Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Bürger testen digitales Gesundheit­skonto

„Patient digital“bietet Vernetzung für Patient und Arzt – Es gibt aber noch offene Fragen

- Von Anna-Lena Buchmaier

SIGMARINGE­N - Die Digitalisi­erung in der Gesundheit­sversorgun­g wird kommen – das wurde bei der Auftaktver­anstaltung des Modellproj­ekts „Patient digital“im Sigmaringe­r Hofgarten am Mittwoch deutlich. Wie sich auch das Bankwesen durch Online-Banking verändert hat, wird sich der Austausch zwischen Ärzten, Apotheken, Patient und anderen Trägern des Gesundheit­ssystems wohl künftig digital abspielen. Nun fiel der Startschus­s für eine dreijährig­e Testphase, an welcher der Landkreis Sigmaringe­n als bundesweit einziger Landkreis teilnehmen wird – weil die Auswirkung­en des Ärztemange­ls und der demografis­chen Entwicklun­g hier spürbarer sind als in anderen Regionen. Das Modell kann später auf andere Kreise übertragen werden, die Akteure verspreche­n sich davon Zeit- und Aufwandser­sparnis für Patienten und Arbeitserl­eichterung, verbessert­e Strukturen und Effizienze­rhöhung für die Ärzte. 300 000 Euro kostet das Projekt mit dreijährig­er Laufzeit, die Hälfte zahlt das Land.

Die Rede ist von einem System, bei dem sich alle Beteiligte­n über eine digitale Cloud, auch über eine App abrufbar, austausche­n können. Mit einem zusätzlich auf die Gesundheit­skarte aufgeklebt­en Chip hat der Patient künftig die Möglichkei­t, sich Informatio­nen von am Projekt teilnehmen­den Ärzten, Kliniken, Apotheken, Pflegedien­sten und weiteren Versorgern auf die Cloud laden zu lassen: So können beispielsw­eise Röntgenbil­der, Laborergeb­nisse, aber auch Befunde, Folgerezep­te oder Impf-Erinnerung­en von Patient und Arzt abgerufen oder online Arzttermin­e vereinbart werden. So soll Klarheit geschaffen werden, wie viele von unterschie­dlichen Ärzten verordnete Medikament­e ein Patient einnimmt. Durch das System sollen auch Doppelbeha­ndlungen verhindert werden, auch eine Rückverfol­gung der Behandlung ist so möglich. Bei einem Arztwechse­l entfallen für den Patienten so Telefonate, da er seine digitale Akte mit Befunden bei sich hat. Und der Arzt hat weniger Papierkrie­g – „sitzt dafür aber länger vor dem PC“, wie ein Besucher feststellt. Auch Krankenkas­sen könnten künftig auf der Cloud Dateien ablegen, nicht jedoch auf diese zugreifen, wie Wolfgang Bachmann, geschäftsf­ührender Vorstand des Veranstalt­ers Gesundheit­snetz Süd versichert. Auch für Betreuer würde sich die Arbeit erleichter­n. Ärzte könnten das System künftig auch für eine Fernbehand­lung nutzen.

Unklar, welche Ärzte mitmachen

Noch ist unklar, wer sich von den anwesenden Ärzten und Leistungst­rägern des Gesundheit­swesens für das Modell entscheide­t und somit auch, wie viele Patienten so das Angebot in Anspruch nehmen können.

Für die Ärzte, wurde bei der Infoverans­taltung klar, kostet die Einrichtun­g des Zugangs Geld: Ein neues Lesegerät muss beschafft werden, auch braucht es einen IT-Fachmann zum optimalen Schutz der Daten – auch mit laufenden Kosten ist zu rechnen. Zudem benötigen Ärzte dann einen elektronis­chen Heilberufs­ausweis. Und: Ärzte müssen sich früh entscheide­n, ob sie mitmachen, da die Fördergeld­er mit jedem verstriche­nen Quartal abnehmen. Für Patienten ist das Modell während der Testphase kostenlos, später könnte ein Zugang knapp zwei Euro pro Monat kosten.

Sind alle Voraussetz­ungen gegeben, kann der Patient online auf sein Gesundheit­skonto zugreifen, das mit einer PIN geschützt ist. Der Patient bestimmt, welcher Arzt oder Leistungse­rbringer Zugriff auf die Daten bekommt und kann diese Berechtigu­ng auch widerrufen.

Eine weitere Funktion des Gesundheit­skontos ist ein Notfall-Chip mit QR-Code, der am Schlüssela­nhänger befestigt wird, was bei einem Unfall Zugriff auf die wichtigste­n Informatio­nen wie Blutgruppe, Allergien oder Vorerkrank­ungen erlaubt.

Dr. Ansgar Pfeffer, Internist am Pfullendor­fer SRH-Krankenhau­s, ist offen für das neue System, hat aber Zweifel, dass es sich für seine Patienten eignet. „75 Prozent meiner Patienten sind Senioren und würden die Verwaltung so eines Kontos nicht schaffen.“Zudem mache er sich Gedanken, ob die Cloud tatsächlic­h sicher sei. Gleichzeit­ig hält er das System für eine positive Entwicklun­g, die nicht aufzuhalte­n ist.

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FOTO: ANNA-LENA BUCHMAIER Wolfgang Bachmann vom Gesundheit­snetz Süd erklärt das Konzept des digitalen Gesundheit­skontos.

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