Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Bürger testen digitales Gesundheitskonto
„Patient digital“bietet Vernetzung für Patient und Arzt – Es gibt aber noch offene Fragen
SIGMARINGEN - Die Digitalisierung in der Gesundheitsversorgung wird kommen – das wurde bei der Auftaktveranstaltung des Modellprojekts „Patient digital“im Sigmaringer Hofgarten am Mittwoch deutlich. Wie sich auch das Bankwesen durch Online-Banking verändert hat, wird sich der Austausch zwischen Ärzten, Apotheken, Patient und anderen Trägern des Gesundheitssystems wohl künftig digital abspielen. Nun fiel der Startschuss für eine dreijährige Testphase, an welcher der Landkreis Sigmaringen als bundesweit einziger Landkreis teilnehmen wird – weil die Auswirkungen des Ärztemangels und der demografischen Entwicklung hier spürbarer sind als in anderen Regionen. Das Modell kann später auf andere Kreise übertragen werden, die Akteure versprechen sich davon Zeit- und Aufwandsersparnis für Patienten und Arbeitserleichterung, verbesserte Strukturen und Effizienzerhöhung für die Ärzte. 300 000 Euro kostet das Projekt mit dreijähriger Laufzeit, die Hälfte zahlt das Land.
Die Rede ist von einem System, bei dem sich alle Beteiligten über eine digitale Cloud, auch über eine App abrufbar, austauschen können. Mit einem zusätzlich auf die Gesundheitskarte aufgeklebten Chip hat der Patient künftig die Möglichkeit, sich Informationen von am Projekt teilnehmenden Ärzten, Kliniken, Apotheken, Pflegediensten und weiteren Versorgern auf die Cloud laden zu lassen: So können beispielsweise Röntgenbilder, Laborergebnisse, aber auch Befunde, Folgerezepte oder Impf-Erinnerungen von Patient und Arzt abgerufen oder online Arzttermine vereinbart werden. So soll Klarheit geschaffen werden, wie viele von unterschiedlichen Ärzten verordnete Medikamente ein Patient einnimmt. Durch das System sollen auch Doppelbehandlungen verhindert werden, auch eine Rückverfolgung der Behandlung ist so möglich. Bei einem Arztwechsel entfallen für den Patienten so Telefonate, da er seine digitale Akte mit Befunden bei sich hat. Und der Arzt hat weniger Papierkrieg – „sitzt dafür aber länger vor dem PC“, wie ein Besucher feststellt. Auch Krankenkassen könnten künftig auf der Cloud Dateien ablegen, nicht jedoch auf diese zugreifen, wie Wolfgang Bachmann, geschäftsführender Vorstand des Veranstalters Gesundheitsnetz Süd versichert. Auch für Betreuer würde sich die Arbeit erleichtern. Ärzte könnten das System künftig auch für eine Fernbehandlung nutzen.
Unklar, welche Ärzte mitmachen
Noch ist unklar, wer sich von den anwesenden Ärzten und Leistungsträgern des Gesundheitswesens für das Modell entscheidet und somit auch, wie viele Patienten so das Angebot in Anspruch nehmen können.
Für die Ärzte, wurde bei der Infoveranstaltung klar, kostet die Einrichtung des Zugangs Geld: Ein neues Lesegerät muss beschafft werden, auch braucht es einen IT-Fachmann zum optimalen Schutz der Daten – auch mit laufenden Kosten ist zu rechnen. Zudem benötigen Ärzte dann einen elektronischen Heilberufsausweis. Und: Ärzte müssen sich früh entscheiden, ob sie mitmachen, da die Fördergelder mit jedem verstrichenen Quartal abnehmen. Für Patienten ist das Modell während der Testphase kostenlos, später könnte ein Zugang knapp zwei Euro pro Monat kosten.
Sind alle Voraussetzungen gegeben, kann der Patient online auf sein Gesundheitskonto zugreifen, das mit einer PIN geschützt ist. Der Patient bestimmt, welcher Arzt oder Leistungserbringer Zugriff auf die Daten bekommt und kann diese Berechtigung auch widerrufen.
Eine weitere Funktion des Gesundheitskontos ist ein Notfall-Chip mit QR-Code, der am Schlüsselanhänger befestigt wird, was bei einem Unfall Zugriff auf die wichtigsten Informationen wie Blutgruppe, Allergien oder Vorerkrankungen erlaubt.
Dr. Ansgar Pfeffer, Internist am Pfullendorfer SRH-Krankenhaus, ist offen für das neue System, hat aber Zweifel, dass es sich für seine Patienten eignet. „75 Prozent meiner Patienten sind Senioren und würden die Verwaltung so eines Kontos nicht schaffen.“Zudem mache er sich Gedanken, ob die Cloud tatsächlich sicher sei. Gleichzeitig hält er das System für eine positive Entwicklung, die nicht aufzuhalten ist.