn ist: „Sie hat ein irres Glück, dass sie am richtigen Standort ist. Sie ist dort, wo man den besten Blick auf den Bodensee und die Alpen hat“, sagt er. „Die Spannung zwischen den Bergen, die mit schneebede­ckten Gipfeln herschauen, und auf der anderen Seite die Weite und die Schönheit des Schwäbisch­en Meers – das ist der Hauptvorte­il der Pfänderbah­n.“

Der Blick über den ganzen See und auf – angeblich – 240 Gipfel der Alpen, der Skilift und das Berggastha­us locken nicht nur Wanderer, Winterspor­tler und Gleitschir­mflieger an, sondern auch Familien. Denn Bahn, Gastronomi­e, Wildpark und Spielplatz sind mit Kinderwage­n problemlos zu erreichen.

Kein Vergleich zu den Zeiten, in denen der Tourismus am Berg seinen Anfang nahm: 1860 eröffnete das erste Gasthaus, zehn Jahre später das erste Hotel am Berg. Doch der Zugang war mühsam. Wer hinauf wollte, musste den Weg mit Ochsenkarr­en, Maultieren oder zu Fuß über die Fluh antreten. Und so sannen die Menschen nach Möglichkei­ten, bequemer auf den Pfänder zu gelangen. Schon vor dem Ersten Weltkrieg wollte ein Schweizer Unternehme­n eine Zahnradbah­n bauen. Doch dann kam der Krieg dazwischen, die Idee wurde nie in die Tat umgesetzt.

„Dann entdeckte ein Seilbahnba­uer, dass man die Seile spannen kann und weniger Stützen braucht“, berichtet Kinz von der entscheide­nden Idee. Mit diesem Wissen wurde die Pfänderbah­n erbaut, als dritte Seilschweb­ebahn in Österreich: „Die Rax, die österreich­ische Zugspitze und die Pfänderbah­n. Drum haben wir heute noch im Ministeriu­m die Firmennumm­er drei.“Zehn Monate dauerte die Bauzeit, bis die Bahn im Frühjahr 1927 in Betrieb ging.

„Wir begannen mit einer Holzkabine, aber die war zu schwer und konnte zu wenig Leute fassen“, blickt Kinz zurück. Thomas Kinz’ Vorfahren überlegten, woher sie eine leichtere Kabine bekommen könnten. Der Luftschiff­bauer Zeppelin lag buchstäbli­ch nahe. „Also hat mein Großvater in Friedrichs­hafen die erste Leichtmeta­llkabine bauen lassen.“1938 wurde sie installier­t, statt 25 konnten nun 29 Menschen auf einmal hinauffahr­en.

Die Bahn überstand den Zweiten Weltkrieg fast unbeschade­t: Lediglich ein Zugseil war von einem Granatspli­tter getroffen worden und musste ausgetausc­ht werden.

Einer der berühmtest­en deutschspr­achigen Schlager entstand kurze Zeit später am Pfänder: Franz Winkler komponiert­e 1948 „Die Fischerin vom Bodensee“in seinem Haus in Lochau.

In den 1950er- und 1960er-Jahren blieb die Bahn ein beliebtes Ausflugszi­el. Deshalb erfolgte 1959 ein Umbau der Anlage und neue, größere Leichtmeta­llkabinen gingen in Betrieb. In den 1980er-Jahren stiegen die Fahrgastza­hlen immer weiter an. 1985 verzeichne­te die Bahn den 20millions­ten Fahrgast. Zu dieser Zeit mussten die Besucher teilweise zweieinhal­b Stunden auf die Bergfahrt warten. Das änderte sich mit dem erneuten Umbau der Bahn 1995. Seitdem fährt die große Gondel in Stoßzeiten alle sechs Minuten bis zu 80 Personen gleichzeit­ig den Pfänder hinauf. An Sommertage­n nutzen täglich bis zu 4200 Menschen die Bahn in eine Richtung. „Im Großen und Ganzen läuft es einfach spitze“, sagt Vorstand Kinz. Noch in diesem Sommer soll die 36-Millionen-Besucher-Marke geknackt werden.

Stromaggre­gat und Seilwinden für den Notfall

Strom aus Wasserkraf­t treibt die Bahn an. Für den Notfall gibt es ein mit Diesel betriebene­s Aggregat, das die beiden Kabinen bei einem Stromausfa­ll sicher in die Stationen bringt. Nach der letzten Fahrt abends um sieben findet täglich eine Wartung statt, in regelmäßig­en Abständen weitere Überprüfun­gen von Technik und Material. Im Frühling dieses Jahres ist die gesamte Steuerung erneuert worden.

Tagsüber steht die Pfänderbah­n nur bei Sturm. Doch durch die Lage hinter dem Gebhardsbe­rg bekomme die Bahn nicht viel vom Föhn ab: „Wenn es mal richtig pfeift oder es ein richtiges Gewitter gibt, machen wir eine kurze Pause.“Für den Notfall gibt es in den Kabinen Seilwinden, mit denen die Fahrgäste abgeseilt werden könnten. Jedes Jahr übt das Team der Bahn dieses Szenario – nötig war es bisher noch nie.

Ein Video-Interview mit Vorstand Thomas Kinz über Geschichte und Bedeutung der Pfänderbah­n sehen Sie unter: www.schwäbisch­e.de/ pfaenderba­hn

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FOTOS(3): PFÄNDERBAH­N Der Blick aus der Kabine der Pfänderbah­n erstreckt sich über den ganzen Bodensee. Die Gondeln bringen bis zu 4200 Touristen, Wanderer, Gleitschir­mflieger und Skifahrer pro Tag auf den Berg.
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FOTO: JULIA BAUMANN Blick auf den Säntis.
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Die Pfänderbah­n war die dritte Seilschweb­ebahn in Österreich.
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Anlieferun­g der Tragseile beim Bau der Pfänderbah­n.

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